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Cameron nach dem Juncker-Streit
Fröhliches Fiasko

Von seinen konservativen Parteifreunden wird Großbritanniens Premier David Cameron für seine Niederlage im Streit um die EU-Kommissionsspitze als Märtyrer gefeiert. Die Befürworter eines britischen Austritts aus der EU wittern Morgenluft. Der sogenannte Brexit rückt in den Bereich des Möglichen.

Von Jochen Spengler | 02.07.2014
    David Cameron zwischen den Flaggen Großbritanniens und der EU.
    Siegreicher Verlierer? Das Urteil der Briten über David Camerons Brüssel-Kurs ist zwiespältig (dpa/EPA/Julien Warnand)
    Er bereut nichts und er wird von seinen konservativen Parteifreunden im britischen Unterhaus umjubelt. Bewunderung, Gratulation, Stolz auf den Premierminister. David Cameron erläutert vor dem Parlament noch einmal, wieso seine 2-zu-26-Niederlage in der Causa Juncker eigentlich ein moralischer Sieg sei:
    "Konfrontiert mit der Aussicht niedergestimmt zu werden von einigen, die ihre Bedenken vergaßen und mit dem Strom schwammen, glaube ich, dass es wichtig war, das Prinzip und unsere tiefen Sorgen bis zum Ende zu verfechten."
    Dieses Prinzip lautet: Nicht das Europaparlament darf sich klammheimlich Kompetenzen ergaunern und den Kommissionspräsidenten bestimmen, sondern das muss das Recht der gewählten Staats- und Regierungschefs bleiben.
    "Wir werden immer für unsere Prinzipien streiten, unsere nationalen Interessen verteidigen und mit allem, was wir haben, kämpfen, um die EU in den nächsten Jahren zu reformieren."
    Als Nicht-Euro-Land will Großbritannien nicht mehr, sondern weniger Zentralisation, weniger Integration, weniger Europa.
    Er werde solche Bedenken ernst nehmen, versichert Jean-Claude Juncker, nachdem ihm David Cameron als fairer Verlierer telefonisch zur Nominierung gratuliert hat.
    Auch EU-Kommissar Joaquin Almunia beteuert bei einem London-Besuch, dass Brüssel auf Großbritannien zugehen werde; schließlich wäre ein EU-Austritt des wichtigen Landes sehr schlecht und er hoffe, dass sich die Briten für den Verbleib entscheiden werden.
    Mehrheit für den Brexit
    Wolfgang Schäuble sagt es sogar noch netter, als er gegenüber der Financial Times formuliert, dass Großbritannien in Europa historisch, politisch, demokratisch und kulturell absolut unverzichtbar sei. Zwar hört man so etwas gern auf der Insel, doch der Zug fährt längst in die andere Richtung, der sogenannte Brexit rückt näher, der britische Exit. Dafür sind derzeit 47 Prozent der Briten, dagegen nur 39.
    David Cameron ist zwar für einen Verbleib hat aber ein Rein- oder Raus-Referendum bis 2017 versprochen; zuvor will der Konservative das Verhältnis zur EU neu aushandeln, was aber nach dem diplomatischen Fiasko schwerer wird – das gesteht auch der Premierminister selbst ein.
    Doch gerade die nun höheren Hürden für einen Verhandlungserfolg in Brüssel sind der Grund für den Jubel vieler Tory-Hinterbänkler sein; sie wollen keinen Erfolg Camerons, sondern sein Scheitern und den Abschied von der EU. Inzwischen glaubt etwa die Hälfte der Konservativen Fraktion, rund 150 Abgeordnete, dass es Großbritannien ohne EU besser ginge.
    Noch aber ist nicht ausgemacht, dass die Tories im nächsten Jahr weiter als stärkste Partei die Regierungsgeschicke bestimmen können. Verhindern will dies die Labour-Opposition, deren Schatten-Schatzkanzler Ed Balls an Camerons gescheiterter Erpressungsstrategie kein gutes Haar lässt:
    "Ich bin zutiefst besorgt, wo wir stehen. Das Wochenende war eine Katastrophe für Großbritannien und unser nationales Interesse. Ich habe noch niemals so ungeschickte Verhandlungen erlebt."
    Im Parlament bekommt der Premierminister noch mehr Zunder. Charles Kennedy, Ex-Chef des liberalen Koalitionspartners, wirft ihm vor, mit dem Austritt aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei vor Jahren, Einfluss verspielt zu haben. Und Ed Miliband, der Labour-Oppositionschef spottet über David Cameron:
    "Er begann mit einem über die Juncker-Kandidatur gespaltenen Europa und er endete mit einem gegen ihn vereinten Europa. Wie hat er eigentlich diese bemerkenswerte Leistung zustande gebracht?"
    Auch Labour war gegen Juncker als Kommissionspräsident, ist aber klar für die EU-Mitgliedschaft und gegen einen Volksentscheid. Milibands Fazit fällt brutal aus:
    "Der Premierminister ist an Juncker gescheitert. Er wurde überlistet, ausmanövriert und überstimmt. Statt unsere Allianzen in Europa zu schmieden, zerstört er sie. Er ist ein geschlagener Premier, der Großbritannien nichts bieten kann."