Donnerstag, 28. März 2024

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Nebeneinkünfte von Abgeordneten
Carsten Linnemann fordert Verbot von Redehonoraren

Wer im Bundestag sitzt, solle keine neuen, vergüteten Aufsichtsratsmandate und auch keine Redehonorare annehmen dürfen, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Carsten Linnemann, im Dlf. Auch die Transparenz der Nebeneinkünfte von Abgeordneten solle erhöht werden.

Carsten Linnemann im Gespräch mit Philipp May | 16.03.2021
Carsten Linnemann (CDU) spricht bei der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag.
Carsten Linnemann (CDU) (picture alliance/dpa/Dorothée Barth)
Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten seien nicht grundsätzlich falsch, er wünsche sich aber Verbote für einige Formen des Zuverdienst, sagte Carsten Linnemann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Vorsitzender der einflussreichen Mittelstandsunion, im Deutschlandfunk. Linnemann reagierte damit auf die Debatte um Nebeneinkünfte, die sich nach dem Skandal um zwei Bundestagsabgeordnete entwickelt hatte. Nikolaus Löbel und Georg Nüßlein hatten anscheinend Provisionsgeschäfte mit der Vermittlung von Corona-Schutzmasken gemacht und dabei hohe Summen kassiert. Beide sind inzwischen zurück getreten.
Die Affäre werde man "durch Klarheit, durch knallhartes Durchgreifen und Transparenz" weiter aufklären, genau das werde auch schon gemacht. "Das geht über keine Kuhhaut, was da passiert ist", sagte Brinkhaus. Neben dem Durchgreifen in der eigenen Partei, könne man aber auch die Gesetze zu Nebentätigkeiten anpassen. Man könne dort sicherliche einige Transparenz-Regeln ausbauen und auch neue Restriktionen einführen: "Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man im Bundestag sitzt, dass man dann neue vergütete, beispielsweise Aufsichtsratsmandate annimmt, oder – ich gehe noch einen Schritt weiter – Honorare." "Ich würde das verbieten", sagte Linnemann.
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Nach Schlappen in Landtagswahlen: CDU braucht Erneuerung

Linnemann äußerte sich auch zum Zustand der CDU nach den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die Regierungsfähigkeit der Partei sei nicht gefährdet, dass es auch mal schwierige Zeiten gebe, sei normal. Man müsse bedenken, dass die CDU seit 16 Jahren regiere, die Partei brauche nach dieser Zeit auch einen Erneuerungsprozess. Die CDU müsse ihr Profil schärfen und sehr klar und knapp sagen, wohin sie möchte: "Wir brauchen eine neue, klare, ja, ich sage sogar scharfe Programmatik jetzt im Wahlkampf."
Ein wesentlicher Unterschied zur SPD sei, dass die SPD versuche, "Probleme mit Geld zuzuschütten", die CDU hingegen betone einen vernünftigen Umgang mit dem Geld der Bürger. Die CDU müsse betonen, dass sie keine neuen Belastungen wolle. Mittelständler hätten in der Coronakrise viel Eigenkapital verbrannt. Wenn nun wirtschaftlich bessere Zeiten in Sicht kämen, dürfe man diese nicht noch weiter belasten.

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Philipp May: Kann Ihre Partei kein Krisenmanagement mehr?
Carsten Linnemann: Doch! Ich hoffe, dass sie das kann, und wir haben das auch genug bewiesen, auch in den letzten Jahren. Aber das ist wie im Fußball: Es gibt auch mal schwierige Zeiten. Die haben wir jetzt. Die muss man dann auch klar beim Namen benennen. Das wurde gestern gemacht – nicht nur von Seiten der CSU, von Markus Söder, sondern auch von Armin Laschet. Ich war selbst im Bundesvorstand, ohne da zu viel zu erzählen, aber da wurde Tacheles gesprochen. Da wurden die Dinge beim Namen genannt und daraus muss man jetzt lernen.
May: Was auffällt ist, dass insbesondere CDU-geführte Ministerien in der Krise keine gute Figur abgeben, die Corona-Warn-App in der Verantwortung des Gesundheitsministeriums, ebenso wie die Teststrategie. Bei den Impfungen gibt es mehrere Verantwortliche. Wir könnten die EU-Kommission, geführt von Ursula von der Leyen, nennen, oder die deutsche Ratspräsidentschaft. Da kommt die Bundeskanzlerin ins Spiel. Die Auszahlung der Wirtschaftshilfen, Peter Altmaier, Wirtschaftsminister. Alles in der Verantwortung der CDU. Wie erklären sie sich das?
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Linnemann: Wissen Sie, Herr May, dieses Spiel mache ich nicht mehr mit, und ich glaube, die Bürger haben auch keinen Spaß mehr daran, dass man sich gegenseitig hier die Schuld zuweist. Ich könnte Ihnen eine Gegenrede jetzt halten für jeden einzelnen Punkt. Ich könnte beginnen bei den Wirtschaftshilfen. Es war Olaf Scholz, der sich verweigert hat, dieses Instrument den Finanzämtern zu geben, weil die das viel besser können, und vieles mehr. Bei der Corona-App ging es allen Beteiligten nur um den Datenschutz.
May: Und die CDU hat es mitgemacht. Die CDU hat es mitgemacht und Olaf Scholz hat Peter Altmaier das jetzt ja auch nicht verboten, es hinzukriegen.
Linnemann: Ja. Den Vorwurf können Sie uns machen, weil wir zusammen in einer Regierung sind, und deswegen mache ich da nicht mit. Auch der SPD kann ich nur raten, nicht versuchen, den Wettbewerber anzugreifen. Nichts anderes ist die CDU. Das wird scheitern, diese Strategie. Die Kunden interessieren sich am Ende für das Produkt und wenn die SPD kein eigenes Produkt hat, werden sie das auch nicht wählen, auch wenn die SPD die ganze Zeit das andere Produkt schlechtmacht.

Linnemann: CDU steckt in Erneuerungsprozess

May: Welches Produkt hat denn die CDU gerade?
Linnemann: Die CDU ist eine große Volkspartei, die seit 16 Jahren regiert, Herr May – zum Teil sehr erfolgreich. Und ich glaube, es ist ganz normal – und das ist eine unglaubliche Herausforderung –, wenn Sie 16 Jahre regieren, dass Sie innerhalb dieser Regierungszeit sich erneuern müssen. In diesem Prozess sind wir gerade. Der ist nicht einfach, aber wir werden ihn gestalten und wir werden ihn schaffen.
Das ist meine feste Überzeugung, auch nach gestern, weil da nicht um den heißen Brei herumgeredet wurde, sondern es wurde klar gesagt, das Corona-Management muss besser werden, erstens. Zweitens: Wir müssen aus den Fehlern lernen. Die sind gravierend, von der Verwaltungsdigitalisierung hin bis zum Zuständigkeits-Wirrwarr. Und drittens: Wir brauchen eine neue, klare, ich sage sogar scharfe Programmatik jetzt im Wahlkampf – nicht auf 130 Seiten Wahlprogramm, sondern auf zehn Seiten oder auf drei Seiten und zehn Punkte, das wäre mir noch lieber, am besten Hauptsätze, am besten sagen, was man will und was man nicht will. Dann werden wir die Wahl gewinnen.
May: Wofür steht denn die CDU gerade derzeit? Das fragen sich auch viele Wähler. Die SPD beispielsweise, die Sie angesprochen haben, die hat beispielsweise schon ein Wahlprogramm. Sie sagt ganz genau, was sie machen möchte.
Linnemann: Der Unterschied zwischen SPD und CDU ist, dass die SPD versucht, Probleme mit Geld zuzuschütten, und wir versuchen, mit dem Geld der Bürgerinnen und Bürger vernünftig umzugehen. Wir sehen einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Landes und dem, was wir uns leisten können. Herr May, ich will aber gar nicht darum herumreden. Diesen Zusammenhang müssen wir herstellen. Wir müssen klare Punkte schaffen, auch dass wir keine neuen Belastungen wollen. Die ganzen Mittelständler verbrennen im Moment ihr Eigenkapital, zumindest sehr viele, und wenn die das Ufer erreichen und wir durch diese Pandemie gekommen sind, dann wollen wir nicht, dass die dann neue Belastungen haben. Aber darüber hinaus – und da gebe ich Ihnen recht – brauchen wir weitere Punkte. Ich bin beispielsweise für ein Familien-Splitting. Ich bin für ein Gesellschaftsjahr. Ich bin für eine Vorschulpflicht für Kinder, die unterstützt werden müssen. Wir brauchen auch strukturelle Änderungen und vieles mehr, und das müssen wir diskutieren.
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Linnemann: Wahlperiode auf fünf Jahre ausweiten, Kanzlerschaft auf zwei Perioden begrenzen

May: Können Sie verstehen, dass die Wähler anscheinend mehr und mehr darüber nachdenken, die Modernisierung der CDU, die ja 16 Jahre lang Zeit hatte, das Land zu modernisieren, jetzt einfach mal in der Opposition stattfinden zu lassen?
Linnemann: Natürlich wird es den einen oder anderen Bürger geben. Deswegen ist es ja auch für uns eine Herausforderung. Ich sage, Herr May, das übrigens nicht erst jetzt, sondern das sage ich seit Jahren. Ich bin der Meinung, dass wir die Wahlperiode von vier auf fünf Jahre ausweiten müssen, damit wir langfristiger denken, aber gleichzeitig auch die Kanzlerschaft auf zwei Perioden begrenzen, damit die Parteien, die den Kanzler stellen, jeweils unter Druck stehen, sich zu erneuern. Deswegen verstehe ich natürlich die Wähler, aber es ist unsere Aufgabe, dieses zu schaffen mit einem neuen starken Programm und mit einem neuen Team zur Bundestagswahl.
May: Die letzte Koalition, die wirklich reformiert hatte, auch mit einem Kanzler in zwei Legislaturperioden – der ist damals ins Risiko gegangen -, das war Rot-Grün unter Schröder. Man kann jetzt von den Reformen im Einzelnen halten, was man will, aber es gab Reformen. Wieso sollte man ausgerechnet jetzt auf die Union setzen, wenn beispielsweise Armin Laschet ein Modernisierungsjahrzehnt ausruft?
Linnemann: Weil er dieses ausruft, weil Armin Laschet genau erkannt hat, dass es jetzt ein Zeitfenster gibt. Das ist nämlich auch die Wahrheit, Herr May.

"Zuständigkeits-Wirrwarr in Deutschland benötigt ein Ende"

May: Und das gab es vorher nicht?
Linnemann: Gerhard Schröder hat deshalb die Agenda 2010 damals durchsetzen können – das hat Wolfgang Clement mir auch gesagt, der dabei war; die CDU und die CSU hat das konstruktiv begleitet –, weil Deutschland mit dem Rücken zur Wand stand und weil wir viele Arbeitslose hatten. Dieses Zeitfenster haben wir jetzt auch. Wer jetzt nicht erkannt hat, dass das Zuständigkeits-Wirrwarr in Deutschland ein Ende benötigt, dass wir eine Verwaltungsdigitalisierung oder, wie Armin Laschet sagt, eine Modernisierungsoffensive brauchen, der hat nicht verstanden, worum es geht. Das ist meine Hoffnung, an die ich sehr stark glaube, auch davon überzeugt bin, dass wir das Zeitfenster, was wir jetzt haben, wo jeder erkannt hat in Deutschland, dass es so nicht weitergehen kann, dass wir durchreguliert sind, dass wir wieder kreativ und innovativ werden müssen, dass das die CDU und die CSU verstanden haben.
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May: Herr Linnemann, es soll ja auch Menschen gegeben haben außerhalb der Union, die das schon vorher verstanden haben.
Linnemann: Ja, klar! Das ist aber Politik. Wir brauchen immer Mehrheiten. Aber eins ist auch klar: Bei dem Zuständigkeits-Wirrwarr sind wir alle mit in der Verantwortung, auch die Kommunen, auch die Länder. Da regieren auch die Grünen zum Teil und die FDP mit und die CDU. Wir müssen uns insgesamt aus Deutschlands Sicht, sage ich mal, die Frage stellen, hat der Wohlstand dazu geführt auf der einen Seite, dass wir weniger Eigenverantwortung wahrnehmen und mehr Staatsgläubigkeit in den Mittelpunkt stellen, und auf der anderen Seite, dass wir uns, ich sage es einfach mal, zu Tode reguliert haben, damit junge Leute keine Lust mehr haben, sich selbständig zu machen. Ich bin in die Politik gegangen, um dieses zu ändern und nicht zu lamentieren, und daran setze ich jetzt.

Masken-Affäre: "Klarheit, knallhartes Durchgreifen und Transparenz"

May: Die magere Bilanz, das problematische Krisen-Management, das wir derzeit erleben, das ist das eine. Gleichzeitig – das kommt ja auch noch dazu – steht die Union da, als würde ihren Abgeordneten die langjährige Nähe zur Macht nicht besonders gut tun – Stichwort Masken-Affäre. Wie wollen Sie diesen Eindruck verwischen?
Linnemann: Durch Klarheit, durch knallhartes Durchgreifen und Transparenz. Genau das macht Ralph Brinkhaus und Alexander Dobrindt. Das machen die Parteichefs Markus Söder und Armin Laschet und dafür bin ich denen dankbar. Das läuft mir zutiefst zuwider, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen. Was da passiert, ist entsetzlich. Das sind Einzelfälle. Das sage ich Ihnen ganz ehrlich, Herr May, und da müssen wir durchgreifen. Das gibt es auch in anderen Parteien, aber ich will jetzt nicht ablenken. Wir müssen da durchgreifen und dann werden wir das auch packen. Das geht über keine Kuhhaut, was da passiert ist, und da sind wir uns alle in der CDU/CSU-Fraktion einig.
May: Gleichzeitig hat sich aber die Union vor allem gegen schärfere Transparenzregelungen gesperrt, was zum Beispiel die genaue Offenlegung der Nebenverdienste angeht, zum Beispiel auf Heller und Cent. Gibt es da jetzt ein Umdenken bei Ihnen?
Linnemann: Was heißt ein Umdenken? – Es gibt eine unterschiedliche Haltung. Ich finde, wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Ich finde, bestimmte Bereiche – stellen Sie sich mal vor, Sie sind Landwirt, haben Nebeneinkünfte und kommen dann in den Bundestag –, da möchte ich auch, dass Sie weiter Landwirt sein dürfen.
May: Das verbietet einem ja keiner. Es geht um Transparenz.
Linnemann: Ja, genau! Diese Transparenz können wir gerne auch ausbauen. Ich würde sogar noch, Herr May, einen Schritt weitergehen, sage ich Ihnen ganz offen. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man im Bundestag sitzt, dass man dann neue vergütete, beispielsweise Aufsichtsratsmandate annimmt, oder – ich gehe noch einen Schritt weiter – Honorare. Da gibt es selbst bei den Linken Persönlichkeiten, die Hunderttausende von Euro verdienen in einer Legislaturperiode mit Honoraren.
May: Dazu haben wir am Freitag mit Gregor Gysi ein langes Interview geführt.
Linnemann: Ich würde das verbieten, Herr May. Das sage ich Ihnen ganz offen. Ich nehme kein Geld für Vorträge, und wenn man mir was spenden will, dann geht das in die Stiftung. Das sollte Einstellung eines jeden Abgeordneten sein. Da möchte ich gar kein Lob für, sondern das muss die normale Einstellung eines jeden werden.
Gysi: "Zwischen Korruption und Nebentätigkeit gibt es einen Riesenunterschied"
Nebeneinkünfte von Parlamentariern seien nicht grundsätzlich falsch, sagte der Präsident der Europäischen Linken, Gregor Gysi, im Dlf. Dass er als Buchautor und Anwalt nebenbei Geld verdiene, sei nicht problematisch. Hohe Summen zu kassieren, um unredlich Aufträge zu organisieren, sei hingegen falsch.

"Jens Spahn ist ein Reformer"

May: Aber wenn es nur die Masken-Affäre wäre. – Herr Linnemann, Sie gelten als durch und durch korrekt. Das darf man so sagen. Sie gelten auch gleichzeitig als enger Weggefährte von Jens Spahn, nordrhein-westfälischer Landesverband. Empört es Sie nicht, wenn der Gesundheitsminister morgens im Fernsehen die Bürger ermahnt, auf private Treffen zu verzichten, abends dann zum Spenden-Dinner mit den feinen Herrschaften geht und am nächsten Tag positiv auf Corona getestet wird?
Linnemann: Das war nicht in Ordnung und das wird Ihnen so auch Jens Spahn sagen, dass er das so nicht wiederholt. Es war zwar rechtlich okay, aber politisch-moralisch nicht. Aber, Herr May, ich habe ein Problem damit. Kurz vor Weihnachten wird gesagt, Jens Spahn ist der beliebteste Politiker Deutschlands. Jetzt auf einmal kommt Herr Kutschaty und fordert seinen Rücktritt. Da passt doch was nicht zusammen! Ich kenne Jens Spahn seit Jahren. Das ist ein Reformer. Der will nach vorne. Der will das Land nach vorne bringen und hat natürlich auch Probleme mit dem Zuständigkeits-Wirrwarr. Sie haben das mit den Tests angesprochen. Ich will da jetzt nicht drauf eingehen. Aber das finde ich einfach, in Deutschland muss man auch mal durch Krisen gehen können. Der Mann ist ein Macher, der will nach vorne und will das Land nach vorne bringen.
May: Damals im Dezember war das alles noch nicht bekannt, das mit dem Spenden-Dinner. Wir dachten noch, wir bekommen die Impfungen in den Griff. All das entfaltet sich ja jetzt erst in seiner gesamten Pracht. Insofern kann man ja verstehen, dass sich die öffentliche Wahrnehmung dreht.
Linnemann: Ja! Da haben Sie recht, Herr May. Nur es ist manchmal komplizierter. Er wollte ja die Beschaffung voranbringen. Dann hat man ihm das weggenommen, auf die europäische Ebene gesetzt – mit sehr guten Gründen, die ich auch unterstütze, nicht dass man mich da falsch versteht. Aber dann hat es ja gehakt in der Europäischen Union, weil man vielleicht auf Sanofi, auf Frankreich Rücksicht genommen hat und nicht weitergekommen ist. Es ist manchmal nicht so einfach, wie man es macht. Dieses Zuständigkeits-Wirrwarr in Deutschland, das muss beseitigt werden. In Zukunft muss es so sein: Wer die Aufgabe hat, muss auch die Verantwortung dafür übernehmen und dann am Ende auch sagen, ob es funktioniert hat oder nicht.

"In der Breite die Themen abdecken, und das mit Köpfen verbinden"

May: Braucht die Union einen personellen Umbruch auf ganzer Linie?
Linnemann: Wenn wir das jetzt automatisch zur nächsten Bundestagswahl geben – die Ära Angela Merkel ist dann zu Ende. Das wird für uns – das habe ich versucht zu skizzieren in diesem Interview – eine große Herausforderung. Dann werden wir im Sommer – so, denke ich, verstehe ich auch Armin Laschet und Markus Söder – mit einem Team antreten, das die Zukunft dieses Landes wiederspiegelt.
May: Sozusagen ein Schattenkabinett innerhalb der Union?
Linnemann: Beim Schattenkabinett wäre ich immer vorsichtig. Ich wäre dafür, dass es Persönlichkeiten gibt, die für Themen stehen, dass wir das breit aufstellen, dass wir uns als Union nicht verengen, sondern wirklich die Breite einer Volkspartei darstellen. Das ist ja gerade die Stärke der Union, dass wir keine Tiefsee-Bohrer sind, sondern in der Breite die Themen abdecken, und das mit Köpfen verbinden, so wie es Armin Laschet auch in Nordrhein-Westfalen macht. Das wäre für mich meines Erachtens die Erkennungsmelodie, die wir brauchen für die Union.
May: Wie schnell muss jetzt die Kanzlerkandidatur geklärt werden? Hat die Union tatsächlich bis Pfingsten Zeit, oder muss das jetzt zügig vom Tisch, diese Frage und dieses, unser Korrespondent hat gerade gesagt, Belauern der beiden, zwischen München und Düsseldorf wie zwei Pokerspieler?
Linnemann: Das empfinden Sie so. Ich bin mir sicher, dass die beiden das hinbekommen. Die werden sich treffen. Am besten sollten sie nicht vorher sagen, wann sie sich treffen und wo sie sich treffen, und sollten das vernünftig klären. Herr May, ganz ehrlich: Gestern haben mich drei Personen gefragt, heute Morgen eine Person nach dieser Frage. Das waren alles Journalisten. Ich spreche auch mit meinen Kollegen natürlich darüber. Die Frage interessiert brennend. Aber die Bürgerinnen und Bürger interessieren sich im Moment für das Corona-Management, dass das besser wird.
May: Ich werde auch gefragt als Journalist, aber genau über diese Frage. Deswegen gebe ich sie jetzt weiter.
Linnemann: Ja. Ich finde den Zeitplan in Ordnung von Ostern bis Pfingsten. Wahrscheinlich wird es eher Richtung Ostern als Richtung Pfingsten. Dann hat man die Frage geklärt. Man muss sie aber verbinden mit einer klaren Ansage zur Programmatik. Die ist entscheidend. Allein eine Personalentscheidung zu treffen, ohne klare Weichenstellung für die Programmatik im Kern der Zukunft, wird meines Erachtens nicht ausreichen.
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