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CDU-Politiker Hardt zu Syrienkonflikt
"Am Ende des Tages muss es einen UN-Friedensplan geben"

Im Syrienkonflikt führe letztlich an einem UN-Mandat für eine Sicherheitszone kein Weg vorbei, sagte der CDU-Politiker Jürgen Hardt im Dlf. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Außenminister Heiko Maas (SPD) sollten klären, wie der Weg zu einer Friedenslösung aussehen könne.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Jasper Barenberg | 28.10.2019
Jürgen Hardt (CDU) spricht bei der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude.
Jürgen Hardt ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag (dpa / Michael Kappeler)
Der Vorstoß von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) für eine international gesicherte Schutzzone in Syrien sei zwar spätestens seit der Vereinbarung von Sotschi zwischen Russland und der Türkei gegenstandlos, mit der in Südost-Syrien Fakten geschaffen worden seien, sagte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt im Dlf. Aber am Ende des Tages werde es einen UN-Friedensplan für Syrien geben müssen - und dann müsse auch Russland Farbe bekennen. Zunächst sollte geklärt werden, dass auch die fünf europäischen EU-Mitglieder im UN-Sicherheitsrat und die USA einen solchen Vorschlag unterstützen, sagte Hardt.

Das Interview mit Jürgen Hardt in voller Länge
Jasper Barenberg: Dass es zwischen den Koalitionspartnern, zwischen Union und SPD kracht, ist wahrlich nicht neu und es ist auch nicht so ungewöhnlich. In der Außenpolitik aber gilt eigentlich die Regel: Die Bundesregierung spricht mit einer Stimme. Daran allerdings hatte sich schon Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht gehalten, als sie ihren Vorschlag für eine international kontrollierte Schutzzone in Nordsyrien letzte Woche öffentlich machte. Prompt folgte Kritik vor allem aus der SPD, und bei der Pressekonferenz in Ankara jetzt von Sozialdemokrat Heiko Maas das Urteil "kein realistischer Vorschlag; von eher theoretischem Charakter". Im Klartext: Die Initiative ist nicht mehr der Rede wert, sollte man wohl abhaken. - Am Telefon ist Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Einen schönen guten Morgen.
Jürgen Hardt: Guten Morgen, Herr Barenberg.
"Klarmachen, dass es eine Alternative gibt"
Barenberg: Herr Hardt, eine Sicherheits- oder Schutzzone unter dem Mandat der Vereinten Nationen und mit Beteiligung der Bundeswehr und möglicherweise weiteren europäischen Partnern ist nach Lage der Dinge tatsächlich unrealistisch. Was ist an dieser Aussage eigentlich falsch?
Hardt: Derjenige, der die größten Probleme mit einer solchen Sicherheitszone hätte, ist der Verbündete von Präsident Erdogan, nämlich Präsident Putin und Russland, der letztlich in diesem Bereich Syriens die Kontrolle ausübt. Ich glaube, dass unabhängig davon, wie man die Durchsetzungsfähigkeit dieses Vorschlages UN-Schutzzone bewertet, man doch deutlich machen sollte, gerade gegenüber denjenigen, die jetzt in diesem Teil der Welt schalten und walten, wie sie das für richtig halten und dabei Völkerrecht verletzen, wovon ich überzeugt bin, dass man ihnen klarmacht, dass es eine Alternative gibt, die dieses Mandat, was die Türkei sich da anmaßt, ersetzen könnte. Und es wäre, glaube ich, gut gewesen, wenn Heiko Maas zwar gesagt hätte, er sieht es als schwierig an, das durchzusetzen, aber wenn er bei der Linie geblieben wäre, dass das letztlich die goldene Lösung, der Königsweg für dieses Problem gewesen wäre. Denn so haben sich auch die sozialdemokratischen Kollegen in der letzten Woche im Bundestag eingelassen: Große Skepsis bezüglich der Durchsetzungsfähigkeit dieses Vorschlages, aber dass jetzt jemand gesagt hätte, wenn es dazu käme, wäre es keine gute Sache, das habe ich auch nicht vernommen.
Barenberg: Ich möchte Ihnen gerne mal vorspielen, was uns Volker Perthes gestern gesagt hat im Interview der Woche hier im Deutschlandfunk, der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik – einer Einrichtung, die spezifisch dafür gedacht ist, mit ihrer Expertise die Bundesregierung zu beraten. Volker Perthes hat in dem Interview gelobt, dass es eine Initiative, ein stärkeres Engagement Deutschlands außenpolitisch gibt. In seinem Urteil aber ist er dann sehr klar:
O-Ton Volker Perthes: "In anderer Hinsicht glaube ich, dass für Syrien, noch dazu für Nordsyrien der Vorschlag gegenstandslos geworden ist, spätestens als Russland und die Türkei sich in Sotschi darüber geeinigt haben, diese Zone selber zu kontrollieren und zu patrouillieren. Und dass Russland als permanentes Mitglied des Sicherheitsrats sich dies durch einen deutschen Vorschlag qua UN-Mandat wieder abnehmen lassen würde, muss man nicht erwarten."
Zukunft Syriens ist nicht von Putin und Erdogan zu bestimmen
Barenberg: Soweit die Einschätzung von Volker Perthes. – Sollte man diese Realität nicht anerkennen und dann versuchen, wie es der Außenminister ja offenbar beabsichtigt hat bei seinem Besuch in Ankara, von diesem Punkt aus, die Türkei ist dagegen, Russland ist dagegen, die USA wollen sich nicht beteiligen, dann zu versuchen, Verbesserungen zu erreichen?
Hardt: Die USA haben zunächst einmal politische Unterstützung signalisiert für diesen Vorschlag, und wenn es tatsächlich im UN-Sicherheitsrat zur Abstimmung über ein präzises UN-Mandat für diese Region käme, bin ich mir nicht sicher, ob die Vereinigten Staaten von Amerika gemeinsam mit Russland dagegen stimmen würden. Deswegen ist die Frage der politischen Unterstützung das eine und die Frage, wie der Einsatz dann am Ende umgesetzt werden würde, eine andere, die dann zu klären ist.
Porträt des Direktors der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Volker Perthes
SWP-Direktor Volker Perthes - "Der Vorschlag Kramp-Karrenbauers ist gegenstandslos geworden"
Der Vorschlag einer international kontrollierten Schutzzone in Nordsyrien sei mit der Einigung zwischen Russland und der Türkei gegenstandslos geworden, sagte der Politik-Experte Volker Perthes im Dlf. Dennoch könne der Vorstoß von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nützlich sein.
Ich glaube, dass Herr Perthes recht hat mit seiner Einschätzung, dass durch die Situation, durch die Vereinbarung von Sotschi jetzt in Nordostsyrien zunächst einmal Fakten geschaffen worden sind, aber auch im Blick auf den Friedensprozess, der ja in Genf mühsam beginnt, und im Blick auf die Zukunft des Landes kann es doch keinen Zweifel daran geben, dass es am Ende des Tages einen UN-mandatierten Friedensplan für das Land geben muss, in dem nicht Putin und Erdogan bestimmen, wie die Zukunft Syriens ist, sondern die Menschen, die in Syrien leben und die dorthin als Flüchtlinge vielleicht auch wieder zurückkehren wollen. Das ist das Ziel, was wir haben. An den Vereinten Nationen, an einem Mandat des UN-Sicherheitsrats für Syrien wird es eines Tages nicht vorbeigehen, und da wäre es gut, wenn der Sicherheitsrat auch über einen solchen Vorschlag einer Sicherheitszone diskutieren würde. Ich könnte mir vorstellen, dass man gemeinsam, die Verteidigungsministerin und natürlich der Außenminister zunächst einmal klären, dass vielleicht die fünf EU-Mitglieder, die Mitglied des UN-Sicherheitsrates sind, einen geschlossenen Vorschlag machen, dass man die Amerikaner für die politische Unterstützung gewinnt, und dann muss Russland Farbe bekennen, ob es bereit ist, das ein Stück weit mitzutragen, oder ob sie klar Nein sagen, aber damit auch die Verantwortung dafür auf ihre Schultern laden, dass der Zustand, wie er jetzt ist, völkerrechtswidrig bleibt.
Ausgang des Genfer Friedensprozesses steht in den Sternen
Barenberg: Ich verstehe Sie richtig, Herr Hardt? Sie plädieren jetzt auch erst einmal dafür, dass die beiden Minister, die sich in dieser Sache eingelassen haben, zunächst mal untereinander klären, was eigentlich ein gemeinsamer Vorschlag der Bundesregierung sein sollte? Und da ist auch mit einbegriffen, dass die Federführung für Sicherheitspolitik zweifellos in der Bundesregierung beim Bundesaußenminister liegt, dass Heiko Maas hier die Fäden in der Hand hält und sie auch in der Hand halten sollte?
Hardt: Natürlich liegt die Außenpolitik beim Außenminister. Aber hier ist ja ein Vorschlag von Annegret Kramp-Karrenbauer unterbreitet worden, der so oder so ähnlich über Monate und Jahre auch in der EU immer schon mal wieder diskutiert wurde – November 2016, meines Wissens. Ich vermute, dass auch die deutsche Bundesregierung daran mitgewirkt hat. Und, dass es ja keine andere Alternative gibt als die, einfach abzuwarten, ob der Genfer Friedensprozess zu einem Ergebnis führt. Und ich sage, auch der Ausgang des Genfer Friedensprozesses steht sehr in den Sternen. Wir wünschen uns alle, dass es vorankommt. Wir sind auch ein Stück optimistisch. Aber wir sind weit von einem Erfolg entfernt. Den einen Vorschlag als unrealistisch abzudiskreditieren, aber einen anderen Vorschlag, der ebenfalls ausgesprochen viele Fragezeichen noch mit sich bringt, als die einzige Lösung anzukündigen, halte ich auch nicht für seriös, zumal beides ja nicht im Widerspruch zueinander steht. Es gibt entweder den Vorschlag von Annegret Kramp-Karrenbauer, oder es gibt keinen Vorschlag für eine besondere deutsche und europäische Rolle im Syrien-Konflikt. Das muss man bedenken. Sie wendet sich ja nicht gegen einen Vorschlag des Außenministers, sondern sie erweitert die Palette der Möglichkeiten um diesen Punkt, und das hat eigentlich in der deutschen Öffentlichkeit und auch im Deutschen Bundestag eher Zustimmung gefunden.
Barenberg: Nun ist der Bundesaußenminister, ist Heiko Maas aus Ankara zurückgekommen mit der Zusage seines türkischen Gesprächspartners, dass die Türkei auf eine dauerhafte Waffenruhe im Norden Syriens setzt, dass sie dann Zugang für humanitäre Hilfe gewähren will. Sie hat sich verpflichtet, nicht dauerhaft präsent in Syrien zu sein und auch bei der möglichen Rückkehr von syrischen Flüchtlingen darauf zu achten, dass dieses sicher, freiwillig und in Würde geschieht. Ist das unterm Strich nicht auch ein Fortschritt und ein Erfolg für Heiko Maas?
Hardt: Das ist etwas, wo wir die Türkei beim Wort nehmen sollten. Ich habe letzte Woche auch mit dem türkischen Botschafter in Deutschland gesprochen. Der hat das genauso vorgetragen. Es gibt ja zwei Dimensionen des Völkerrechts in diesem Zusammenhang der türkischen Besetzung dieser Gebiete: Einmal die Völkerrechtswidrigkeit dieses Einsatzes, wovon ich überzeugt bin, zum zweiten aber auch, dass die Türkei sich dort jetzt entsprechend den Regeln des Völkerrechts verhält, keine Vertreibung von angestammten Volksgruppen, keine Umsiedlung in der Form, dass diejenigen, die dort bisher wohnen, weg müssen, und andere, die bisher dort nicht gewohnt haben, zum Beispiel syrische Flüchtlinge aus anderen Teilen Syriens, die gegenwärtig in der Türkei sind, angesiedelt werden auf Dauer. Auch hier hat mir der türkische Botschafter gesagt, dass das eine allenfalls vorübergehende Lösung ist und dass die Türkei streng darauf achten wird, das Völkerrecht zu achten. Ich habe vorgeschlagen, dass internationale Beobachter, entweder von europäischen Institutionen oder sogar von UN-Institutionen oder das Rote Kreuz oder der Rote Halbmond, freien Zugang haben müssen, damit wir ein möglichst neutrales objektives Urteil bekommen, was auch im Interesse der Türkei ist, denn die Türkei muss ein hohes Interesse daran haben, dass klar wird, dass sie sich an ihre Zusagen hält. Insofern sollten wir die Türkei an der Stelle jetzt beim Wort nehmen.
Es gibt den einen oder anderen, der das bezweifelt. Soweit würde ich nicht gehen, weil ich glaube, wenn die türkische Regierung das so offiziell mitteilt, dass man auch unter Partnern in der NATO darauf vertrauen muss, dass die andere Seite sich daran hält.
Beide Minister müssten sich nochmals zusammensetzen
Barenberg: Und wenn Sie, Herr Hardt, festhalten an dieser Vorstellung einer international gesicherten Schutzzone der Verteidigungsministerin, und wenn Sie das als Ergänzung begreifen wollen, ist dann jetzt die Bundeskanzlerin gefragt? Sie hat vor Jahren den Vorschlag einer Sicherheitszone abschlägig beschieden. Das haben wir auch aus der Türkei noch mal in Erinnerung gerufen bekommen. Ist jetzt ihre Richtlinienkompetenz gefragt, um die beiden Minister, die sich da gewissermaßen behaken, zu einer gemeinsamen Linie zu bekommen?
Hardt: Nach meiner Kenntnis hat es am vergangenen Dienstag ja ein klärendes Gespräch zwischen den beiden Ministern gegeben, von dem ich eigentlich dachte, dass es auch entsprechend erfolgreich verlaufen ist. Ich glaube, das müsste in jedem Fall wiederholt werden. Es macht ja keinen Sinn, wenn die Kanzlerin ein Machtwort spricht und letztlich die Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Häusern bleibt. Ich glaube, es wäre gut, wenn die beiden Minister sich noch mal zusammensetzen und dass sie gemeinsam besprechen, in welcher Weise dieser Vorschlag als konstruktiver Beitrag Deutschlands und Europas zur Lösung dieses Konflikts speziell in diesem Teil des Landes weiter ventiliert werden kann. Wenn er vielleicht nicht morgen Früh umgesetzt werden kann, womit ja auch keiner gerechnet hat, so bleibt er doch auf der Tagesordnung als konstruktiver Beitrag für eine Friedenslösung Syriens, in der dann tatsächlich die Vereinten Nationen den Ton angeben und nicht Putin.
Barenberg: Ich stelle zum Abschluss noch mal fest: Im Vergleich zu einigen außenpolitischen Kollegen aus Ihrer Fraktion halten Sie sich jetzt mit der massiven Kritik, stillos, Fauxpas und so, doch zurück?
Hardt: Ich halte nichts davon, wenn wir uns in dieser Weise jetzt innenpolitisch auseinandersetzen. Deutschlandfunk wird auch in Moskau gehört und ich habe kein Interesse daran, dass diejenigen, die jetzt da ihr Spiel spielen in Syrien, sich darüber kaputt lachen, dass wir hier in Deutschland diesen Streit haben. Ich glaube, dass zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer und Heiko Maas die Sache auch gütlich und vernünftig geregelt werden kann. Wenn es unterschiedliche Auffassungen in der Sache gibt, dann gibt es auch gute Argumente, die wechselseitig ausgetauscht werden können, und das muss jetzt geschehen. Ich persönlich glaube, dass es lohnen würde, die fünf EU-Mitglieder im Sicherheitsrat zusammenzubringen und dazu zu bewegen, eine entsprechende Resolution in den Vereinten Nationen, im Sicherheitsrat zu starten – allein auch um zu zeigen, wer ist denn derjenige, der so etwas nach den Regeln des internationalen Rechts befürwortet, und wer ist derjenige, der das blockiert. Und dann muss Russland Farbe bekennen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.