Freitag, 19. April 2024

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CDU-Politiker Hardt zum INF-Vertrag
"Putin versucht die NATO zu spalten"

Der russische Präsident Wladimir Putin versuche, die NATO an der Frage der atomaren Mittelstreckenraketen auseinanderzubringen, sagte der CDU-Politiker Jürgen Hardt im Dlf. Die politische Dimension sei für ihn dabei vielleicht sogar größer als die militärische. Deshalb sei eine geschlossene Haltung des Westens so wichtig.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Christoph Heinemann | 01.02.2019
    Der Bundestagsabgeordnete und transatlantische Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU), spricht am 21.11.2017 im Bundestag in Berlin. In seiner 2. Sitzung der 19. Legislaturperiode berät der Deutsche Bundestag unter anderem über Bundeswehreinsätze und die Einsetzung verschiedener Ausschüsse. Foto: Silas Stein/dpa | Verwendung weltweit
    Jürgen Hardt (dpa)
    Eine Diskussion über neue russische Waffen, die möglicherweise gegen das vor 40 Jahren in Kraft getreten INF-Abkommen über die atomaren Mittelstreckenraketen in Europa verstoßen, gebe es schon seit Jahren, sagte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, im Dlf. Für die Europäer sei es zwar ein großer Gewinn, dass es solche Waffen in Europa nicht mehr gebe, aber wenn das Abkommen nicht eingehalten werde, sei es nichts wert. Mit der Entwicklung neuer Waffen unternehme Putin einen neuen Versuch, die NATO in der Frage der Mittelstreckenraketen zu spalten. Eine Lösung in dem Konflikt könne vielleicht ein weltweites Abkommen über Mittelstreckenraketen sein, an dem auch Chinas und Indien beteiligt sein könnten.

    Christoph Heinemann: Die USA wollen offenbar bereits heute ihren Ausstieg aus dem INF-Vertrag zum Verzicht auf landgestützte atomare Mittelstreckenwaffen ankündigen. Die Vereinigten Staaten informierten gestern die Verbündeten in der NATO über ihr Vorhaben. Grund sind neue russische Marschflugkörper, die innerhalb der NATO als SSC8 bezeichnet werden. Sie stellen nach Auffassung der USA einen eindeutigen Bruch des Abkommens dar. Am Telefon ist jetzt Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. Guten Morgen!
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Herr Heinemann!
    Heinemann: Herr Hardt, halten Sie den Ausstieg der USA für gerechtfertigt?
    "Eine geschlossene gemeinsame Antwort der NATO ist wichtig"
    Hardt: Es gibt ja bereits seit Jahren auch schon unter Obama die Diskussion über die russischen Bemühungen offensichtlich, Raketen zu bauen, die dieses Fenster zwischen 500 Kilometer und 5.500 Kilometer Reichweite erreichen können. Die Amerikaner und der Westen haben Russland immer wieder aufgefordert, doch durch Transparenz zu dieser Frage diesen Verdacht auszuräumen. Das ist nicht gelungen, und deswegen ist natürlich ein Vertragswerk zwischen zwei Nationen – Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika –, das von einer der beiden Seiten nach Einschätzung der gesamten NATO nicht eingehalten wird, natürlich auch nichts mehr wert, aber es wäre natürlich sehr wichtig, dass wir die nächsten sechs Monate nutzen, mit den Russen darüber zu sprechen, wie dieses Abkommen erhalten werden kann, denn für uns Europäer ist es ein großer Gewinn an Sicherheit, wenn es diese Art von Raketen von Europa nicht gibt.
    Heinemann: Nun sagen die Russen, unsere Raketen fliegen gar nicht so weit.
    Hardt: Die Russen haben vor wenigen Tagen eine Veranstaltung durchgeführt, die ich fast ein bisschen satirisch fand. Also sie haben gesagt, die Rakete würde nur 480 Kilometer weit fliegen, sie haben aber keinerlei Berechnungsgrundlagen oder Testergebnisse von ballistischen Tests vorgelegt, und sie haben vor allem die Rakete nicht gezeigt. Sie hatten eingeladen, die Rakete zu zeigen, aber was gezeigt wurde, war wohl eine Hülle eines Gehäuses, aber die Rakete selbst nicht. Ich habe den Eindruck, dass Putin vielleicht noch viel mehr als die Frage der militärischen Komponente das politische Element nutzen will. Vor 35 Jahren ist die sowjetische Führung daran gescheitert, den Westen an dieser Mittelstreckenraketenfrage in Europa zu spalten. Sie erinnern sich an die Diskussion der 80er-Jahre, und ich habe das Gefühl, dass das Hauptbegehren Putins sein könnte, nun 35 Jahre später sozusagen diese Scharte auszumerzen und die NATO an der Mittelstreckenraketenfrage auseinanderzubringen. Deswegen ist es für uns total wichtig, dass die NATO eine geschlossene gemeinsame Antwort und auch eine geschlossene gemeinsame Haltung dazu entwickelt, damit wir vielleicht tatsächlich die Chance haben, dass diese Waffen dauerhaft aus der Welt bleiben. Im Augenblick haben wir null von solchen Waffen auf westlicher Seite in Europa.
    Heinemann: Herr Hardt, Sie haben gerade gesagt, keiner hat diese Rakete bisher gesehen, jedenfalls nicht im Westen. Auf welchen Fakten beruht denn dann der Ausstiegsbeschluss der Amerikaner?
    "Es geht Putin darum, die NATO zwischen Europa und Nordamerika zu spalten"
    Hardt: Die Faktenlage ist recht eindeutig. Es gibt natürlich Beobachtungen auch von Diensten und von Satelliten, die einfach feststellen, dass das läuft. Es gibt auch wohl Aussagen von Personen, die darüber auf russischer Seite Bescheid wissen. Ich bin der Meinung, dass dieser Vorwurf gerechtfertigt ist, und vor allem ist es ja im Rahmen des Abkommens durchaus möglich, dass solche klar an die andere Seite gestellten Fragen auch klar beantwortet werden. Also es gibt ja keinen Grund, warum Russland für den Fall, dass es tatsächlich so ist wie Russland behauptet, zum Beispiel mal Ergebnisse von Tests vorlegt oder ganz konkret ein internationales Expertenteam mal nachschauen lässt, was an diesem Punkt Sache ist. Ich glaube, es geht Putin tatsächlich darum, den neuen Versuch zu unternehmen, die NATO zwischen Europa und Nordamerika zu spalten, und es wäre für uns verheerend, wenn ihm das gelingen würde, und deswegen hat das eine hohe politische Dimension, die vielleicht noch größer ist als die militärische Dimension solcher Raketen, von denen es ja übrigens seegestützt solche Raketen russischer Seite gibt. Also Europa kann mit solchen Raketen erreicht werden, aber eben nicht mit diesen hochmobilen landgestützten Systemen, die man so schwer detektieren kann.
    Heinemann: Was ist der INF-Vertrag ohne die Einbeziehung Chinas überhaupt noch wert?
    Hardt: Das ist ja ein möglicher Lösungsansatz, dass man sagt, solange China und Indien auch solche Arten von Waffen entwickeln, die dann möglicherweise konkret für Russland eine Bedrohung darstellen, müsste es eigentlich einen INF-Vertrag, einen Antimittelstreckenratenvertrag geben, der diese Länder miteinbezieht. Ich halte das für einen richtigen und wichtigen Ansatz. Ich würde das sehr begrüßen, wenn man mit Russland vereinbaren könnte ganz konkret – auch China und Indien sind meines Erachtens die beiden Nationen, um die es geht, vielleicht auch noch andere –, wenn man auf die zugehen würde und sagen würde, wir schaffen ein Regime in der Welt, in dem diese Art von Waffen generell verboten ist, und ich könnte mir vorstellen, wenn uns das gelingen würde, haben wir auch einen Grund dafür gelegt, dass auch andere Abrüstungsschritte möglich sind. Das war ja in den 80er-Jahren im Übrigen auch so.
    Heinemann: Herr Hardt, bedarf es jetzt nicht einer umfassenden Russlandstrategie, wo einmal alles auf den Tisch kommt – die Raketen, die Ukraine, aber auch die Ostausdehnung der NATO, die ja wiederum in Russland als gegen frühere Absprachen gewertet wird?
    "Jede Nation hat das Recht, sein Bündnis frei zu wählen"
    Hardt: Das ist ja eine russische Legende. Russland behauptet das immer wieder. Sie behaupten auch, es hätte Zusagen gegeben. Ich finde das geradezu kurios. Stellen Sie sich vor, bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen im September 1990 hätte die sowjetische Führung gesagt, für den Fall, dass die Sowjetunion auseinanderbricht, dann erklärt ihr aber als NATO, dass ihr irgendwelche Rechtsstaaten, die mal in der Sowjetunion waren, nicht in die NATO aufnehmt. Ich glaube, das ist absolut absurd sich vorzustellen, dass die sowjetische Führung über so etwas überhaupt nachgedacht hat. Im Gegenteil, die Sowjetunion und Russland als Rechtsnachfolger sind gebunden an den Pariser Vertrag. Das ist die abschließende große Erklärung gewesen zu dem Frieden in Europa nach dem Kalten Krieg, und da steht ganz klar drin, dass jede Nation das Recht hat, sein Bündnis frei zu wählen, und in diesem Sinne hat Russland wenige Monate nach der Zustimmung zur deutschen Einheit sogar auch hier noch seine Zustimmung erteilt. Also diese Legende, die es in sozialen Netzwerken und von der AfD verbreitet wird, dafür gibt es weder Belege noch ist sie plausibel, wenn man darüber nachdenkt, was eigentlich das Handeln der sowjetischen Führung in der damaligen Zeit war.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.