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CDU-Basis
Keine Angst vor Sozialdemokraten

Während die SPD-Mitglieder sich freuen, endlich selbst mal mitentscheiden zu dürfen, vertraut die CDU-Basis ganz auf altbewährte Meinungsführer. Angst vor der sozialdemokratischen Basisbefragung hat kaum jemand.

Von Michael Brandt | 05.12.2013
    Am Anfang ist es eigentlich wie immer in der CDU Baden-Württemberg. 200 von 70.000 Mitgliedern des Landesverbandes sind in die Donauhallen in Donaueschingen gekommen, um sich von der Parteispitze erklären zu lassen, wo es langgeht. Sie sitzen erwartungsvoll wie vor der Kinovorstellung auf ihren orange gepolsterten Stuhlreihen und blicken gespannt zur Bühne. Das Vertrauen, dass die da oben es schon richtig gemacht haben mit dem Koalitionsvertrag, ist groß. Zumal wenn die da oben, die mit am Tisch gesessen haben, als der Vertrag ausgehandelt wurde, aus dem eigenen Verband kommen:
    "Zum Beispiel der Schäuble und der Kauder / ich denke, aus Sicht der CDU sind viele Punkte gut verhandelt worden / Die Maut begrüße ich, die muss kommen / Die lange Zeit der Verhandlungen ist ein Novum gewesen, und ich würde sagen: ein gutes."
    Nein, zu lange hätten die Verhandlungen nicht gedauert, sagt die Dame in der ersten Reihe, Gründlichkeit geht vor Geschwindigkeit. Nein, zu sozialdemokratisch sei der Koalitionsvertrag nicht, sagt ein älterer Herr mit Strickjacke eins weiter hinten, denn gegen einen Mindestlohn von 8,50 Euro hat im Hochlohnland Baden-Württemberg auch in der CDU kaum einer was:
    "Mindestlohn sollte kommen. / Ich wäre für 10 Euro, nehmen sie 8,50 und 160 Stunden im Monat, da kommen dann 1.350 Euro raus und wenn Sie dann noch Steuerklasse 1 sind, dann kommen 750 Euro raus. Davon kann kein Mensch leben!"
    Großes Vertrauen in Wolfgang Schäuble
    Die da oben lassen nicht lange auf sich warten und vor allem einer wird mit lautem Applaus empfangen, als er in den Saal rollt: Finanzminister Wolfgang Schäuble. Ihm, dem Dinosaurier aus dem Bundeskabinett und dem Abgeordneten aus dem Nachbarwahlkreis vertrauen die Menschen hier tief. Wenn er redet, hängen die Parteifreunde fest an seinen Lippen. Dann meldet sich die Dame aus der ersten Reihe zu Wort und spricht aus, was den ganzen Saal zu bewegen scheint:
    "Herr Dr. Schäuble, also meine allergrößte Sorge ist, wie man immer wieder in der Presse liest, dass die SPD das Ministerium für Finanzen für sich beanspruchen will. Können Sie da meine Befürchtungen zerstreuen?"
    Das aber kann oder will der amtierende Bundesfinanzminister an diesem Abend noch nicht, über das Personal soll bekanntlich erst nach dem 3. Advent gesprochen werden. Aber beruhigen will er die Dame und den Saal immerhin ein bisschen:
    "Im Koalitionsvertrag steht vieles, aber es steht halt auch drin, dass soweit sie nicht als prioritär gekennzeichnet sind, aus den jeweiligen Ressorts gegenfinanziert werden müssen."
    Schäuble, wie üblich im grauen Anzug, ist an diesem Abend ungewöhnlich locker. Hier ein Spruch über die SPD, dort eine Bemerkung über den Mittelstand und dann sogar ein Satz, den Karl Valentin so sagen hätte können:
    "Die meisten Menschen dürfen länger leben, werden also älter. Das ist ja leider verbunden, man kann nicht länger leben, ohne alt zu werden."
    Doch die Basis will ihre Parteispitze nicht nur feiern an diesem Abend, im Laufe der Zeit werden auch kritische Fragen laut: Warum wurde nicht mehr für den Mittelstand getan? Wie ist es mit der EEG-Umlage? Wird der Strom für baden-württembergische Firmen noch teurer? Musste das mit der Erleichterung der doppelten Staatsbürgerschaft wirklich sein? Ein Mann greift nach dem Saalmikrofon: Warum stehen im Koalitionsvertrag solche Passagen, fragt er:
    "Wie zum Beispiel die Stärkung der Rechte von Transsexuellen oder Intersexuellen, oder, ich sag mal, das Thema Homophobie …"
    , … die im Koalitionsvertrag entschieden verurteilt wird. Es gibt sie also noch, die alten Vorurteile in der ländlich geprägten Südwest-CDU. Aber es gibt auch Annette Widmann-Mauz, die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Frauen, Familie und Gleichstellung, die ihrem Parteifreund mal eben den Kopf zurechtrückt:
    "Wenn es darum geht, dass Menschen diskriminiert werden wegen ihrer sexuellen Orientierung oder wegen ihrer sexuellen Identität, dann finde ich, steht es uns gut an, sie vor dieser Diskriminierung zu schützen."
    In der CDU Baden-Württemberg wird wieder diskutiert
    Fakt ist aber, dass diskutiert wird. Das war bei der CDU Baden-Württemberg lange Zeit keineswegs selbstverständlich. Über Homophobie, über Windkraft, über Biogasanlagen, ja sogar über Elektrosmog und die Frage, was die neue Koalition dagegen machen will. Selbst Landesvorsitzender Thomas Strobl zeigt sich sichtlich überrascht. Als er vor zwei Jahren sein Amt antrat, war genau das sein Ziel:
    "Die Mitglieder haben zugehört, sie haben sich geäußert, es war lebendig, ich fand es auch total informativ, also das ist genau so, wie ich die CDU Baden-Württemberg haben möchte."
    Aber so weit, dass auch die CDU-Mitglieder - wie ihre künftigen politischen Freunde von der SPD - ebenfalls über den Koalitionsvertrag abstimmen wollen, - ging in Donaueschingen die Diskussionsfreude noch nicht.
    "Ich bin überzeugt, dass die SPD Mitglieder in Breite lang nicht dieses Ding durcharbeiten können, das kann man gar nicht, da braucht man Meinungsführer / Ich gehe davon aus, dass eigentlich diejenigen, die wir gewählt haben, da schon eine ganz gute Entscheidung getroffen haben."
    Und die Möglichkeit, dass die SPD-Mitglieder gegen den Koalitionsvertrag stimmen? Daran wollte hier kaum einer denken. Und wenn es doch passiert? Auch nicht so schlimm, ist hier zu hören. Denn wenn es mit der SPD geht, muss es mit den Grünen doch erst recht gehen. Jetzt, nachdem Jürgen Trittin dort nicht mehr in der ersten Reihe sitzt. Denn hier im Südwesten gibt es seit vielen Jahren Berührungspunkte zwischen den eher konservativen Grünen und der eher fortschrittlichen CDU. 2005, nach der Wahl von Günther Oettinger, stand kurzfristig sogar eine schwarz-grüne Koalition zur Debatte. Eine die damals ein gewisser Stefan Mappus beendete. Aber den gibt es bekanntlich nicht mehr in der Südwest-CDU.
    "Mit Schwarz-Grün kann man leben / Wäre auf jeden, jeden Fall denkbar, die Verhandlungen sind ja auch bei den Themen gut gelaufen, man muss auch mal schauen, wie es jetzt in Hessen läuft, aber da schaut's ja ganz gut aus, auf jeden Fall denkbar, ja!"