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Busfahren gegen die Rassendiskriminierung

Vor 50 Jahren stiegen Schwarze und Weiße in Überlandbusse in Washington D. C. und fuhren nach New Orleans, um gegen die damals übliche Rassentrennung zu protestieren. Diese "Freedom Riders" waren großen Widerständen ausgesetzt.

Von Silke Hasselmann | 27.08.2011
    In einer kleinen Kirche von Jackson (Mississippi) geht die Aufführung eines Dokumentarfilms über die "Freedom Riders" zu Ende. Im Mai vor 50 Jahren waren 17 mutige Männer und Frauen in Überlandbusse gestiegen, um gemeinsam von Washington D. C. bis weit in den Süden nach New Orleans zu fahren. Rasch nannte man sie die "Freedom Riders", denn es waren Weiße und Schwarze, die sich die gesetzlich vorgeschriebene Rassentrennung in Überlandbussen nicht länger gefallen lassen wollten. Ihnen folgten 1961 Hunderte weiterer Freiheitsfahrer.

    Was sie da gerade gesehen habe, habe sie total überrascht: "Vor allem das Ausmaß an Gewalt", erzählt die 19-jährige Emonee Lewis. Emonee entstammt einer schwarzen Familie. Sie hatte bereits von ihrer Großmutter wie auch im Schulunterricht von den Freedom Riders gehört:

    "Doch nur aus Lehrbüchern kann man die Wucht dieser Ereignisse gar nicht voll erfassen. Zu sehen, wie brutal einige Busreisende zusammengeschlagen worden sind und wie dieser eine weiße Student halbtot mit blutendem Kopf am Bettrand sitzt und sagt, dass er dem rassistischen Mob nicht nachgibt ... "

    Das sei "in einer guten Weise unangenehm, denn Unbehagen führt zu Veränderungen", meint Emonee. Auch Dwight Lundaquist, ein 20-jähriger Weißer, kam staunend aus der Filmvorführung. Er habe bis dahin nicht gewusst, dass Martin Luther King das Angebot der Freedom Riders abgelehnt hatte, in Montgomery zu ihnen in den Bus zu steigen und wenigstens eine Station bis nach Jackson, Mississippi, mitzufahren. Tatsächlich hatten etliche Studenten Dr. King gedrängt, dem Kampf gegen Rassentrennung auf diese Weise noch mehr Medienaufmerksamkeit und den Businsassen einen besseren Schutz zu sichern.

    "Wenn man wirklich die Führung in einer Organisation übernehmen will, dann kann man nicht eine weit entfernt stehende Figur sein, die allen anderen sagt, was sie zu tun haben. Es nimmt der Bedeutung von Dr. King für die Bewegung als Ganzes nichts. Dennoch hätte die Botschaft viel stärker sein können, wäre er in der Mitte des Geschehens gewesen."

    Mag sein, sagt Freedom Rider MacArthur Cotton aus Mississippi - und nimmt Martin Luther King in Schutz. Der heute 78-Jährige war mehrmals von Ku-Klux-Clan-Mitgliedern verprügelt worden war. Dennoch - oder gerade deshalb - sagt er: Falls Dr. King aus Angst um sein Leben nicht eingestiegen ist, dann zu Recht. Diese Angst vor Mordanschlägen "entstand ja nicht im luftleeren Raum":

    "Wissen Sie, später - im Dezember ´61 - habe ich einige Leute getroffen, die damals in die Kirche von Montgomery (Alabama) gegangen waren, um die Freedom Riders zu begrüßen. Ein paar Hundert Menschen waren gekommen, auch Dr. King. Doch draußen tobte der weiße Mob, einige Tausend Leute. Sie warfen Steine in die Fenster, verbarrikadierten die Türen und wollten die Kirche mit den Menschen darin abfackeln. Die Polizei tat nichts."

    Immer wieder beruhigte Martin Luther King an jenem Mai-Abend die verängstigten Menschen in der Kirche.

    "Das Erste, was heute Nacht tun müssen: Wir müssen uns entscheiden, ruhig zu bleiben und weiterhin für das Richtige einzutreten."

    Daneben forderte er per Telefon von US-Justizminister Bobby Kennedy in Washington zweierlei: die Nationalgarde und ein Ende des rassistischen Bundesgesetzes zum Interstate-Reiseverkehr. Die erste Bitte Kings wurde gleich erfüllt, die zweite im September 1961. Bei dieser Gelegenheit formulierte Robert Kennedy denkwürdige Sätze: Es gebe in vielen Bereichen Amerikas keine Vorurteile mehr und überhaupt "machen die Neger in diesem Land andauernd Fortschritte."

    "Im Moment gibt es eine Voreingenommenheit, aber das ist kein Grund, dass in absehbarer Zukunft nicht auch ein Neger Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte."

    Diese Vision hat sich 2008 mit Obamas Wahl erfüllt. Doch ist damit der Luther Kings Traum von Gleichbehandlung und Gerechtigkeit erfüllt? - MacArthur Cotton schüttelt den Kopf: Rassentrennung war vor allem eine ökonomische Frage gewesen, und sie sei es heute noch.
    Ob wirtschaftliche Möglichkeiten oder Bildungschancen an Privatschulen – die gäbe es dort, wo das Geld sei: bei den Weißen.

    Hezekiah Watkins, mit 13 eher zufällig zu den Freedom Riders gestoßen und heute ein wohlhabender Kleinunternehmer in Jackson, meint: So einfach sei es nicht. "Ja, es gibt in Mississippi immer noch viele Vorbehalte gegen Schwarze, aber es gibt auch viele Vorurteile von Schwarzen."

    Der 63-Jährige kämpft gegen das buchstäbliche Schwarz-Weiß-Denken. Die Mehrzahl der Freedom Riders waren Weiße, erinnert er sich. Und heute? Interessierten sich viel mehr Weiße für die Bürgerrechtsgeschichte als die eigenen Leute:

    "Die Weißen wollen, dass ihre Kinder erfahren, wie ihre Großeltern uns behandelt haben und was wir durchgemacht haben, um dort anzukommen, wo wir heute sind. Das ist großartig. Und unsere Kinder? Die müssen das doch auch wissen, und zwar für ihre Zukunft."

    Übrigens: Dass in naher Zukunft eine neue progressive Massenbewegung in Amerika entsteht, glaubt er nicht. Emonee Lewis, 19, kann die Zweifel verstehen:

    "Wahrscheinlich die Mehrheit der Jugend lebt in ihrer eigenen kleinen Welt und interessiert sich weder für das Ausland noch für unsere Geschichte. Aber sollte es noch einmal eine Bewegung geben, dann wären die Freedom Riders und die vielen anderen gewaltlosen Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung wie Luther King das beste Vorbild. Speziell, da wir so schnell zur Waffe greifen und uns in sinnlosen Kriegen bekämpfen, statt zu versuchen, andere zu überzeugen und mit ihnen zusammenzuarbeiten."