Freitag, 19. April 2024

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Burschenschaften in Österreich
Weitgehend geschlossen am rechten Rand

Deutschnationale Burschenschaften sind in Österreich in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem tagespolitischen Element geworden. Zahlreiche Spitzenpolitiker der Freiheitlichen Partei gehörten in ihrer Jugend einer der völkisch-nationalistischen Verbindungen an. Der Wiener Zeithistoriker Bernhard Weidinger hat sich intensiv mit der Geschichte der Korporierten in Österreich auseinandergesetzt.

Von Günter Kaindlstorfer | 19.01.2015
    "O, alte Burschenherrlichkeit,
    wohin bist du entschwunden?
    Nie kehrst du wieder, goldne Zeit,
    so froh und ungebunden."
    Der 2008 verunglückte Kärntner Polit-Popstar Jörg Haider, einer der erfolgreichsten Rechtspopulisten Europas, hat sie als Aktivist der "Silvania Wien" ebenso besungen wie der aktuelle Vorsitzende der FPÖ, Heinz-Christian Strache, Mitglied der pennalen Burschenschaft "Vandalia" zu Wien: die "alte Burschenherrlichkeit". Beide Politiker waren schlagende Burschenschafter, beide haben in ihrer Jugend blutige Mensuren auf dem Paukboden gefochten. Immer wieder ist es deutschnationalen Verbindungsbrüdern mit rechtem und rechtsradikalem Hintergrund in den letzten Jahren und Jahrzehnten gelungen, politische Spitzenpositionen in Österreich einzunehmen.
    "In Zeiten, in denen die FPÖ an die Schalthebel der Macht vorrückt, bringt das stets auch Burschenschafter in einflussreiche Positionen", beschreibt der Zeithistoriker Bernhard Weidinger die Karriere-Mechanismen der Korporierten in der Alpenrepublik. Burschenschafter, die sich in einer politischen Partei organisieren, tun das in Österreich so gut wie ausschließlich in den Reihen der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei – sofern sie sich nicht überhaupt rechtsextremen Splittergruppen anschließen.
    "In Summe stehen die österreichischen Burschenschaften sicher rechts von den deutschen im Durchschnitt. Das liegt vor allem daran, dass sie politisch-ideologisch weit weniger heterogen sind. In Deutschland gibt’s doch eine gewisse Streuung, von liberalen bis hin zu rechtsextremen Positionen. In Österreich stehen und standen die Verbindungen seit 1945 immer und weitgehend geschlossen am rechten Rand des Verbindungswesens."
    Mit Mythen aufgeräumt
    Seriöse Untersuchungen über das völkische Korporiertenwesen in Österreich sind dünn gesät, was vor allem auf die dürftigeQuellenlage zurückzuführen ist. Bernhard Weidingers faktensatte Studie schließt diese Lücke, indem sie die Geschichte der österreichischen Burschenschaften in hunderten und aberhunderten von Selbst- und Fremdzeugnissen interpretierend aufarbeitet.
    Weidinger räumt in seinem Buch mit einigen Mythen auf. Korporierte Burschenschafter brüsten sich zum Beispiel gerne mit der Feststellung, dass ihre Verbindungen in der Zeit des Nationalsozialismus verboten waren; daraus leiten sie für sich eine Art Widerstandskämpfer-Bonus ab. Bernhard Weidinger rückt die Dinge zurecht:
    "Tatsächlich wurden die Verbindungen 1938 aufgelöst, allerdings wurde den völkischen Verbindungen die Möglichkeit, sich über den Nationalsozialistischen deutschen Studentenbund in die Strukturen des Regimes zu integrieren – eine Möglichkeit, die liberalen, katholischen und jüdischen Verbindungen nicht gegeben wurde."
    Von der biografischen Prägung her oft aus NS-Familien stammend
    Ob in Salzburg, Graz oder Wien: Arminen, Cherusker und Teutonen – in der Regel stramme Unterstützer des NS-Regimes – konnten ihre Mensuren auch im "Dritten Reich" ausfechten, zumindest bis zum Beginn des Russlandfeldzugs, der burschenschaftliche Aktivitäten dann allerdings zum Erliegen brachte. Grundsätzlich waren die "ostmärkischen" Burschenschaften so etwas wie die Kerntruppen des österreichischen Nationalsozialismus. Ernst Kaltenbrunner, Leiter des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, war "Alter Herr" der "Arminia Graz", Hugo Jury, Gauleiter von Niederdonau, hatte in seiner Jugend in der "Ghibellinia Prag" gefochten und Friedrich Rainer, Gauleiter von Kärnten und Salzburg, in der Grazer Verbindung "Ostmark".
    Nach 1945 kam das völkische Burschenschafterleben in Österreich nur langsam wieder in Schwung, im Lauf der Zeit aber organisierten sich doch wieder einige tausend junge Männer - von ihrer biografischen Prägung her oft aus NS-Familien stammend - in den diversen Verbindungen. "Ehre, Freiheit, Vaterland", der Wahlspruch der Jenaer Urburschenschaft von 1815, markiert die Wertetrias der Korporierten bis heute. Dass mit Vaterland nicht die Republik Österreich gemeint ist, versteht sich in der korporierten Sicht der Dinge von selbst.
    Mit der parlamentarischen Demokratie weitgehend arrangiert
    "Die Österreicher standen in dieser Frage immer geschlossen auf derselben Position, nämlich, dass der Vaterlandsbegriff ein volkstumsbezogener zu sein habe, worunter man im Wesentlichen eine Vorstellung des 'deutschen Vaterlands' verband, das mit den historischen Siedlungsgebieten von Deutschsprachigen in eins fällt. Das war in jedem Fall ein 'Vaterland', das nicht mit den Grenzen der heutigen BRD und natürlich schon überhaupt nicht mit den Grenzen Österreichs übereinstimmt. Es wurden und werden in Teilen der Burschenschaften bis heute Gebietsansprüche mehr oder weniger verklausuliert erhoben auf Südtirol, das Elsass und die sogenannten Ostgebiete."
    Wie sehr lässt sich burschenschaftliche Ideologie mit den Prinzipien der parlamentarischen Demokratie vereinbaren? Bernhard Weidinger sieht das differenziert:
    "Grundsätzlich ist zu sagen, dass die extreme Rechte insgesamt aber auch Burschenschaften, insoweit sie als Teil der extremen Rechten anzusehen sind, sich heutzutage weitgehend mit parlamentarischer Demokratie als Form arrangiert haben. Das heißt, die parlamentarische Demokratie wird nicht mehr abgelehnt. Die spannendere Frage aber ist, wie man es mit der Demokratie auf inhaltlicher Ebene hält, und da stelle ich fest, dass es zumindest gewisse Spannungsfelder gibt, die zumindest von einer Demokratie-Skepsis sprechen lassen. Ein Punkt wäre der burschenschaftliche Elitarismus, mit dem auch ein gewisses Ressentiment gegen 'die Masse', also letztlich gegen den demokratischen Souverän verbunden ist. Ein zweiter Punkt wäre der völkische Nationalismus und damit verbunden die Infragestellung des Gleichheits-Postulats."
    Rigide Geschlechterbilder
    Der dritte Punkt, der die völkischen Burschenschaften in ein Spannungsfeld zu demokratischen Prinzipien bringt, ist das Strukturprinzip des Männerbunds.
    "Das Männlichkeitsbild der Burschenschaften kreist um Werte wie Stärke, Durchsetzungsfähigkeit, Härte. Weiblichkeit wird in Verbindung gebracht mit Schwäche und Abhängigkeit. Und vor dem Hintergrund dieser rigiden Geschlechterbilder gelten dann feministische und emanzipatorische Bestrebungen im burschenschaftlichen Denken letztlich als 'Versündigung an der Natur' und sowohl als Ausdruck, als auch als Motor eines kulturellen Niedergangs."
    Bernhard Weidingers Buch ist vom Sprachduktus her streng wissenschaftlich gehalten, was es zu einer streckenweise doch recht spröden Lektüre macht. Zugleich beeindruckt die Studie durch die Fülle an Material, die der 32-jährige Zeithistoriker in jahrelanger Kleinarbeit zusammengetragen hat. Wer sich mit Geschichte und Gegenwart des österreichischen Verbindungswesens auseinandersetzt, wird um Weidingers Studie auf absehbare Zeit nicht herumkommen.
    Bernhard Weidinger: "Im nationalen Abwehrkampf der Grenzlanddeutschen. Akademische Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945", Böhlau Verlag, 627 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 978-3-205-79600-8