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Cartoon-Lesung für Deniz Yücel und Co.
"Man braucht Humor, um das alles auszuhalten"

Seit rund 250 Tagen sitzt "Welt"-Journalist Deniz Yücel in der Türkei in Haft, genauso wie Dutzende seiner Kollegen. Als Solidaritätsgeste führen namhafte Karikaturisten in Berlin eine Cartoon-Lesung auf. "Das freut ihn, viele Leute hinter sich zu wissen", sagte Mitorganisator Dominik Bauer im Dlf.

Dominik Bauer im Gespräch mit Adalbert Siniawski | 20.10.2017
    Längst zur Ikone geworden: Das stilisierte Porträt von Deniz Yücel, hier auf einer Kundgebung in Berlin für die Freilassung des inhaftierten Journalisten
    Längst zur Ikone geworden: Das stilisierte Porträt von Deniz Yücel, hier auf einer Kundgebung in Berlin für die Freilassung des inhaftierten Journalisten (presse-alliance/ dpa / Paul Zinken)
    Adalbert Siniawski: Dominik Bauer, eine Cartoon-Lesung: Wie müssen wir uns das vorstellen, Sie gehen auf die Bühne und hoffen auf Ihre Schauspielerqualitäten?
    Dominik Bauer: Eine Cartoon-Lesung ist wahrscheinlich genau das, was Sie sich darunter vorstellen, nur lustiger. Also, wir werfen Cartoons an die Wand und lesen das in verteilten Rollen vor. Das ist immer ein schönes Erlebnis, die Cartoons, die Figuren zum Leben erweckt zu sehen - und zu hören.
    Siniawski: Sind es denn dezidiert politische Cartoons, die sich um das Thema Meinungsfreiheit oder gar Erdogan und die Türkei drehen - oder was wird man dann morgen hören?
    Bauer: Ja, am Samstag wird das mit Sicherheit politisch: Themen wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Menschenrechte, das wird wahrscheinlich keine Zweistunden-Erdogan-Cartoonparade werden, aber, ja, ich bin auch gespannt! Ich weiß noch nicht, was die Kollegen vorbereitet haben, es wird auf jeden Fall ein interessanter, bunter Abend, der hoffentlich viel Aufmerksamkeit erfährt.
    Siniawski: Auch wenn Sie nicht genau wissen, was die Kollegen da präsentieren, werden Sie wissen, was Sie selber machen werden. Wird man da mehr Lachen können oder wird einem mehr der Kloß im Hals stecken bleiben?
    Bauer: Es ist ja niemandem geholfen, wenn irgendwas im Halse stecken bleibt. Also man braucht schon Humor, um das alles auszuhalten. Es heißt zum Glück ja auch von Deniz, dass er seinen Humor unter den Umständen behalten hat. Das ist ein wichtiges Zeichen, dass man nicht aufhört, Witze zu machen und zu lachen.
    "Das Thema im Bewusstsein halten"
    Siniawski: Hatten Sie Kontakt zu Deniz Yücel und auch den anderen inhaftierten Journalistinnen und Journalisten wie Mesale Tolu, zum Beispiel?
    Bauer: Also wir haben über Doris Akrap Kontakt zum Freundeskreis #Free Deniz. Sie wird auch am Samstag da sein und Informationen geben über aktuelle Entwicklungen, aber im Moment haben direkten Kontakt zu Deniz nur Familie und Anwälte, seit acht Monaten jetzt.
    Siniawski: Und was hören Sie da, was ist gerade die Verfassung?
    Bauer: Den Umständen entsprechend ok. Aber es ist natürlich schwer vorstellbar, was acht Monate Isolationshaft mit einem machen.
    Siniawski: Welche Botschaft soll von der Lesung ausgehen?
    Bauer: Das wichtigste Ziel ist natürlich Aufmerksamkeit zu schaffen. Das Thema im Bewusstsein zu halten, wie bei jeder anderen Deniz-Solidaritätsveranstaltung auch. Und ein anderes Ziel ist natürlich, wir machen das tatsächlich für Deniz, also er bekommt auch über seine Anwälte sehr genau mit, was draußen läuft. Und das freut ihn natürlich auch, viele Leute hinter sich zu wissen.
    Siniawski: Je mehr hier getan wird desto mehr hoffen Sie, ihn daran glauben zu lassen, dass die Nation oder zumindest engagierte Leute hinter ihm stehen und hinter den anderen.
    Das Comiczeichner-Duo Hauck & Bauer
    Das Comiczeichner-Duo Hauck & Bauer (© Ralf Lutter )
    Bauer: Genau. Die Masse der Konzerte, Lesungen, Hupkonzerte, macht's natürlich.
    Siniawski: Genau, weil ich mich schon gefragt hatte, welche Wirkung erhoffen Sie sich, warum müssen sich jetzt nach den Musikern, den Journalisten und Schriftstellern und Leuten im Autocorso jetzt auch die Cartoonisten und Karikaturisten äußern.
    Bauer: Ja, jeder macht, was er kann. Wenn wir Akrobaten wären, hätten wir wahrscheinlich eine akrobatische Show für den 21. für Deniz einstudiert.
    Siniawski: Erdogan-Kritik in Karikaturen und Cartoons, das ist in der Türkei erstaunlicherweise noch möglich. "Die Satire in der Türkei ist ungebrochen und besonders kreativ", das sagte uns neulich die Kuratorin, die eine Ausstellung mit türkischen Zeichnungen kuratiert hat. Haben Sie versucht auch türkischstämmige Zeichner und Satiriker, vielleicht auch aus dem Exil, mit ins Boot zu holen für das Event am 21.10?
    Bauer: Haben wir in der Kürze der Zeit tatsächlich nicht gemacht, weil das wirklich innerhalb von ein paar Wochen geboren wurde und da haben wir da jetzt sehr schnell Kollegen, die zur Verfügung standen, gewinnen können für den Abend.
    Siniawski: Weil, es wäre schon gut, Leute, die auch einen türkischen Hintergrund haben, mit im Boot zu haben, oder?
    Bauer: Ja, wäre vielleicht was für einen zweiten Cartoon-Abend.
    "Ich vermute, dass wir heute mehr politische Witze machen"
    Siniawski: Fortsetzung folgt. Die Frage ist natürlich auch, wäre es für die zu gefährlich, an so einer Protestveranstaltung teilzunehmen.
    Bauer: Ja, also wir haben es natürlich als deutsche Cartoonisten vergleichsweise einfach uns zu Wort zu melden, es gehört vergleichsweise wenig Mut dazu für uns, sich dazu zu bekennen.
    Siniawski: Als Duo Hauck&Bauer zeichnen Sie ja unter dem Motto "Am Rande der Gesellschaft" gerne vor allem die Absurditäten des Alltags oft mit sehr spitzer Feder und schwarzem Humor, wie ist das eigentlich generell für Sie als Cartoonisten, ist das eine Zeit, wo sich die Politik noch mehr aufdrängt als früher, die einer bestimmten Kommentierung von Ihnen als Satiriker bedarf?
    Bauer: Man merkt schon, dass sich die Politik immer mehr in den Vordergrund spielt. Politik ist für uns eigentlich ein Thema wie jedes andere auch. Aber es sind natürlich sehr politisch aufgeladene Zeiten und - ich habe nicht nachgerechnet -, aber ich würde auch vermuten, dass wir im Moment mehr politische Witze machen als vor drei, vier Jahren vielleicht.
    Siniawski: Es gibt ein aktuelles Beispiel: Den Brief an die Firma Siemens, die nach einem Milliarden-Deal mit der Türkei sich für Deniz Yücel einsetzen möge, so quasi die Punchline dieses Cartoons. Solche Statements sind für Sie dann eher neu , oder?
    Bauer: Das war natürlich ein sehr außergewöhnlicher Strip, eigentlich auch überhaupt kein Witz, sondern ein offener Brief, auf den es sehr viele Reaktionen gab, leider nicht von der Firma Siemens.
    Siniawski: Hätten Sie sich das erhofft?
    Bauer: Ja, warum nicht?
    Siniawski: Aber gemeldet haben sich dann Sympathisanten wahrscheinlich , oder gab es auch Leute, die sich beschwert haben nach so einem Cartoon?
    Bauer: Nö, da gab es durchweg positive Reaktionen, zumindest die, die an uns herangekommen sind.
    Siniawski: Dominik Bauer, morgen auf der Bühne mit anderen Karikaturistinnen und Cartoonisten zur Soli-Cartoonlesung "Deniz Raus" im Festsaal Kreuzberg, 18 Uhr in Berlin. Die 5 Euro Eintritt werden gespendet an die türkische Zeitung Cumhuriyet. Vielen Dank!
    Bauer: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.