Donnerstag, 28. März 2024

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Cartoonistin Miriam Wurster
"Alle waren Charlie – aber keiner will es bezahlen"

Karikaturen hätten ein unglaubliches Potenzial, mit einem Thema spielerisch und humorvoll umzugehen. Das sagte die Zeichnerin und Preisträgerin des Deutschen Karikaturenpreises, Miriam Wurster, im DLF. Es sei schade, wenn die Medien sich die Karikatur sparen würden. Denn: "Der Cartoon ist ein einzigartiges Medium".

Miriam Wurster im Corso-Gespräch mit Adalbert Siniawski | 11.11.2016
    Die Cartoonistin Miriam Wurster sitzt an ihrem Zeichentisch. Um sie herum sind Postkarten, Skizzen und Pinsel zu sehen
    "Ein Cartoon sollte mehr bieten als das, was in der Sprechblase steht": Zeichnerin Miriam Wurster (Deutschlandradio/Miriam Wurster)
    Adalbert Siniawski: Wie politisch sind Ihre Karikaturen in diesen Zeiten?
    Miriam Wurster: Also bei mir ist es, glaube ich, schon immer eine gewisse Mischung. Ich mache die gesellschaftlichen Situationen, ich mache aber auch Politik. Wobei, eigentlich nicht so sehr diese klassischen Karikaturen, wo womöglich noch draufgeschrieben steht – weiß ich nicht: CDU auf dem Schiff oder auf dem Kahn, der dann im Schlamm stecken bleibt. Ich versuche das schon in eine gesellschaftliche Situation unterzubringen, dass man auch noch etwas zu lachen hat, das ist wichtig.
    Siniawski: Wie sieht das zum Beispiel aus, wenn Sie da eine herausgreifen sollten, die das gerade symbolisiert?
    Wurster: Das ist ja immer das Schlimmste, den Cartoon nachzuerzählen – ich kann ja eigentlich schon keine Witze erzählen. Also ich habe zuletzt einen Cartoon gemacht, da sitzt ein Ehepaar im Café und im Hintergrund laufen Frauen mit Burkas rum. Und der Mann beklagt sich: So viele Burkas! Und die Frau daneben liest Zeitung und sagt ganz trocken: Das sind alles Journalistinnen, die einen Burka-Selbstversuch machen wollen – oder darüber schreiben wollen. Lässt sich schwer erklären, also muss man eigentlich als Bild sehen. Deshalb machen wir Cartoons.
    Ein Stück der Persönlichkeit des Zeichners wahrnehmen
    Siniawski: Ganz markant, finde ich, wenn ich die Karikaturen von Ihnen sehe, ist dieser markante, schwarze Strich für die Konturen. Aber dann so eine weiche Koloratur mit Aquarelltechnik. Sieht ein bisschen nach einem Gegensatz aus.
    Wurster: Das stimmt, das ist teilweise mit Aquarellfarbe entstanden, ich kann es aber auch so ein bisschen imitieren in Photoshop. Ich mag es ganz gern, wenn ein Cartoon eine gewisse Stimmung auch noch transportiert, also wenn noch etwas zu erkennen ist außerhalb von der Sprechblase, wenn mir noch ein bisschen mehr erzählt wird. Für mich, der Idealcartoon, den möchte ich mir an die Wand hängen und dann auch nach zwei Monaten noch gerne draufschauen, weil ich noch etwas entdecken kann oder etwas nachvollziehen kann, vielleicht auch suchen kann, was da noch in der Schwebe gehalten wurde, wenn es noch nicht alles bis zum Ende ausdefiniert ist und ein gewisses Geheimnis noch drin ist.
    Das muss gar nicht unbedingt super gezeichnet sein, das muss gut einhergehen: also die Idee und wie sie umgesetzt ist. Also es gibt ja auch Zeichner oder Zeichnerinnen, die einen extrem rohen, einfachen Strich nutzen und trotzdem ist es nicht gleich flach. Es muss gut zusammengehen und es muss eine Eigenart haben. Ich glaube, das ist mir auch wichtig. Dass man noch ein Stück von der Persönlichkeit oder von der Eigenart von der Person wahrnimmt, die das gezeichnet hat.
    Siniawski: Und wie würden Sie das dann auf sich beziehen sozusagen, welche Eigenart der Person kommt da zum Vorschein? Also wenn ich mir das angucke, was Sie so gezeichnet haben, dann habe ich das Gefühl: Hm, da möchte eine Karikaturistin zur Ruhe mahnen. Da schwebt ja so eine Ruhe drin, nach dem Motto: Moment mal, Ihr Politiker, Manager und Kriegstreiber – ihr verrennt euch! Ist das so ein bisschen Ihr Blick auf die Welt? Oder ist das überinterpretiert?
    Wurster: Hm. Ich haue vielleicht nicht so auf die Kacke, in Anführungszeichen. Ich versuche das eigentlich schon vielleicht auf eine ruhige oder freundliche Art darzulegen, aber es darf ruhig trotzdem eine gewisse Fiesheit dann doch auch zu finden sein. Also ich mag … vielleicht hat es etwas mit Tragikomik zu tun? Oder Gegensätze? Die finde ich spannend im Cartoon.
    "Meine Zeichnungen mache ich grundsätzlich noch von Hand"
    Siniawski: Wie entstehen denn Ihre Zeichnungen: wirklich am PC oder auf Papier?
    Wurster: Meine Zeichnungen mache ich grundsätzlich noch von Hand, ich skizziere herum, ich mache dann eine Art Reinzeichnung mit Tusche – ja, meistens mit Tusche. Entweder mit Pinsel oder Feder. Und dann gibt es die Möglichkeit, entweder das Original weiter zu bearbeiten und direkt mit Farbe reinzugehen, das nehme ich gerne für die Opulenteren, die besonders mit Stimmung arbeiten. Aber die Schnelleren, die vielleicht für die Tagespolitik interessant sind, für die Tageszeitung, die scanne ich ein und mache es dann im Computer bunt.
    Siniawski: Also das Analoge hat schon seine Vorteile, weil es noch mehr Haptik und Gefühl und vielleicht auch Wärme transportiert?
    Wurster: Ich finde es einfach auch schön, nochmal so ein Stück Papier, das es nur ein Mal gibt, in der Hand zu haben. Es gibt ja inzwischen auch fantastisch- wunderschöne Drucke, aber ich würde mal sagen: das Original ist eben original, und das gibt es nur ein Mal. Und ich kann es nicht bis ins Allerkleinste steuern – das ist etwas Besonderes, wie dann die Farbe antrocknet, ob noch so ein Tropfen dunkler bleibt oder wegbricht. Der Pinsel, er lässt sich nicht bis ins Letzte steuern, und das gefällt mir auch gut.
    Eine Zeichnung zeigt eine Ruine eines griechischen Gebäudes, über dem ein Schild steht: Das Orakel von Sanifair. Unter dem Bild steht: Privatisierung in Griechenland.
    Deutscher Karikaturenpreis2015, 2. Platz: Miriam Wurster: "Orakel" (Deutscher Karikaturenpreis)
    Siniawski: Sie sind neben Barbara Henniger und Dorthe Landschulz eine der wenigen Frauen, die beim Deutschen Karikaturenpreis ausgezeichnet wurde. Auch sonst ist ja die Liste der weiblichen Cartoonistinnen und Karikaturistinnen eher kurz. Haben Sie eine Ahnung, warum das so ist – diese Frage wird Ihnen wahrscheinlich häufig gestellt, aber sind Sie zu einem Schluss gekommen?
    Wurster: Uns haben die Vorbilder gefehlt. Und das geht jetzt gerade gut los mit den Frauen, wir haben jetzt eine ganz gute Riege, machen wirklich tolle Cartoons. Es dauert aber leider doch immer noch länger bis sich das durchsetzt, und ich glaube, es gibt immer noch so eine Vorstellung des Menschen, der Karikaturen macht, das ist eigentlich in den meisten Köpfen immer noch der Mann. Das ist so ein Automatismus, und da gibt es noch viel zu tun.
    "Frauen können durchaus witzig sein"
    Siniawski: Warum wird es mit dem Männlichen eher assoziiert?
    Wurster: Weil das bisher die Realität war, weil es, glaube ich, die letzten 20 Jahre sehr, sehr wenige Ausnahmen gab, also Franziska Becker, Marie Marcks, ganz großartig in Frankreich: Claire Bretécher. Aber das sind so die Ausnahmen gewesen, und ich glaube, es wurde sogar angenommen, dass Frauen das eigentlich nicht können, weil sie nicht witzig sind. Und inzwischen hat es sich herausgestellt, dass sie durchaus witzig sein können.
    Siniawski: Mit Ihrer Kollegin Bettina Bexte haben Sie sich zum Duo Mutterwitz zusammengeschlossen – das erste und einzige rein weibliche Cartoon-Duo Deutschlands, hieß es oder heißt es. Welche Erfahrungen haben Sie als Pionierinnen gesammelt?
    Wurster: Das ist eine sehr schöne Ergänzung zur Arbeit alleine. Es ist eine Improvisation, die man zusammen machen kann. Und dadurch, dass die eine eine Situation oder eine Figur vorgibt, die andere muss weitermachen, ergibt sich in der Geschichte Unvorhersehbares. Also wir denken … jeder Mensch denkt anders und es kommt auf jeden Fall etwas anderes heraus, als das, was man sich vielleicht am Anfang gedacht hat.
    Siniawski: Zu Ihren Abnehmern gehört unter anderem die "Taz", "Titanic", der "Weserkurier", aber auch "Spiegel Online" – wobei dort diese Satire-Rubrik "Spam" im August eingestellt wurde, die Sie auch mitbefüllt haben. Ist das symptomatisch für die Medien, dass sie sich den Humor nicht mehr leisten wollen und dann eher sagen: Gut, wir setzen auf das harte Nachrichtengeschäft. Und da muss so eine Gattung wie die Karikatur oder der Cartoon drunter leiden, oder sie wird gestrichen?
    Wurster: Ich kann da ja nicht richtig reinsehen in die Überlegungen. Es gab nach den Attacken auf Charlie Hebdo ja eine unglaublich tolle Resonanz und Solidaritätsbekundung, alle waren Charlie – aber keiner will es bezahlen offenbar. Sehr schade, weil: Der Cartoon hat ein unglaublich tolles Potential, die Themen von einer anderen Richtung noch einmal anzugehen, und spielerisch oder mit Humor verbunden. Das ist schon ein einzigartiges Medium oder eine tolle Möglichkeit, mit einem Thema umzugehen.
    Cartoon muss mehr bieten als das, was in der Sprechblase steht
    Siniawski: Sie verkaufen, wenn ich das richtig gesehen habe, Ihre Illustrationen auch an Unternehmen, die mit den Zeichnungen entweder Werbung machen oder ihre Kalender bestücken oder so. Wie wichtig sind diese Auftragsarbeiten für eine Karikaturistin oder eine Cartoonistin?
    Wurster: Also für mich sind sie ganz entscheidend wichtig, im Grunde, weil die einen guten Teil meines Brotes finanzieren. Es sind, ich würde jetzt mal sagen, eher Illustrationen mit einem komischen Anstrich, es sind jetzt nicht die reinen Cartoons. Aber für mich ist das sehr wichtig. Ich muss mehrgleisig fahren und ich hoffe auf die Spitzenaufträge im Cartoon, die superdotierten, das muss sich eben noch entwickeln.
    Siniawski: Haben Sie bei solchen Auftragsarbeiten auch die volle Freiheit, Ihre Ideen umzusetzen, oder wird Ihnen da ein enges Korsett angelegt?
    Wurster: Das ist natürlich viel enger gefasst, als wenn ich meine freien Cartoons mache. Da muss ich ganz klar Dienstleistung bringen, da muss ich schauen, worum es geht – sei es Dachziegel oder Dachfenster oder so –, dass das auftaucht thematisch und gut in Szene gesetzt wird.
    Siniawski: Und am Ende müssen Sie ja noch Ihren Namen daruntersetzen. Da haben Sie immer ein gutes Gefühl?
    Wurster: Äh, ja. Ich glaube, das mache ich dann schon so, dass ich meinen Namen da noch daruntersetzen mag.
    Siniawski: Was gehört aus Ihrer Sicht zu einem guten Cartoon?
    Wurster: Also ich mag es, wenn der Cartoon mehr bietet noch als das, was in der Sprechblase steht. Wenn mir noch etwas mehr geboten wird – sei es zeichnerisch oder von der Situation her oder ein Hintergedanke, der mir vielleicht noch nicht auf den allerersten Blick klar ist. Das gefällt mir.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.