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Buy-out

Die Verlagsmeldung des Tages lautet: "Eichborn kauft Europa". Das heißt zunächst einmal, der Europa-Verlag wird verkauft. Das heißt aber nicht, dass der Eichborn-Verlag der Käufer ist. Käufer ist vielmehr Vito von Eichborn, der den Europa-Verlag schon einmal gekauft hat, da aber im Auftrag des Senatorkonzerns, der sich nun aber wegen Insolvenz auf seinen Kern, nämlich auf das Filmgeschäft konzentrieren will. Jetzt also kauft der Europa-Verlags-Geschäftsführer namens Eichborn den Europa-Verlag. So weit, so verwirrend.

Vito von Eichborn im Gespräch | 23.04.2004
    Holger Noltze: Am Telefon ist Vito von Eichborn. Herr von Eichborn, in diesen sogenannten Zeiten einen Verlag zu kaufen, haben Sie sich das gut überlegt?

    Vito von Eichborn: Da ich diesen Verlag seit nun fast vier Jahren betreibe, weiß ich schon sehr genau, was ich da tue. Richtig ist natürlich, dass ich einiges geändert habe und ändern muss gegenüber den letzten Jahren, aber das ist ja längst alles gelaufen.

    Noltze: Was werden Sie tun, was Sie nicht tun konnten, als Sie Geschäftsführer waren?

    Eichborn: Zunächst einmal hatte ich natürlich den Auftrag aufzubauen. Das habe ich auch getan. Jetzt sind wir ein paar weniger Leute; jetzt machen wir den qualifizierten Kleinverlag. Die Auftragsstellung hat sich geändert. Wir sind nicht mehr Tochter eines Konzerns, sondern wir sind ein unabhängiger, kleiner Konzern, und das ändert das Denken.

    Noltze: Was haben Sie bezahlt?

    Eichborn: Das geht nicht, weil es ja keine Preise gibt für so etwas. Es ist die Frage, was man an Lager, an Schulden, an Rechnungen, an Rechten und so weiter übernimmt, wie man das Ganze bewertet und was man an Perspektive übernimmt. Dieses in einer Zahl auszudrücken, ist schlechterdings nicht möglich.

    Noltze: Ihr Ex-Autor Walter Moers hat Ihnen einmal zum Geburtstag als beeindruckendste Eigenschaften "Furchtlosigkeit" und "Frustrationstoleranz" bescheinigt. Was werden Sie mehr brauchen?

    Eichborn: Na eben dieses. Außerdem diese weiteren Eigenschaften: Simultankapazität und Panikresistenz.

    Noltze: Und Inkompetenzkompensationskompetenz.

    Eichborn: Richtig.

    Noltze: Es heißt, der Verlag habe in den letzten vier Jahren den Umsatz verdreifacht. Sind auch schwarze Zahlen geschrieben worden?

    Eichborn: Nein, sind sie nicht, haben wir aber schon in diesem Jahr vor.
    Noltze: Wie machen Sie das?

    Eichborn: Indem die Investitionen der vergangenen Jahre jetzt genutzt werden, und auf der anderen Seite die Kosten eher in einem besseren Verhältnis zum Nutzen stehen. Wir haben die Kosten heruntergefahren.

    Noltze: Das heißt, wenn ich das zusammennehme, was Sie an Strategischem durchblicken lassen: mit einem kleineren, konzentrierteren Programm mehr Geld verdienen?

    Eichborn: Ja in etwa so. Dazu kommt noch so ein kleines, neues Geschenkbuchprogramm, wo ich auch an meine alten Zeiten wieder anknüpfe, weil das im Moment ja keiner mehr macht. So ein paar kleine Frechheiten, von denen ich denke, dass sie ökonomisch sichere Spiele werden. Ich war ja immer ein bisschen bekannt dafür, dass ich auch Grenzen bis zur Geschmacklosigkeit verletze. Wer hat bitte den guten Geschmack gepachtet? Geschmacksverletzungen liebe ich dann, wenn die Zielrichtung stimmt. Da werden wieder ein paar kleine Überraschungen kommen, und die sind ökonomisch eigentlich immer ein sicheres Spiel, weil sich das sonst keiner traut.

    Noltze: Können Sie schon verraten, wo Sie den Geschmack verletzen werden?

    Eichborn: Ich suche an den Rändern, und ich habe an den Rändern die Autobiografie von dem "Hells Angel" Sunny Barger zum Beispiel gesucht. Das war ein Buch, das auf den Tischen aller deutschen Verlage lag und das keiner haben wollte. Bei mir ist es ein richtiger Bestseller geworden. Ich habe die Parodie Barry Trotter. Da gilt dasselbe. Da hat sich niemand getraut, weil alle dachten, das wäre eine Urheberrechtverletzung; ist es aber gar nicht. Sie sehen, es gibt an den Rändern bereits Sachen, die funktionieren. Wenn ich nun beispielsweise mal in Wort und Bild das "Schattenkabinett" von Angela Merkel vorstelle, dann wird das sicher ein erfolgreiches Vergnügen.

    Noltze: Wenn Sie an den Grenzen des Geschmacks oder des Zulässigen operieren, hätten sie ein Buch, wie das von Thor Kunkel "Endstufe" - das ist das mit den angeblichen Nazipornos, das der Eichborn Verlag genommen hat, als Rowohlt es nicht mehr wollte - genommen?

    Eichborn: Ich weiß es nicht, denn ich habe es nicht gelesen, ehrlicherweise. Die Frage, inwiefern der Kunkel falsche Verherrlichungen treibt, oder inwiefern er richtige, provokante Fragen stellt, das weiß ich nicht. Es schmeckt so, als ob ich es auch gemacht hätte. Ich kann da also nicht mit Steinen schmeißen, sondern ich fand es im Prinzip mal richtig, dass die Menschen sich mit diesen Dingen auseinandersetzen können, statt dass es in der Versenkung verschwindet.

    Noltze: Der Europa-Verlag ist ein Traditionsunternehmen, Herr Eichborn, gegründet 1933 in der Schweiz als mediales Gegenengagement gegen die Nazis. Heute ist es breit gestreut, Sie haben es schon gesagt. Da ist Noam Chomsky dabei, Samuel Huntington, aber auch eben Ulrich Wickert und echter Publikumsstoff. Sie wollen das, wenn ich es richtig verstanden habe, noch erweitern. Es ist ein bisschen wie damals bei Eichborn, wo die Mischung von der anderen Bibliothek bis zum "Kleinen Arschloch" und darüber hinaus ging. Man sollte meinen, dass das im Sinne eines eindeutigen Markenkerns doch eigentlich Unsinn ist.

    Eichborn: Na ja, das wurde mir erzählt, als ich den Eichborn-Verlag gegründet und mein eigenes Programm vorgestellt habe, dass dieses nicht ginge. Heute ist nach wie vor der Eichborn Verlag in dieser Größenordnung der Einzige seit 50 Jahren, der es im Publikumsbereich in diese Größenordnung geschafft hat. Aus genau diesem Grund. Kein Mensch interessiert sich für Verlage. Ich auch nicht. Ich kauf doch kein Buch danach, in welchem Verlag es erschienen ist, sondern ich kaufe es danach, ob es mich interessiert. Ich kaufe es nach dem Autor, nach dem Thema oder beidem. Ich glaube an Inhalte und nicht an Marketing.

    Noltze: Er sucht an den Rändern. Vito von Eichborn, bisher Geschäftsführer des Europa-Verlags; jetzt hat er ihn gekauft.