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Castorf mixt Alexandre Dumas und Heiner Müller

Alexander Scheer, der gefeierte Othello in der Hamburger Inszenierung aus dem Jahr 2004, spielt nun an der Volksbühne Edmund Kean, jenen genialen Shakespeare-Darsteller, der um 1800 vielleicht der erste Star seiner Branche war: vom Bürgertum umjubelt, von der Presse verfolgt, wegen seiner privaten Exzesse und revolutionären Ideen geliebt oder gehasst. Alexandre Dumas hat ihn literarisch verewigt, und Frank Castorf fügt diesem Text noch Heiner Müllers "Hamletmaschine" an, um die Figur mit unserer Gegenwart zu verbinden.

Von Hartmut Krug | 07.11.2008
    Alexandre Dumas Lustspiel aus dem Jahre 1836, in dem mit boulevardesken Mitteln von der Karriere des legendären englischen Schauspielers Edmund Kean erzählt wird, hat Frank Castorf zum Anlass für einen fast fünfstündigen Abend über Schauspielertum und Starkult genommen. Denn Kean, der aus elendsten sozialen Verhältnissen stammte, über eine Provinz-Tingeltangel-Bühne ans Londoner Drury Lane Theatre kam und dort alle großen Shakespearerollen spielte, wurde zwar von der Oberklasse geliebt und von deren Frauen umschwärmt, doch akzeptiert als ihresgleichen wurde er nicht.

    Der Dichter Samuel Taylor Coleridge schrieb über den Schauspieler, "Kean sehen, heißt Shakespeare beim Schein von Blitzen zu lesen", und der exzessiv ausschweifend lebende Kean starb schon 1833 nach Suff und Siechtum im Elend. Jean Paul Sartre fügte in seiner Bearbeitung aus dem Jahr 1953 Fragen nach dem Wesen der Schauspielkunst und nach dem Verhältnis zwischen Bühnen- und Alltagsexistenz des Schauspielers hinzu.

    Für seine Volksbühnen-Inszenierung hat Frank Castorf nun gemeinsam mit dem Dramatiker Lothar Trolle eine ganz neue Version geschaffen. Heraus kam eine bunte theatrale Nummernrevue, die mit einer Ironisierung des boulevardesken Stils der Vorlage beginnt. Auf leerer Bühne, deren Bodenbelag sich wie ein Golfrasen oder eine Straße in halfpipe-Form die Bühnenrückwand hinauf zieht, bilden Schauspieler mit Stellwänden einen Halbkreis, in den nacheinander die Gäste eines Salonabends mit ihren Stühlen treten. Sie unterhalten sich geziert über ihren Alltag und ihre Begeisterung für Kean:

    "Und gestern Abend?

    War ich im Drury Lane Theatre.

    Und was wurde gegeben?

    Hamlet.
    Und wer spielte den Hamlet, Jann?

    Nein. Kean!

    Hätte ich gewusst, dass gestern Ihr Abend war, ich würde um einen Platz in ihrer Loge gebeten haben!

    O wie gern hätte ich Ihre Gesellschaft genossen. Kean war köstlich?

    Köstlich?

    Nein, ich hätte sagen sollen, er war göttlich!"

    Castorf lässt nur Bruchstücke von Dumas Stück übrig, das selbst schon aus einer Vielzahl lose verknüpfter Szenen besteht. In die Handlungsebene mit Keans Liebschaften und Trinkexzessen montiert er viele Szenen, die Erscheinungsweisen des Schauspielerdaseins und des Star-Kults durchspielen.

    Erzählt wird von Alain Delon und von Nico , die wieder "zu Andy und Lou nach New York" will, man redet von Rausch und Drogen, dann wieder wird mit einem Hürdenlauf-Training auf die ständige Wettbewerbssituation des Künstlers angespielt. Das problematische Verhältnis zwischen Schauspieler und Kritiker wird mehr vertändelt als verhandelt, und Wünsche, die sich auf die "ordentliche" Darbietung klassischer Stücke richten, werden veralbert, indem die angesprochenen Stücktitel oder Szenen stets einem falschen Autor zugeordnet werden.

    Die Inszenierung ist grell, laut und formlos und besitzt keinen Rhythmus. Vor allem aber hängt sie zwischen ihren wenigen komischen Nummern immer wieder mächtig durch. Das liegt auch an den Schauspielern, die nur den einen grellen Ton und nur die eine hilflos übersteigerte, zappelige Spielweise kennen. Da nahezu alle schauspielerischen Protagonisten der kriselnden Volksbühne das Haus verlassen haben, musste Castorf extra Alexander Scheer als Gast für die Titelfigur hinzu holen. Dieser gibt, meist in Unterhose, einen suchenden Star, der schließlich, o je, der Künstler gibt seine Existenz für die Kunst, ans Kreuz geschlagen wird. Vorher gibt Scheer aber noch den ganz normalen, wilden Rockstar und tanzt und singt eine hinreißende Mick-Jagger-Parodie.

    In die höfisch-bürgerliche Welt von Dumas Stück sollen mit anderen Texten heutigere soziale Wirklichkeiten eingezogen werden. Doch was einst bei Castorfs "Pension Schöller" mit Heiner Müllers "Die Schlacht" gelang, funktioniert diesmal nicht. Texte von Lothar Trolle, in denen es um Kinderarbeit am Webstuhl und einen Londoner Arbeiteraufstand geht, bleiben unverbundene Fremdkörper.

    Und die Einmontierung langer Passagen aus Heiner Müllers "Hamletmaschine", in denen es um das Leiden an der Konsumgesellschaft geht, führt zur Dekonstruktion von Müllers Texten. Castorf surft mit seinen bekannten Slapstickiaden und Trash-Effekten durch die Szenen, so dass der mit intellektuellem Pathos tief gründelnde Text von Müller plötzlich peinlich komisch wirkt oder, wenn er von sich in einem winzigen Papierhäuschen drängelnden Schauspielern geschrien wird, wie vieles an diesem traurigen Abend inhaltlich wie akustisch kaum verständlich wird.