Dienstag, 19. März 2024

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Bus und Bahn in Coronazeiten
"ÖPNV steckt in erheblichen Finanzproblemen"

Aus Angst vor Ansteckung bleiben viele Busse und Bahnen in der Coronakrise leer. Dabei unternehmen die Verkehrsbetriebe viel, um Ansteckungen der Fahrgäste zu vermeiden, sagte Verkehrswissenschaftler Klaus-Martin Melzer im Dlf. Doch das ist teuer – ein Rettungspaket für den ÖPNV sei nötig.

Klaus-Martin Melzer im Gespräch mit Georg Ehring | 29.05.2020
Ein leeres Abteil eines Regionalzuges.
Die Verkehrsunternehmen müssten ihre Hygienestandards offensiver kommunizieren, um das Vertrauen der Fahrgäste zu gewinnen (dpa / Reinhard Kaufhold)
Busse und Bahnen sind in der Coronakrise gähnend leer. Viele Fahrgäste meiden den ÖPNV, etwa aus Angst vor Ansteckung. Den Verkehrsunternehmen fehlen daher Einnahmen. Gleichzeitig stehen ihnen Mehrausgaben ins Haus, da sie mit großem Aufwand Ansteckungsrisiken in den Bahnen minimieren.
Der Verkehrswissenschaftler Klaus-Martin Melzer von der technischen Hochschule Wildau glaubt, dass ein Rettungspaket für die Verkehrsunternehmen nötig sei. Gleichzeitig müssten die ÖPNV-Unternehmen offensiver kommunizieren, welche Anstrengungen sie unternehmen, um Ansteckungen zu vermeiden. Nur so könne Vertrauen generiert werden. Melzer zeigte sich optimistisch, dass künftig wieder mehr Menschen Bus und Bahn nutzen würden.
Georg Ehring: Herr Melzer, wundert es Sie, dass viele Fahrgäste Angst vor der Fahrt mit Bus oder Bahn haben?
Klaus-Martin Melzer: Nein, ich denke, das ist eine ganz natürliche Reaktion in diesen Zeiten der Unsicherheit, und es ist erst mal auf dem ersten Blick ja auch so, dass man ein höheres Infektionsrisiko zumindest haben könnte. Insofern ist diese Reaktion verständlich. Ob sie den Tatsachen entspricht, ist eine ganz andere Frage, und da ist, glaube ich, auch ein massiver Handlungsbedarf in der Branche, aber auch in der Gesundheitspolitik.
imago images / Olaf Döring  Haltestelle Stadtmitte am Rathaus Mülheim an der Ruhr *** Stop Stadtmitte at the town hall Mülheim an der Ruhr
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Ehring: Das heißt, für Sie entspricht es gar nicht den Tatsachen?
Melzer: Was zumindest bekannt ist, ist, dass bei dem Personal der Verkehrsbetriebe, die ja mit sehr vielen Fahrgästen, wenn auch auf Abstand, Kontakt haben, bisher überhaupt keine erhöhte Infektionstätigkeit nachgewiesen ist, die Krankenstände sind dort im üblichen Maß wie vor Corona, was ein Indiz ist dafür, dass die Infektionsraten doch nicht so hoch sein können. Es fehlen dazu aber bisher wissenschaftliche Untersuchungen, die eine Repräsentanz hätten.
Ehring: Öffentliche Verkehrsmittel müssen aber Vertrauen zurückgewinnen. Was können die denn aus Ihrer Sicht dafür tun?
Melzer: Was sie tun können, ist auf alle Maßnahmen ganz offensiv hinweisen, die sie tun, um zum Beispiel Fahrzeuge zu desinfizieren, um die Abstandsregeln einzuhalten, um sicherzustellen, dass ich auch an einer Haltestelle nicht dicht gedrängt stehen muss, und was passiert, wenn denn eine Straßenbahn zum Beispiel voll ist, ist dann die Dispositionsstelle in der Lage, schnell danach eine weitere auf die Reise zu schicken.
Das sind natürlich alles Dinge, die auch mit Kosten verbunden sind für die Unternehmen, und ich glaube, ein ganz maßgeblicher Grund dafür, dass da sehr zurückhaltend agiert wird, ist, dass die Verkehrsunternehmen – Sie sagten es ja bereits in Ihrer Anmoderation – vor erheblichen Finanzproblemen stecken, denn der Nahverkehrssektor ist einer, der sich ohnehin schon nicht wirtschaftlich selbst trägt, sondern der deswegen funktioniert, weil die öffentliche Hand diese Leistungen bestellt und bezahlt. Wenn man denn einen größeren Abstand möchte, dann muss man zwangsläufig mehr Kapazität in diesen Sektor stecken, und das kostet Geld.
"Kaufprämie für Autos völlig kontraproduktiv"
Ehring: Das heißt, die Busse und Bahnen brauchen auch ein Rettungspaket.
Melzer: Davon gehe ich auf jeden Fall aus. Da ist mit Sicherheit so etwas wie eine Kaufprämie für Autos völlig kontraproduktiv.
Ein Bus auf einer Landstraße in Brandenburg
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Ehring: Wie kann denn … Wie steht es denn um das Bewusstsein der Betreiber, da auch etwas zu tun? Sind sie da offensiv nach Ihrer Beobachtung, oder könnten die Unternehmen da mehr tun?
Melzer: Mein Eindruck ist, die könnten mehr tun. Man scheut vermutlich harte Aussagen, weil auch in der Branche eine Unsicherheit darüber besteht. Beispielsweise hat die Flugbranche ja ganz offen, ohne für mich ersichtlichen Sachgrund, erklärt, in Flugzeugen kann man sich nicht anstecken, und man geht von einer 75-prozentigen Auslastung aus. Das ist in Fachkreisen hochgradig umstritten und wird kritisch gesehen.
Die ÖPNV-Unternehmen sind da, ich sage mal, seriöser, aber dementsprechend auch zurückhaltender, was solche Aussagen angeht. Das führt zu einer gewissen Passivität und, wie gesagt, auch die Angst davor, Maßnahmen nicht entsprechend finanziell entgolten zu bekommen.
"Zwei Aspekte, die mich optimistisch machen"
Ehring: Was erwarten Sie denn? Werden die Kunden, wenn sich die Coronakrise legt, wieder zurückkommen, oder wird man möglicherweise auch die neue Bequemlichkeit mit dem Auto dann geschätzt gelernt haben und weiterhin Busse und Bahnen meiden?
Melzer: Also es sind da zwei Aspekte, die mich da grundsätzlich optimistisch machen, dass nach einer durchaus längeren Durststrecke die Nutzung da wieder ansteigen wird. Das eine ist, mit zunehmender Mobilität werden auch die Verkehrsprobleme auf der Straße wieder auftauchen, die wir ja im Moment nicht haben. Das heißt also, die Staus werden zunehmen. Da werden dann viele Leute auch deswegen dann eine Alternative suchen.
Das ist das eine, und zum anderen, das ganze Thema Verkehrswende kommt ja auch vor dem Hintergrund Klimawandel auf uns zu, und auch der ist ja nicht weg, sondern die Maßnahmen, die dafür erforderlich sind, hier die entsprechende CO2-Reduktion zu erzielen, die sind ja weiter notwendig. Das heißt, hier wird auch die Politik wieder steuernd eingreifen. Das wird auch wieder dazu führen, dass der Pkw-Verkehr und auch der Lkw-Verkehr auf der Straße erschwert wird und attraktivere Angebote auf der Schiene oder für den Bus gemacht werden. Das ist die Zielzahl, die Reisendenzahl auf der Schiene bis 2030 in der Bundesrepublik Deutschland zu verdoppeln. Die ist ja bisher nicht zurückgenommen worden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)