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Peter Hintze und seine Position zur Sterbehilfe

Anders als viele seiner Parteikollegen nimmt Peter Hintze bei der Diskussion um die Sterbehilfe eine sehr liberale Position ein. Der CDU-Politiker - von Haus aus evangelischer Theologe - setzt sich dafür ein, die ärztliche Beihilfe zum Suizid zu erlauben. In seinem Wahlkreis in Wuppertal ist das hoch umstritten.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 21.08.2014
    Peter Hintze, Bundestagsvizepräsident
    Peter Hintze (CDU), Bundestagsvizepräsident (dpa / Karlheinz Schindler)
    "Seien Sie alle herzlich willkommen mal zunächst."
    Hans-Georg Heldmann ist bestens vorbereitet. Der 81-Jährige, sonnengebräunt, weißer Haarkranz, kariertes Hemd, hat elf Parteifreunde der Wuppertaler Seniorenunion zusammengetrommelt. Es herrscht dringender Gesprächsbedarf. Thema: Sterbehilfe
    "Heute ausnahmsweise sind wir mal im Café Extrablatt im Südwestflügel des Wuppertaler Rathauses zusammengekommen, um dieses Thema, das Herr Hintze angeschnitten hat, zu diskutieren."
    Herr Hintze, Vorname Peter, vertritt Wuppertal im Bundestag, ist sogar Vizepräsident des Hohen Hauses, enger Vertrauter von Angela Merkel und in der CDU ein einflussreicher Strippenzieher. Im politischen Berlin also kein Mann, der ein Thema nur mal "anschneidet".
    "Er wollte heute auch normalerweise da sein, der hat aber eine derartige Vielfalt von Terminen, dass er das zeitlich nicht geschafft hat."
    Heldmann und Hintze: Seit Jahrzehnten sind sie einander persönlich bekannt. Man duzt sich. Und nimmt sich beim Wort. Deshalb ist den Herren der örtlichen Seniorenunion, die nun bei Sprudel und Brause beisammensitzen, auch völlig klar, dass der Vorstoß von Peter Hintze zur Sterbehilfe einer klaren Strategie folgt.
    "Er hat auch das Ohr von Angela Merkel. Ich weiß das daher, dass eine Enkelin von mir mal in seinem Bundestagsbüro mitgejobbt hat, und da weiß sie, der ist zigmal von der Angela Merkel angerufen worden! Also ... er hat Einfluss, zweifellos."
    Wohldosierte Interviews
    Direkt nach der Sommerpause will der Bundestag beginnen, über die Sterbehilfe in Deutschland zu diskutieren. Ohne Fraktionszwang. Die Abgeordneten sollen allein ihrem Gewissen folgen - das hält Peter Hintze allerdings nicht davon ab, ein bisschen auf die Meinungsbildung in der CDU einzuwirken. Mit wohldosierten Interviews wirbt der 64-Jährige dafür, die ärztliche Beihilfe zum Suizid gesetzlich zu erlauben.
    "Wenn die CDU sich in diesem Sinne festlegen würde, wäre es nicht mehr die CDU, die es vorher gewesen ist, das muss man auch mal sehen."
    Hans-Jürgen Lichtenberg, Bundeswehr-Offizier im Ruhestand, sitzt am Kopf des Bistro-Tisches in Wuppertal und hält von einer Liberalisierung der Sterbehilfe nichts. Auch Felix Piechocki, der vor einem halben Jahr seine Frau verloren hat, argumentiert als Christ. Wenn das Leben einen Sinn hat, hat auch der Tod einen Sinn, sagt der 86-Jährige:
    "Ich habe meine Frau zwölf Jahre lang gepflegt, und ich habe nie den Gedanken jemals gehabt, dass man nachhelfen muss. Wir haben es so geschafft."
    Hans Joachim Wülfing winkt in die Runde, damit er jetzt mal angehört wird. Ich bin auch Christ, sagt der 78-Jährige, und gerade deshalb für Sterbehilfe:
    "Ich teile nicht die Meinung von Herrn Lichtenberg, dass das nicht dem christlichen Menschenbild entspricht. Und ich glaube auch, dass es sehr christlich ist, einem Menschen zu helfen, von seinen Leiden erlöst zu werden."
    Hans-Jürgen Lichtenberg hört sich das an, und dann fällt ihm der Präsident der Bundesärztekammer ein. Was der sagt, findet Rentner Lichtenberg nämlich wesentlich klüger als das, was Parteifreund Hintze vorschlägt.
    "Schaun Sie, die Ärzte als solche lehnen es doch grundsätzlich ab ... Montgomery, der nun genau dem widerspricht, was Peter Hintze hier sagt. Palliativmedizin ist so weit fortgeschritten, dass es im Prinzip keine Schmerzen mehr geben kann!"
    Das sieht nun wiederum Hans-Georg Heldmann völlig anders:
    "Es geht um Qual, und dass man diese Qual von Menschen in Würde beendet."
    Die rechtliche Grauzone in Deutschland müsse beendet werden
    Heldmann, amtierender Vorsitzender der Seniorenunion, sieht die Sache genauso wie Hintze. Die rechtliche Grauzone in Deutschland müsse beendet werden, Ärzte bräuchten eine legale Grundlage, und ein Sterbehilfegesetz solle ja nicht für psychisch Kranke gelten, sondern für Menschen mit unerträglichen Schmerzen am Ende ihres Lebens. Die Herrenrunde im Café Extrablatt kommt jetzt richtig in Fahrt. Niemanden lässt das Thema kalt. Was ist mit verwirrten Demenzkranken, will Hans-Jürgen Lichtenberg als nächstes wissen. Und: Was wird mit ihm selbst einmal sein?
    "Ich bin jetzt 75. Mein Gott nochmal, irgendwann geht's nicht mehr. Und dann sagen irgendwelche Leute, wenn ich in irgendeinem Heim bin: Du musst jetzt mal sehen, dass Du die Türe zumachst. Dann entsteht ein entsprechender öffentlicher Druck auf das Individuum, und das wird eben vermieden, wenn ich keine Gesetze dieser Art habe, die den Tod organisieren."
    Kanzlerin plädiert für sehr "restriktive Regelung"
    Räuspern, Nicken, genuschelte Zustimmung macht sich breit in der Runde Die bestehende Rechtsunsicherheit findet keiner gut. Ein Gesetz tut also not: Nur, soll es passive Sterbehilfe erlauben oder verbieten? Die Diskussion am Bistrotisch verläuft im Kleinen so, wie sie im Großen gerade die gesamte CDU erfasst: Hintze dafür, Herrmann Gröhe dagegen, Angela Merkel offenbar irgendwo dazwischen. Die Kanzlerin und Parteivorsitzende plädiert für "eine sehr restriktive Regelung" und für einen Ausbau der Palliativmedizin. Eine klare Position klingt anders. Sollte vielleicht die Parteibasis mal befragt werden? Nein, man ist ja nicht bei der SPD.
    "Dafür haben wir einen Bundesparteitag, der wird entscheiden, und insofern ist unsere Basis schon sehr demokratisch", meint Hans-Jürgen Lichtenberg. Außerdem werden sie in Wuppertal ja intensiv weiter mitreden, denn Peter Hintze hat jetzt eine Mail geschrieben an Hans-Georg Heldmann und hat sich angemeldet für den 1. Oktober. Spätestens dann wird weiterdiskutiert.