Meurer: Wer, glauben Sie, wird das Rennen machen heute?
Wehling: Das möchte ich nicht so gerne sagen, weil ich ja in den nächsten Stunden widerlegt werden kann. Sagen wir mal so, Oettinger ist der Mann des Parteiestablishments. Er hat die Fraktion hinter sich, er hat die wichtigsten Vereinigungen innerhalb der CDU hinter sich wie die Junge Union, den Wirtschaftsrat, die kommunalpolitische Vereinigung und so fort, auch Leute wie Wolfgang Schäuble hat er hinter sich, Mandatsträger haben sich auch in der Öffentlichkeit für ihn erklärt. Er hat über die Jahrzehnte hinweg sich ein enges Netz aufbauen können. Die Frage ist, ob er auch das Parteivolk hinter sich hat, denn das war ja aufgerufen und hat sich in hohem Maße, sogar in sensationellem Maße beteiligt. Hier war die Möglichkeit für Frau Schavan gegeben, zu punkten. Es gab sechs Regionalkonferenzen, die sehr hoch besucht waren. Ungefähr zwölf Prozent aller CDU-Mitglieder haben sie dort beide erlebt. Und Frau Schavan hat einen Riesenvorteil, sie ist ein PR-Talent, wenn nicht sogar ein PR-Genie und das hat sie genutzt.
Meurer: Klingt da ein bisschen Sympathie Ihrerseits mit für Frau Schavan?
Wehling: Da halte ich mich raus, ich bin nur Wissenschaftler und versuche zu beurteilen.
Meurer: Wie tief ist der Riss in der CDU?
Wehling: Ich glaube, der wird überschätzt. Denn diese Kandidatenvorstellungen boten in erster Linie eine Möglichkeit, dass das Parteivolk sich einen Eindruck von den Kandidaten verschafft in schwierigen Situationen. Das ist so ähnlich, wir haben da eine große Tradition in Baden Württemberg, wie bei Bürgermeisterwahlen. Alle Gemeinden bieten dort öffentliche Kandidatenvorstellungen an, die sind so stark besucht, dass immer die Gemeindehallen aus den Nähten platzen. Man ist dieses Instrument gewöhnt, man kann damit umgehen und es lässt in der Regel keine tiefen Kluften zurück.
Meurer: Wird nicht jeweils die andere Seite, die unterlegen wird, doch dann der Gewinnerseite Vorwürfe machen, zum Beispiel, dass Günther Oettinger der Königsmörder ist?
Wehling: Ja, das wird man nicht ganz aus der Welt schaffen können. Aber die Partei wird zunächst einmal wie nach einer erfolgreichen Papstwahl auch ein Stück Euphorie haben. Was zurück bleibt, das ist die Frage, Oettinger hat ja angekündigt, wenn er unterlegen ist, zieht er sich aus der Politik zurück. Also diese personelle Konstellation ist dann nicht mehr gegeben und von daher ist es auch eine gute Vorraussetzung für die Partei, befriedet zu sein.
Meurer: Wenn wir jetzt daran erinnern, was auf einer Wahlparty in Stuttgart passiert ist, dass der Staatsminister Palmer regelrecht ausgerastet ist und einem Bundestagsabgeordneten der CDU gleich drei Ohrfeigen verpasst hat. War das nur eine individuelle Tat oder steckte da nicht die gesamte Emotion einer Partei dahinter, die im Zwiespalt sich befindet?
Wehling: Das kann man nicht unbedingt sagen, das war natürlich keine gute Sache, die sich Christoph Palmer da geleistet hat, aber ich würde das auch nicht überbewerten.
Meurer: Sehen Sie zwei Strömungen, für die die beiden Kandidaten stehen, der eine männlich, die andere weiblich, der eine evangelisch, der andere katholisch?
Wehling: Man muss immer bedenken, dass die Mitgliedschaft der CDU nicht identisch ist, nicht deckungsgleich ist mit der Wählerschaft und schon gar nicht mit der Bevölkerung. Wir haben fast 80 Prozent Männer in der CDU und wir haben 58 Prozent Katholiken in der baden-württembergischen CDU dem stehen in der CDU nur 27 Prozent Protestanten gegenüber und die Partei hat auch ein erhebliches Altersdefizit oder ist zu alt vielleicht im Vergleich zur Bevölkerung. Nur 30 Prozent der CDU-Mitglieder ist jünger als 50 und der Durchschnitt ist 56 Jahre alt. Also hier gibt es keine Identität zwischen der Bevölkerung und der CDU-Mitgliedschaft, nicht einmal zwischen der CDU-Mitgliedschaft und der CDU-Wählerschaft.
Meurer: Ist die CDU besonders konservativ im Ländle?
Wehling: Man ist hier im Lande allgemein etwas konservativer als anderswo. Das betrifft beispielsweise ja auch die Grünen, wenn man sich die anguckt, hier gibt es eigentlich nur Realos und es hat beinah nichts anderes hier gegeben. Das ist ein gewisser Grundzug. Man muss sich natürlich hüten, CDU und auch Katholischsein immer mit konservativ zu identifizieren. Ich glaube nicht, dass das das eigentliche Problem war in dieser Abstimmung. Frau Schavan hat zumindest das Image, eine weit vorausschauende Bildungspolitikerin zu sein und Günther Oettinger ist ein Mann der urbanen Mittelschichten von seinem ganzen Lebensstil her. Also das ist etwas schwierig zu beurteilen, extravagant in ihren politischen Auffassungen, sehr himmelsstürmend sind sie nicht, beide nicht.
Meurer: Sie werden also kein Urteil wagen, wer von beiden der konservativere ist?
Wehling: Das ist sehr schwer zu sagen.
Meurer: Wie sehen Sie die Rolle von Ministerpräsident Erwin Teufel, hätte er mit einer anderen Regelung, indem er selber die Nachfolge geregelt hat, der Partei den Urnengang ersparen können?
Wehling: Also er fühlte sich ungerecht behandelt. Seine beiden Vorgänger sind ja wegen Skandalen aus dem Amt geschieden oder haben ihr Amt verloren. Das einzige Argument, dass es gegen ihn gab, so sah er es jedenfalls, war sein Alter, dass er dieses Jahr 65 Jahre alt geworden ist. Für Oettinger war das eine unangenehme Situation, er wartet genauso lange wie Teufel Ministerpräsident ist auf seine Chance, ihm nachzufolgen. In den beiden vorhergehenden Fällen war es ja auch jeweils der Fraktionsvorsitzende, der nachgefolgt ist. Und von daher hat er gedrängt und hat vielleicht auch im Hintergrund einiges dazu getan, dass Teufel in der Öffentlichkeit ein bisschen beschädigt wurde. Das kann man nachvollziehen, dass er sich so verhalten hat. Man kann auch nachvollziehen, dass es Teufel dann als ungerecht verstanden hat. Er hat dann aber die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Er hätte eigentlich sehen müssen, dass seine Stunde gekommen ist und dass er versuchen muss, einen möglichst honorigen Abschied zu finden. Er hat Frau Schavan sicherlich auch aufgebaut als Gegengewicht zu Oettinger, es bedeutet nicht ungedingt, dass Teufel von vornherein am liebsten Frau Schavan als seine Nachfolgerin gesehen hätte. Aber in der Situation musste er gucken, wer kann Oettinger in Schach halten und da hat er sich eben für Frau Schavan entschieden.
Meurer: Ja, danke schön. Das war Hans-Georg Wehling, Politikwissenschaftler an der Universität Tübingen. Auf Wiederhören Herr Wehling.