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CDU-Innenpolitiker Schuster
"Wir haben auch in europäischen Großstädten Anschläge"

Nach dem schweren Anschlag in Kabul hat der CDU-Politiker Armin Schuster die deutschen Sammelabschiebungen nach Afghanistan verteidigt. Solange man Bundeswehrsoldaten nicht abziehe, müsse man nicht über einen Abschiebestopp diskutieren, sagte er im DLF. Es handele sich um eine Form des Terrorismus, den man auch in Europa erlebe.

Armin Schuster im Gespräch mit Silvia Engels | 31.05.2017
    Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster.
    Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. (imago / Christian Ditsch)
    Silvia Engels: Aus der noch laufenden Innenausschuss-Tagung ist der Obmann der CDU, Armin Schuster, kurz herausgekommen. Guten Tag, Herr Schuster.
    Armin Schuster: Guten Tag, Frau Engels.
    Engels: Greifen wir den Schluss unseres Beitrags direkt auf. Wird denn der ursprünglich vorgesehene Abschiebeflug für heute nach Afghanistan nun abgesagt?
    Schuster: Ja, definitiv. Der wird verschoben. Heute geht kein Flugzeug. Das hat auch was damit zu tun, dass die deutschen Beamten in Afghanistan, die für diese Abschiebung dann dort zuständig wären, jetzt ganz andere Sorgen haben und Prioritäten.
    Engels: Bringt das auch ein neues Umdenken, ob diese Abschiebeflüge noch weitergeführt werden sollten, weil dieser Anschlag so schwer war und auch in einem sehr gesicherten Viertel stattfand?
    Schuster: Das tun wir im Auswärtigen Amt sowieso immer. Diese Lagebewertungen zur Sicherheit in Afghanistan, die finden, ob mit oder ohne solche Anschläge, permanent statt, weil wir uns natürlich der Verantwortung schon bewusst sind.
    Aber, Frau Engels, ich muss noch mal sagen: Solange wir angesichts der Gefährdungslage in Afghanistan unsere deutschen Beamten nicht abziehen – und das werden wir wahrscheinlich auch heute nicht tun -, können Sie sich vorstellen, dass wir jetzt eher von einer Verschiebung sprechen als von einem kompletten Stopp.
    "Abgeschobene Menschen kommen in sichere Regionen Afghanistans"
    Engels: Aber es ist ja so, dass die Afghanen – das kritisieren ja Menschenrechtsorganisationen immer wieder – natürlich, wenn sie zurückkehren, nicht auf einen solchen Schutz setzen können, wie die Beamten vor Ort dann unter Normalumständen doch erfahren.
    Schuster: Da spricht natürlich jetzt die Praxis dagegen, weil wir nicht einfach nur Menschen nach Afghanistan abliefern und sie sich selbst überlassen, sondern genau das ist ja die Aufgabe der deutschen Beamten, dass diese abgeschobenen Menschen in Regionen in Afghanistan kommen, wo sie sicher sind, die wir auch als sicher beurteilen. Und da wir das jetzt nachhaltig schon länger machen und dort auch keine negativen Erfahrungen sammeln, sehe ich im Moment noch keinen Anlass, da etwas zu ändern.
    Wie gesagt: Natürlich ist Afghanistan ein Land, das nicht die Sicherheit hat wie Deutschland, aber wir haben unsere Soldaten dort, wir haben unsere Beamten des Auswärtigen Amtes dort und Flüchtlingshelfer. Solange wie die nicht abziehen, denke ich, muss man auch über Abschiebungen nach Afghanistan weiter reden, und ich gehe davon aus, wir machen im Moment einen Flug pro Monat, dass wir das fortsetzen werden.
    Engels: Das bezieht sich dann auch auf die Region Kabul, die weiterhin als sicher gewertet wird?
    Auch in europäischen Großstädten gibt sehr heftige "Anschläge"
    Schuster: Ja. Ich kann jetzt dem Auswärtigen Amt nicht vorgreifen, aber Sie können sich sicher vorstellen, so bitter diese Aussage ist, aber wir haben mittlerweile auch in etlichen europäischen Großstädten Anschläge, die sehr heftig sind. Das ist mittlerweile eine Form des Terrorismus, den wir ja nicht nur in Ländern erleben wie Afghanistan. Hier geht es eigentlich darum, einen internationalen erfolgreichen Bekämpfungsansatz zu machen. Deswegen war ich im Übrigen auch immer ein Kritiker des doch sehr schnellen Abzugs aus Afghanistan. Wir haben die Aufgabe, nicht nur in Kabul, auch in London, Manchester, Berlin und wo auch immer Terrorismus wirksam zu bekämpfen.
    Engels: Nun ist aber natürlich ein Anschlag wie heute in Kabul zumindest ein Hinweis darauf, dass eine Frage Abschiebung nach Afghanistan letztendlich auch eine Abschiebung auf Leben und Tod werden kann, auch wenn das natürlich niemand beabsichtigt.
    Wenn wir jetzt mal den Blick auf diesen Bericht, der über die Arbeitspraxis des BAMF ja heute vorgelegt wurde, richten. Hat da gerade auch die Prüfung, was Afghanistan angeht, vielleicht noch enormen Nachbesserungsbedarf?
    BAMF-Mitarbeiter werden "arglistig getäuscht"
    Schuster: Ich habe sogar den Verdacht, dass es nicht nur Afghanistan betrifft. Bei den Syrern haben wir ja so eine Quote von eher knapp 20 Prozent, wo man davon ausgehen muss, dass man noch mal nachprüft. Bei den Afghanen sind es 46. Ich möchte lieber gar nicht fragen, wie es bei Nordafrikanern etc. aussieht. Der Grund liegt auf der Hand. Leider gehen ja nicht alle Asylsuchenden mit uns fair um, vorsichtig formuliert. Da steckt oft auch Täuschungsabsicht und kriminelle Energie dahinter. Und es ist eine beliebte Methode, sich als Syrer auszugeben, obwohl man das gar nicht ist. Von daher ist es völlig klar, dass die Prozentzahlen sich so verhalten. Ich bin, ehrlich gesagt, davon überzeugt, dass das Bundesamt für Migration – ob das vorwerfbar ist, muss man noch diskutieren – nicht die Sicherheits- und Gefahrenabwehr-Sensibilität hat für diese Aufgabe, wie wir sie brauchen.
    Warum hat sie das nicht? Weil die Menschen, die dort arbeiten, seit Jahr und Tag sich in der Verantwortung für humanitäre Asylentscheidungen sehen und es für sie, glaube ich, ein neues Phänomen ist, dass sie in nennenswertem Umfang, ich sage es mal, arglistig getäuscht werden. Du brauchst heute in diesem Amt leider, wenn zwei Drittel ohne Identitätspapiere kommen, fast ermittlerische Fähigkeiten, um herauszubekommen, stimmt das eigentlich, was uns da vorgetragen wird.
    Engels: Um das noch mal geradezurücken. Die Prüfung, die jetzt stattgefunden hat, bezog sich ja auf die Positivbescheide. Das heißt, es gibt natürlich das von Ihnen beschriebene Problem, dass jemand einen positiven Bescheid bekommt und hier bleiben kann, obwohl er eigentlich keinen Status bekommen hätte. Jetzt ist aber auch die Kritik von Menschenrechtsorganisationen gerade heute wieder auch mit Blick auf Afghanistan zu hören, um hier fair zu sein, müsste man eigentlich, auch wenn da Mängel auftreten, noch mal durch die abgelehnten Entscheidungen durchgehen, weil da möglicherweise in diesem Fall vielleicht Afghanen, aber auch Syrer aus dem Bürgerkriegsland dabei waren, denen man zu Unrecht ihren Schutzstatus vorenthalten hat.
    Schuster: Ja, man muss halt eine Prioritätenentscheidung fällen. Ich sage es Ihnen ganz offen: Nach dem, was ich gerade gehört habe, sind die Dokumentationsprobleme doch so gravierend, dass ich jetzt mal schlichtweg sagen würde, wir müssen mit Sicherheit 80 bis 100.000 Fälle nachprüfen.
    Engels: Das waren auch nur Positivbescheide?
    Schuster: Das sind nur Positivbescheide.
    Engels: Das heißt, im Zweifel für die Abschiebung?
    Schuster: Genau. Ich spreche mal nur von den Positiventscheidungen. Die negativen Entscheidungen, da leisten wir uns jetzt mal den Vorteil, dass die von den Betroffenen, wenn die sich hier falsch entschieden fühlen, sowieso den Rechtsweg haben. Das heißt, bei den Negativentscheidungen haben wir ja ganz oft den Rechtsweg. Das landet ja ganz oft vor deutschen Gerichten. Deswegen haben wir da, wenn Sie so wollen, eine juristische Nachprüfung.
    Bei allen Positiventscheidungen haben wir das nicht und deswegen halte ich es für richtig, wenn der Innenminister sagt, ich konzentriere mich im Moment auf die Positiventscheidungen. Und ich sage mal, wenn er das richtig macht, dann muss man die Top-zehn-Länder nehmen, die bei uns einreisen. Dann geht es für mich in allererster Linie um junge alleinreisende Männer, 18 bis 40 Jahre alt, und das ist eine Zahl, wenn Sie 2015 und 2016 zusammennehmen, rund 100.000, die da nachgeprüft werden müssen. Gegebenenfalls muss der Asylbescheid widerrufen werden.
    Engels: Eine genauere Prüfung könnte ja auch wieder mit längeren Wartezeiten auf Bescheide und dann längeren Aufenthalten von Asylbewerbern zu tun haben. Aber man wäre vielleicht wieder treffsicher, wer bleiben kann und wer nicht. Aber das will die CDU im Wahlkampf nicht riskieren?
    Schuster: Frau Engels, da sprechen Sie genau mit dem. Ich bin einer der ganz wenigen, die von Anfang an die Verdreifachung des Personals im Bundesamt für Migration innerhalb weniger Monate für blauäugig gehalten hat. Dass jetzt übrigens in Ihrem Vorbericht ausgerechnet der innenpolitische Sprecher der SPD, Burkhard Lischka, sich jetzt aufschwingt zu kritisieren, wie schlecht es mit dem Personal im BAMF laufe, das setzt dem Fass fast den Boden auf. Die SPD, insbesondere er hat damals einen immensen Druck gemacht. Wer nicht schnell genug auf dem Baum war, sollte im BAMF eingestellt werden, wenn es nach der SPD gegangen wäre. Ich habe immer gebremst und viele in der CDU; es war mit dem öffentlichen Druck kaum auszuhalten.
    "BAMF hat Geschwindigkeit den Vorzug gegeben"
    Man glaubte damals, das BAMF mit Entscheidern und Anhörern vollzumachen, das löse das Problem. Das habe ich nie geglaubt. Jetzt haben wir das Problem, dass Qualität nachrangig beurteilt wurde und Geschwindigkeit der Vorzug gegeben wurde. Und dass bei Qualität im BAMF das Thema Sicherheit eine ganz hohe Rolle spielt, das muss man allerdings sagen, das lernen wir, weil der Umfang derer, die uns vielleicht nicht die Wahrheit sagen, doch größer ist als mancher glaubt. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass das BAMF dringend und schnell externen Sachverstand braucht bei der Prüfung. Ich glaube nicht, dass man durch eine Schulung, Schnellschulung den jetzigen Mitarbeitern dort die Sensibilität geben kann, die ein Beamter des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei oder des Bundesamtes für Verfassungsschutz hätte. Ich hätte gerne, dass diese drei Behörden ab sofort viel intensiver in sicherheitsrelevante Vorkommnisse und auch Verdachtsfälle mit einbezogen werden.
    Engels: Armin Schuster, innenpolitischer Obmann der CDU im Innenausschuss. Wir sprachen mit ihm über die Prüfung von Asylanträgen unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Afghanistan. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Schuster: Ich danke Ihnen, Frau Engels.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.