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CDU mit muslimischer Wunderwaffe

Die Christdemokraten aus Hagen sind republikweit ins Rampenlicht geraten: Sie werden erstmals in der CDU-Geschichte eine Muslimin für den Bundestag aufstellen. Während sich einige Unionsmitglieder Neuwähler von der 34-jährigen Cemile Giousouf erhoffen, fürchten andere Stimmenverlust.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 07.03.2013
    "Meine sehr verehrten Damen und Herren! In weniger als sieben Monaten wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Entscheidende Themen werden soziale Gerechtigkeit, Wirtschaft und Finanzen und die Eurokrise sein."

    Es klingt nach Schülerreferat: Cemile Giousouf, Ponyfrisur, große Designerbrille, elegantes graues Kostüm, steht am Rednerpult und ist nervös. Die 34-jährige Christdemokratin, die noch nie in dieser Region gelebt hat, will für Hagen und den südlichen Ennepe-Ruhrkreis in den Bundestag einziehen. Ganze 15 Minuten hat sie, um in ihrer Bewerbungsrede den großen Bogen von Berlin nach Ölkinghausen zu schlagen:

    "Ich habe den Ennepe-Bogen besucht, bin durch die Altstadt von Schwelm gelaufen und habe das Gewerbegebiet Ölkinghausen durchfahren."

    Dass sich Giousouf gelegentlich verhaspelt, schluckt und tief Luft holt, ist vergessen, als sie nach acht Minuten und dreißig Sekunden endlich den richtigen Nerv trifft. Die gut 80 Delegierten haben bisher keinen Mucks von sich gegeben. Jetzt aber fällt Giousouf ein ganzer Felsstein vom Herzen:

    "Die alte Hansestadt Breckerfeld ist die kleinste Stadt im Wahlkreis und macht deutlich, wie gute Fü…, CDU-Führung aussehen kann. Sie ist schuldenfrei und sehr stolz darauf. … Ich habe den Ennepe-Bogen besucht."


    "Was für ein spannender Abend.", meint nun Werner Reinhardt, der Gegenkandidat. Ein freundlicher Protestant. Der 62-Jährige ist seit Langem kommunalpolitisch engagiert, und wenn er schon in eine Kampfkandidatur ziehen muss gegen eine junge Muslimin, die in Hagen weder politisch noch privat verwurzelt ist, dann will er wenigstens eines in seiner Rede noch mal klarstellen:

    "Immer wieder wurde deutlich, wie wichtig es den Menschen ist, dass ihre Interessen in Berlin von einem Kandidaten vertreten werden, der in seinem Wahlkreis beheimatet ist."

    Es nützt alles nichts. Eine gute halbe Stunde später steht das Ergebnis fest:

    "Auf Frau Giousouf entfielen 53, auf Herrn Reinhardt 26 (Stimmen)."

    Erleichterung macht sich breit angesichts des klaren Ergebnisses, sind doch die Christdemokraten aus Hagen republikweit ins Rampenlicht geraten. Nicht nur, weil sie in der gesamten CDU die erste Muslimin für den Bundestag aufstellen, sondern auch wegen der Art und Weise, wie diese Personalie auf den Weg gebracht wurde.

    Ein Teil der Basis murrt über die Strippenzieher im Hintergrund: den örtlichen Kreisvorstand, das Deutsch-Türkische Forum der CDU, und - die Spitze der Landespartei. Cemile Giousouf hat die Rückendeckung von NRW-Parteichef Armin Laschet. Beide stammen aus der Aachener CDU. Martin Reinhardt, der Sohn des Kandidaten Werner Reinhardt, redet anstelle seines Vaters Klartext und greift den Landesvorsitzenden frontal an:

    "Ich werfe Herrn Laschet zum einen vor, dass es höchst bedenklich ist, wenn ehemalige Mitarbeiterinnen auf gute Listenplätze bei Bundes- oder Landtagswahlen gesetzt werden – an den Parteigremien hinweg und an der Parteibasis vorbei. Es ist ein Stück weit Vetternwirtschaft."

    "Also erstens ist aus Düsseldorf nichts gesteuert worden", sagt hingegen Armin Laschet:

    "Und ich stelle sogar manchmal fest, dass die Muslime, die sich jetzt in der CDU engagieren, das christliche Menschenbild, das, wofür die CDU steht, besser kennen als manche anderen Mitglieder. Und insofern habe ich auch in Hagen festgestellt, erkennen viele inzwischen an, Cemile Giousouf ist jemand, der genau zu unseren Werten passt."

    Seit seiner Zeit als Landes-Integrationsminister gilt Laschet in der CDU als Vorreiter einer modernen Integrationspolitik. Es ist sein Beitrag zur parteiinternen Wertedebatte.

    "Also die CDU hat den Anspruch, Volkspartei zu sein. Wir stellen fest, dass wir inzwischen in den Großstädten zehn bis zwölf Prozent Zuwanderer haben."

    In Hagen sind es sogar 23 Prozent.

    "Und da ist es wichtig, dass die CDU Menschen hat, die genau diese Gruppe ansprechen. Die Republikaner in den USA haben die Erfahrung gemacht, dass sie am Ende nur noch gewählt wurden von weißen alten Männern."

    Arthur Hubricht, weißhaarig und 84 Jahre alt, fühlt sich angesprochen. Der Vorsitzende der Hagener Senioren-Union stellt unumwunden fest, die CDU sei nicht reif für Migranten, auch wenn Cemile Giousouf für ihn persönlich "ein netter Kerl" ist. Hubricht ist kein "Haudrauf", was ihn antreibt, ist die Sorge um seine CDU. Und um die Chancen bei der Bundestagswahl – denn einige Parteifreunde, sagt Hubricht, denken jetzt laut nach, ob sie Cemile Giousouf ihre Stimme geben sollen:

    "Ich bemühe mich jetzt, meine Leute dazu zu animieren, wenn ihr die schon nicht wählen wollt, wählt um Gottes willen aber die Zweitstimme, die Partei. Denn ich höre in der Zwischenzeit bereits Gemunkel, dann gehen wir doch nicht mehr zur Wahl! Das wäre falsch, denn das wäre eine Konsequenz, die ich unter gar keinen Umständen haben möchte."

    Allen Bedenken zum Trotz: Cemile Giousouf strahlt am Ende des Abends. Wenn sie über ihre Agenda spricht, ihre Partei, oder warum sie der CDU beitrat, klingen ihre Sätze gelegentlich noch etwas gestelzt, aber sie hat Ausstrahlung. Das findet auch Traute Heimhard. Die Delegierte aus Hagen steht kurz nach der Abstimmung wenige Meter neben der frisch gekürten Kandidatin und ist begeistert:

    "Frauenpower! Wir hoffen, dass sie auch Wähler anspricht, Neuwähler, die sonst nicht (in) der CDU wählen würden."