Freitag, 19. April 2024

Archiv

Cannabis
Plantage hinter dicken Mauern

Patienten mit schweren Schmerzen können seit ein paar Jahren ganz legal Cannabis zur Therapie bekommen. Krankenkassen müssen dafür die Kosten übernehmen. Produziert werden soll der "Stoff" zukünftig unter anderem in Schleswig-Holstein - unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.

Von Johannes Kulms | 03.01.2020
    Ein Baustelle in Neumünster: Von einem Baugerüst umgeben steht eine kastenförmige Halle
    Baustelle in Neumünster: Hier soll bald Cannabis für medizinische Zwecke angebaut werden (Johannes Kulms / Deutschlandradio)
    Die Halle ist so groß wie ein Fußballfeld und nur spärlich beleuchtet. Irgendwo sitzen etwas verloren vier Bauarbeiter in roter Montur. Gleich ist die Kaffeepause vorbei und dann ruft wieder die Arbeit: Schächte vom ausgelaufenen Beton reinigen. Kompliziert sei das nicht, sagt Andreas. "Also für uns nicht." - "Aber haben Sie schon mal eine Cannabis-Produktionsstätte gebaut?" - "Nee!"
    Das, was hier in einem Industriegebiet nahe Neumünster seit einem knappen Jahr entsteht, ist für alle Neuland. Denn eine kommerzielle Anbaustätte für medizinisch genutztes Cannabis hat es in Deutschland bisher nicht gegeben. Zumindest keine offizielle. Der Gebäudekomplex besteht aus mehreren riesigen Hallen auf zwei Stockwerken. Der 12.000 Quadratmeter große Rohbau ist fast fertig. Von außen sieht er aus wie ein ganz normales Industriegebäude. Das sei durchaus gewollt, sagt Thorsten Kolisch.
    "Größter Tresor Deutschlands"
    "Wir bauen hier den größten Tresor Deutschlands, soweit es uns bekannt ist, wenn nicht sogar der Welt."
    Das Gelände ist schon jetzt weitläufig mit Kameras überwacht, auch im Inneren des Gebäudes werde es dank der Überwachung keine toten Winkel geben. Die Wände sind aus 24 Zentimeter dickem Stahlbeton.
    "Der Hintergrund ist tatsächlich, dass wir mit Betäubungsmitteln arbeiten. Also, Medizinalcannabis wird als Betäubungsmittel eingestuft, das ist wie Opiate. Das kann nicht so einfach zu zugänglich sein."
    Thorsten Kolisch ist General Manager bei Aphria. Das Unternehmen mit kanadischer Konzernmutter hat als eine von drei Firmen den Zuschlag erhalten, im Auftrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte in Deutschland Cannabis anzubauen für Therapiezwecke.
    Profitieren sollen davon Patienten, die unter starken Schmerzen leiden. Zum Beispiel bei Parkinson, Multipler Sklerose. Aber auch bei Krebspatienten kann Cannabis gegen die Appetitlosigkeit helfen. Im Januar 2017 machte der Deutsche Bundestag den Weg dazu frei. Ingrid Fischbach, die damalige Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, sagte bei der Gesetzesverabschiedung:
    "Wir sorgen dafür, dass schwerstkranke Menschen bestens versorgt werden und ihnen auch diese Therapieoption im Rahmen der ärztlichen Behandlung eröffnet wird. Sie können Cannabis verschrieben bekommen, wenn es medizinisch indiziert wird und damit wird ihnen geholfen. Und das, meine Damen und Herren, soll auch Sinn und Zweck dieses Gesetzes sein."
    Autor: Noch braucht es allerdings viel Phantasie, um sich das in Neumünster vorzustellen. Die Halle, in der ab dem kommenden Herbst die Cannabis-Pflanzen wachsen sollen, sieht eher aus wie eine düstere Tiefgarage. Der Rohbau wird sich noch verändern, sagt Thorsten Kolisch.
    Erfolgsrezept für eine gute Ernte
    "Hier kommen Wände rein, hier wird ein Lichtkonzept sein, es wird sehr weiß sein, sehr steril, es wird eher, wie ein Krankenhaus, wie ein Pharmaunternehmen, was wir ja letztendlich denn auch sind, aussehen. Einen Schönheitspreis werden wir hier architektonisch nicht gewinnen."
    Einbruchssicher muss das neue Gebäude sein – und für gute Wachstumsbedingungen der Cannabisblüten sorgen: Die Pflanzen brauchen konstante Temperaturen von etwa 22 Grad, eine Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent und 12 Sunden Licht und 12 Stunden Dunkelheit.
    "Jede einzelne Kammer ist in sich geschlossen, jede Kammer hat ein eigenes, autarkes Lüftungs- und Heizungs- und Kühlsystem."
    Drei verschiedene Cannabis-Arten sollen in Neumünster wachsen. Sie unterscheiden sich durch den unterschiedlichen Anteil der Wirkstoffe Tetrahydrocannabinol, kurz THC und Cannabidiol, CBD. THC könne bei Missbrauch Rauschzustände hervorrufen, CBD wirke entzündungshemmend, sagt Kolisch.
    Hier in Neumünster sei es wichtig, alle drei Pflanzentypen nicht zu vermischen. Viermal im Jahr kann geerntet werden. Ein Dutzend speziell geschulte Gärterinnen und Gärtner sollen dafür eingestellt werden. Während der Arbeit müssen sie spezielle Overalls tragen und Luftduschen passieren, denn das Eintragen von Schadstoffen muss unbedingt verhindert werden.
    "Die Pflanzen stehen auf den Tischen, es sind große Blüten die dann von den Stilen abgetrennt werden in sogenannten Spezialbehältern eingelagert werden und die dann hier an diesem Gang gleich dem nächsten Arbeitsschritt übergeben werden…"
    Noch am Tag der Ernte müssen die Blüten direkt vor Ort verarbeitet werden. Eine Tonne Blüten im Jahr darf Aphria hier zunächst produzieren, knappe 1,5 Tonnen die anderen beiden Unternehmen, die ebenfalls den Zuschlag durch die Bundesbehörden bekommen haben.
    Cannabis-Importe auch in Zukunft nötig
    Thorsten Kolisch rechnet damit, dass in Deutschland mehrere Millionen Patienten leben, für die es einen medizinischen Bedarf von Cannabis gibt. Das hätten nicht zuletzt die Erfahrungen in Kanada gezeigt, wo die Pflanze schon lange als Medizin ganz legal hergestellt wird. Allerdings bräuchte es noch mehr wissenschaftliche Studien, um die Erfahrungen zu untermauern.
    Auch in Zukunft sei man auf Importe von Cannabis-Blüten angewiesen, heißt es vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anfrage. Die Produktion in Deutschland könne den hiesigen Bedarf nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
    Zum Abschluss des Rundgangs zeigt Thorsten Kolisch stolz den "Tresor im Tresor" – zwei große Räume in der Halle, in der später die Blüten zwischengelagert werden. Und die könnten rasch einen Millionenwert haben. Niemand werde hier ins Gebäude einbrechen können, das betont der 50-Jährige an diesem Tag wie ein Mantra. Und statt auf Holz klopft er noch einmal gegen eine der 24 Zentimer dicken Außenwände.
    "Wenn ich mit schwerem Gerät ca. zwei Stunden Zeit bekäme würde ich es tatsächlich schaffen, hier ein Loch durchzukriegen, nach zwei Stunden. Dieses Loch hätte aber tatsächlich nur einen Durchmesser von 20 cm, 30 cm. Um hier reinzukommen, bräuchte ich einen halben Tag, um durchzukommen."
    Die Polizei dagegen soll in zehn Minuten da sein, wenn ein Alarm ausgelöst wird.