Dienstag, 19. März 2024

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CDU in Thüringen
"Unvereinbarkeitsbeschluss wenigstens umgangen"

Für die thüringische CDU werde sich durch die Unterstützung der linken Landesregierung die Situation nun weiter verschärfen, sagte André Brodocz, Politikprofessor an der Universität Erfurt. Denn der Landesverband sei weiter gespalten - eine Neuwahl "wäre die bessere Lösung gewesen".

André Brodocz im Gespräch mit Philipp May | 22.02.2020
Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring steht links vor vielen Mikrofonen von Journalisten und hält eine rote Mappe in der Hand
CDU-Fraktionschef Mike Mohring: "Er hat zumindest einen wesentlichen Anteil" an der jetzigen Situation, sagt der Politologe André Brodocz (imago / Karina Hessland)
André Brodocz hat an der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt den Lehrstuhl für Politische Theorie inne.
Philipp May: Wer ist hier jetzt wem mehr entgegengekommen?
André Brodocz: Alle sind sich entgegengekommen. Wie wir es eben gehört haben, die CDU wollte partout keine Neuwahlen, hat diese soweit wie möglich hinausgezögert. Dafür kommt sie jetzt der Linken entgegen und wählt, entgegen allen Beschlüssen, entgegen allen Bekundungen, Bodo Ramelow - vermutlich müssen wir sagen - in Kürze zum Ministerpräsidenten.
May: Und dann gibt es eine - mehr oder weniger - Minderheitsregierung. Ist das auch die beste Lösung für Thüringen?
Brodocz: Ich glaube nicht, dass das die beste Lösung für Thüringen ist. Man tut an diesem Tage so, als ob die letzten Wochen nicht gewesen sind. Wenn man sich unmittelbar nach der Wahl so zusammengesetzt hat, wie man sich die letzten drei, vier Tage zusammengesetzt hat und wäre mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit gegangen, hätte das eine gewisse Rationalität gehabt. Nach allem anderen, was nach der Wahl passiert ist, nach dem permanenten Positionswechseln, dem Ausschließen und Ähnlichem, was wir gehört haben, erscheint das leider nicht mehr rational. Die große Chance, dass die Wählerinnen und Wähler die Gelegenheit bekommen, die Handelnden hier zur Rechenschaft zu ziehen mithilfe von Wahlen, vorgezogenen Neuwahlen, möglichst schnell, die ist jetzt leider Gottes erst mal vom Tisch.
Neuwahl "wäre die bessere Lösung gewesen"
May: Also Neuwahlen – da verstehe ich Sie richtig –, das wäre die bessere Lösung gewesen, also so etwas, was die Linkspartei vorgeschlagen hat, Lieberknecht als Übergangsregierungschefin und dann innerhalb kürzester Zeit Neuwahlen?
Brodocz: Genau, das wäre sicherlich die beste Lösung gewesen an dieser Stelle. Wir müssen aber auch sehen, dass die Linke bei der Frage mit schnellen und nicht schnellen Neuwahlen in den letzten Wochen auch immer wieder changiert ist. Am Anfang war man auch stark dafür, es braucht unbedingt eben diese Minderheitsregierung, um keine Neuwahlen zu haben. Als das nicht möglich war, hat man dann gesagt, zuerst Neuwahlen, jetzt geht man wieder dahin zurück, dass Bodo Ramelow doch erst Ministerpräsident wird. Auch das ist nicht durchgängig wirklich überzeugend.
Bodo Ramelow (Die Linke), Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis90/Die Grünen), und Raymond Walk (CDU) begrüßen sich im Thüringer Landtag.
CDU-Landrat: "Von Thüringen gehen neue Impulse aus"
Man habe sich "auf die AfD eingelassen und gemeint, das sei Bürgerlichkeit", sagte CDU-Landrat Werner Henning im Dlf. In Thüringen könne man aber "eher mit den ungeliebten Linken ein Menschenbild beschreiben als mit der Höcke-AfD". Jetzt komme es darauf an, was man aus dieser neuen Zusammenarbeit mache.
May: Könnte diese Konstellation nicht auch Chancen beinhalten, also es wird jetzt mehr oder weniger so eine Projektregierung mit einer informellen Zusammenarbeit zwischen CDU und rot-rot-grün?
Brodocz: Diese Projektregierung umfasst natürlich vor allen Dingen immer politische Projekte, die mit einem Mehr in der Regel an Geld für bestimmte Akteure verbunden sind, auf die sich alle einigen. Wir haben jetzt schon gehört, dass vor allem die Kommunen entsprechende Mittel bekommen sollen, die auch nötig sind. Dem können alle zustimmen. Das sind alles unstrittige Projekte. Eine einzige strittige Frage, nämlich die der Schulpolitik, dort hat man sich darauf geeinigt, da gar nicht ranzugehen. Es bleibt im Grunde so, wie es ist, an dieser Stelle. Darüber hinaus wird nicht so viel passieren. Die CDU wird gelähmt sein ein Stück weit, bis der Haushalt beschlossen ist. Sie wird keine Eigeninitiativen ansonsten einbringen können. Das hat sie offensichtlich schon zugesichert. Deswegen weiß ich gar nicht, wie sie sich in dieser Zeit tatsächlich dem Wähler als Alternative zu einer Regierung positionieren will.
"Unvereinbarkeitsbeschluss wenigstens umgangen"
May: Dann kommen wir mal zur CDU. Der Unvereinbarkeitsschluss, den es ja immer noch gibt, der Union, was die Zusammenarbeit mit den Linken angeht, der ist jetzt hinfällig?
Brodocz: In Thüringen hat man den ersten Eindruck. Auf der Bundesebene wird man mit Sicherheit beteuern, dass das nicht der Fall ist. Die ersten Reaktionen aus dem Bund stehen noch aus offensichtlich, was das angeht. Aber wir müssen uns klarmachen, hier wird in der Tat – das wurde im Bericht ja auch im Vorfeld schon gesagt – der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU wenigstens umgangen, hintergangen, gebrochen. Wir haben die ersten Reaktionen in Erfurt darauf heute, die ersten Demonstrationen dagegen von Wählerinnen und Wählern, die sich mit der CDU anderes versprochen haben. Die sind schon angekündigt und werden heute Nachmittag hier stattfinden.
May: Wo Sie es gerade sagen, ich sehe gerade, es gibt eine erste bundespolitische Reaktion, und zwar von Jens Spahn, der hat gerade getwittert, "eine Wahl von Bodo Ramelow durch die CDU lehne ich ab. Wir sind als Union in einer Vertrauenskrise, die letzten Wendungen aus Thüringen kosten weiteres Vertrauen. Es geht jetzt um die Substanz unserer Partei, nicht nur in Thüringen." Volle Zustimmung des Politikwissenschaftlers?
Brodocz: Ich würde ihm da in der Tat zustimmen. Wir haben natürlich einmal die große Problematik, wie wir jetzt sehen, dass die Bundes-CDU dadurch getrieben wird von dem Landesverband Thüringen. Aber wir müssen auch sehen, das ist keine Einheit im Landesverband der CDU in Thüringen in dieser Frage gibt, sondern er ist weiter gespalten. Das Problem wird weiter verschärft werden.
"Damit hat die CDU das nächste Problem auf dem Tisch"
May: Das heißt, weiter gespalten, die würden eher lieber mit der AfD als mit der Linkspartei, oder ist das wirklich fifty-fifty?
Brodocz: Die genauen Anteile kann man schlecht abschätzen, ob es fifty-fifty ist oder ein Drittel, zwei Drittel, aber es gibt sicherlich in einer relevanten Größenordnung Mitglieder, Sympathisanten aufseiten der CDU, für die eben jegliche Zusammenarbeit mit der Linken aus den bekannten historischen Gründen völlig ausgeschlossen ist und die dann in einzelnen Projekten, so wie wir das heute hören, gerne offen sind, mit der AfD zu regieren. Diese Stimmen werden jetzt lauter werden. Man wird in der CDU fordern, warum können wir nicht genauso vernünftig in einzelnen Projekten mit AfD gemeinsam Politik machen, wenn wir das mit den Linken können. Und damit hat die CDU hier auch das nächste Problem auf dem Tisch.
May: Also die Beantwortung der Richtungsfrage innerhalb der CDU in Thüringen und dann auch irgendwann im Bund, die steht immer noch aus.
Brodocz: Die steht immer noch aus, genau.
May: Kommen wir noch mal zur Schuldfrage, Herr Brodocz. Heute Morgen war bei uns der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski im Interview in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Und er hat sich auch zur Schuldfrage für das Desaster gerade aus Unionssicht geäußert. Spielen wir das mal kurz ein.
Tankred Schipanski: Der eigentliche Fehler lag doch bereits nach der Landtagswahl, dass der Landesvorsitzende einmal nach links, einmal nach rechts geblinkt hat, mit den Linken geliebäugelt hat, mit der AfD. Dass es dann zu den Ereignissen am 4. Februar gekommen ist, das ist doch das eigentliche Problem, was wir jetzt beheben müssen.
May: Tankred Schipanski, Bundestagsabgeordneter der CDU aus Thüringen. Ist es so einfach, wie er sagt? Mohring hat es vergeigt?
Brodocz: Er hat zumindest einen wesentlichen Anteil daran. Das würde ich genau so sehen. Wir haben es eben ja schon gehört, es war unmittelbar am Wahlabend schon, die Endergebnisse lagen noch gar nicht vor, da hat man sich schon offen gezeigt für die Linke. Als der erste Protest aufkam, hat man sich auf einmal offen gezeigt in andere Richtung. Er hat diese Dynamik überhaupt nicht mehr in den Griff bekommen. Das besonders Ärgerliche und Dramatische für ihn besteht meines Erachtens darin, dass das im Sommer schon absehbar war, diese hochkomplizierte Situation. Die Umfragen haben sehr deutlich gemacht, dass jede Regierung in Thüringen nach der Landtagswahl auf Linke oder auf AfD angewiesen sein wird. Den ganzen Sommer hat er so getan, als ob er hier noch eine Vierparteienkoalition unter Führung der CDU vielleicht erreichen könnte. Selbst dafür hat er sich nicht stark eingesetzt. Man ist offenen Auges in diese Situation gegangen. Und danach hatte man den Eindruck, insbesondere nach dem 4. Februar, war die erste Devise: Augen zu und durch.
"Mohring hat die Zeit damit verbracht, keine Verantwortung zu übernehmen"
May: Andererseits sagt Mohring ja auch immer, auch nicht ganz zu Unrecht, er hat auch nie wirklich Beinfreiheit von der Bundespartei bekommen. In der Union wurde immer vom ersten Moment an eben auf den Unvereinbarkeitsbeschluss mit den Linken bestanden, wohlwissend, dass es dann im Prinzip überhaupt gar keine Chance gibt, für die Union irgendwie eine konstruktive Rolle zu spielen.
Brodocz: Man sieht an dem Beispiel sehr gut, dass es womöglich nicht klug ist, dass die CDU im Bund für alle Landesverbände diese Frage mitentscheidet. Das hat nämlich den Effekt, dass die Landesverantwortlichen sich, wie in diesem Fall, hinter die eigene Verantwortung, sozusagen aus dieser eigenen Verantwortung stehlen können. Sie können immer darauf verweisen, der Bund aber verbietet uns, ich kann das hier nicht entscheiden. Ich glaube, es könnte für die CDU sehr ratsam sein, zu sagen, wir haben eine Position im Bund zur AfD, und die Landesverbände haben in ihren jeweiligen Regionen ihre Position zur AfD. Weil dann endlich die Landespolitiker tatsächlich diese Verantwortung bekommen in dieser wichtigen Frage. Und dann hoffentlich auch, wenn solche Fragen anstehen, auch Verantwortung übernehmen. Mike Mohring hat die letzten Wochen insbesondere die Zeit damit verbracht, keine Verantwortung zu übernehmen in irgendeiner dieser relevanten Fragen. Dieser Mechanismus, der Unvereinbarkeitsbeschluss, hat ihm dort paradoxerweise sogar in die Karten gespielt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.