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CDU-Politiker Kiesewetter zum Stopp von Rüstungsexporten
"Wir überheben uns moralisch"

Der jetzt beschlossene Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien bringe "sicherheitspolitisch oder außenpolitisch überhaupt nichts", sagte der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter im Dlf. Deutschland brauche eine ernsthafte Debatte darüber, "welche Rüstungsexporte wir überhaupt noch wollen".

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 29.03.2019
Rheinmetall-Stand bei der Sicherheits- und Rüstungsgütermesse IDEX in Abu Dhabi
Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall-Stand bei der Sicherheits- und Rüstungsgütermesse IDEX in Abu Dhabi (imago stock&people)
Ann-Kathrin Büüsker: Der Rüstungsexportstopp für Saudi-Arabien ist vorerst verlängert, aber mit Einschränkungen. Darüber möchte ich jetzt mit Roderich Kiesewetter sprechen, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Einen schönen guten Morgen!
Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Kiesewetter, der Exportstopp, der war ja ursprünglich mal als Sanktion gedacht. Was bringt eine Sanktion, wenn man sie so einschränkt?
"Das bringt sicherheitspolitisch oder außenpolitisch überhaupt nichts"
Kiesewetter: Zunächst mal gibt es ja jetzt ein klares Signal an unsere Partner, an die Rüstungsindustrie und auch in Richtung Saudi-Arabien. Es war zumindest ein Weckruf, dass mit Blick auf das Vorgehen Saudi-Arabiens die Bundesrepublik Deutschland bereit ist, ihren Koalitionsvertrag umzusetzen, dorthin nicht zu liefern. Aber es bringt im Grunde genommen sicherheitspolitisch oder außenpolitisch überhaupt nichts, weil andere Länder dafür einspringen werden und weil innerhalb Europas, insbesondere mit Frankreich und Großbritannien, Deutschland seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt und deswegen sich auch die Frage der Verlässlichkeit stellt.
Büüsker: Aber, Herr Kiesewetter, wieso ist das ein Weckruf beziehungsweise ein Signal an Saudi-Arabien, wenn man dem Land jetzt sagt: Okay, wir bauen diese Boote, ihr kriegt sie nicht jetzt, aber dann kriegt er sie halt in sieben Monaten?
Kiesewetter: Die Frage ist, ob das überhaupt in sieben Monaten geliefert wird. Jetzt retten sich die Koalitionspartner über die Europawahlen. Im Herbst, wenn das wieder ansteht, zum 30. 9., stehen wir kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Das bedeutet, dass das Thema dann wieder hochkommt. Ich rechne nicht damit, dass es dann zu einer Lieferung kommt.
Entscheidend sind aber zwei Botschaften. Die erste richtet sich an die deutsche Rüstungsindustrie, möglichst keine Projekte mehr mit Drittländern außerhalb von NATO und EU einzugehen, und zweitens an unsere Partner Großbritannien und Frankreich, mit Deutschland keine gemeinsamen Projekte mehr zu machen, weil diese Projekte ja auch über Exporte finanziert werden. Das bedeutet, dass mittelfristig die deutsche Rüstungsindustrie sich völlig neu orientieren muss. Das sind klare Signale, die auch erst einmal aufgearbeitet werden müssen.
Büüsker: Klare Signale, die Sie schlecht finden?
"Wir brauchen eine Debatte darüber, welche Rüstungsexporte wir wollen"
Kiesewetter: Nun, das sind Signale, die die Politikfähigkeit Deutschlands nicht gerade verbessern und die insgesamt die Europäische Union nicht gerade als verlässlichen Partner für andere darstellen. Auf der anderen Seite haben wir ja auch rüstungspolitische Grundsätze von 2008, die es jedem Land ermöglichen, eigene Positionen durchzusetzen. Das macht gerade Deutschland. Aber wir müssen uns bewusst sein – die Bundeskanzlerin hat das letzte Woche auch klargemacht im Bundestag -, wir brauchen eine sehr, sehr ernsthafte Debatte darüber, welche Rüstungsexporte wir noch wollen, was für eine eigene Rüstungsindustrie wir uns leisten wollen und wie wir außenpolitisch wirksam sein wollen.
Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass sich der Golf ja nicht an europäischen Maßstäben ausrichtet, sondern sich in Richtung China, Pakistan oder Russland orientiert und mit denen Rüstungsprojekte macht, und das kann wiederum nicht in unserem Interesse sein. Wir müssen hier Moral, Interessen und Werte schon etwas stärker ausbalancieren.
Büüsker: Aber man könnte ja auch ein verlässlicher Partner sein und einfach sagen: Okay, wir entscheiden uns generell dagegen, in diese Länder wie Saudi-Arabien zu exportieren.
"Unsere Partner werden mit uns sicherheitspolitisch weniger zusammenarbeiten"
Kiesewetter: Das machen wir ja national. Ich gehe auch davon aus, dass rein nationale Lieferungen dorthin, wie die mit den Schiffen, künftig nicht mehr möglich sind. Aber wir sind ja nicht alleine. Wir begehen ja Selbstbetrug, wenn wir sagen, das ist rein deutsche Position. Auf der anderen Seite fordert die SPD europäische Politikfähigkeit, fordert ein verstärktes europäisches Vorgehen. Nur sehen das unsere Partner wie Frankreich und Großbritannien nicht nur mit Blick auf Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch sehr verteidigungspolitisch, sicherheitspolitisch, und das bedeutet, dass unsere europäischen Partner mit uns sicherheitspolitisch weniger zusammenarbeiten werden. Da ist es die Frage, ob wir das weiterhin so wollen, ob die Bundesrepublik Deutschland sich das leisten kann. National können wir so vorgehen, aber unsere Partner – der Außenminister Le Drian war im Kabinett diese Woche Mittwoch; ich selbst war am Montag Gast, Teilnehmer bei der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Da haben uns die Franzosen sehr klar die Leviten gelesen. Wir müssen uns positionieren!
Büüsker: Aber, Herr Kiesewetter, wenn Sie auf Europa anspielen: Europa ist ja nun mal auch ein Friedensprojekt und nicht in erster Linie ein Rüstungsprojekt. Und wenn Europa ein Friedensprojekt ist, ist es dann nicht auch gut, wenn Deutschland sich als Akteur des Friedens darin positioniert und auf Frieden hinarbeitet?
Kiesewetter: Ja, das ist schon richtig. Wenn wir allerdings als Deutsche das Thema Frieden ausschließlich daran festmachen, keine Rüstungsexporte zu liefern, dann müssen wir auch etwas anderes leisten.
Büüsker: Entwicklungsarbeit zum Beispiel.
"Wir sind als Deutsche nicht allein"
Kiesewetter: Ja. Aber die Entwicklungsarbeit muss auch gesichert sein und wir werden als Partner nur ernst genommen, wenn wir auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Wir machen das beeindruckend in vielen Auslandseinsätzen, die auch zur Absicherung von Entwicklungsarbeit dienen. Aber wir können dann nicht darauf bestehen, mehr Europa zu wagen, weil die anderen europäischen Staaten nicht die moralischen Ansprüche ausschließlich mit Blick auf Rüstungsexporte haben, sondern auch sagen, es gibt Regionen unseres Interesses, die bei Weitem nicht unseren demokratischen Ansprüchen genügen. Es sind Diktaturen oder zum Beispiel auch fragile Staaten. Aber wenn wir uns aus diesen Regionen zurückziehen, bedeutet das ja nicht, dass es in diesen Regionen besser wird, sondern dann werden das Interessenzonen anderer. Wir sehen das in Syrien mit Russland und Iran. Und es wird auch so sein, dass dann Saudi-Arabien und die Golf-Staaten sich ja nicht weiter an Europa orientieren. Und wollen wir das?
Büüsker: Aber warum glauben Sie denn, dass man durch eine gemeinsame Rüstungszusammenarbeit auch mit Saudi-Arabien das Land in irgendeiner Art und Weise tatsächlich politisch beeinflussen könnte? Den Mord an Jamal Kashoggi hat auch der Einfluss der Briten in Saudi-Arabien nicht verhindern können.
Kiesewetter: Ja, und die Briten, zumindest die Parlamentarier, nähern sich auch unserer Position an. Wir haben ja auch ein klares Signal gesetzt, indem wir über Monate ein Moratorium gemacht haben, und ich finde es auch gut, dass wir unsere nationalen Lieferungen weiterhin mit einem Moratorium, einer Verzögerung versehen. Es wäre noch ehrlicher gewesen, Saudi-Arabien zu sagen, wir liefern national überhaupt nicht mehr. Aber wir sind als Deutsche nicht allein. Das können wir mit unserer nationalen Lieferpolitik machen. Aber mit Blick auf unsere Partner in Frankreich und Großbritannien, wo es um Eurofighter geht, wo es um die Lieferung von Hubschraubern geht und auch vielem anderen mehr, können wir ja nicht diesen Ländern durch unser Verhalten verbieten, dass sie dorthin liefern. Wie gesagt: Es gelten die europäischen Grundsätze von 2008. Da ist jedes Land in der Lage, das selbst zu entscheiden. Ich befürchte, dass Großbritannien und Frankreich künftig diese Region beliefern werden ohne deutsche Beteiligung, was aber mittelfristig auch dazu führt, dass Vorhaben wie ein gemeinsamer Kampfpanzer für Europa oder ein gemeinsames Luftfahrzeug mit Frankreich mit Deutschland nicht mehr zu machen sein werden. Diesen Konsequenzen müssen wir uns dann auch bewusst sein.
Büüsker: Nehmen wir uns genau diese gemeinsamen Projekte noch mal vor. Sie haben eben gesagt, man muss auch seine Partner ernst nehmen. Aber muss man nicht auch sich selbst ernst nehmen? Wenn jetzt in diesem Kompromiss die Regelung gefunden ist, dass Partnerländer, mit denen man zusammenarbeitet, sich von Saudi-Arabien die Zusicherung einholen sollen, dass die Waffen, die man liefert, auf gar keinen Fall im Jemen-Krieg eingesetzt werden sollen, das ist doch eine ziemlich naive Idee.
"Die SPD muss ganz arg aufpassen, mehr Europa zu fordern"
Kiesewetter: Sie sagen es! Ich werde das so nicht sagen. Aber ich glaube kaum, dass wir der deutschen Rüstungsindustrie auflasten sollen, mit ihren Partnern so etwas auszuverhandeln. Die werden dann – wie nennt sich das neudeutsch so schön – German Free Lieferketten machen, ohne deutsche Beteiligung. Das ist ja die Konsequenz in den nächsten Jahren. Und auch die Bundesregierung hat ja zugesichert, die Rüstungsindustrie zu unterstützen. Wir sollten uns ehrlich machen und ganz klar sagen, wir brauchen eine Rüstungsindustrie, die die Bundeswehr beliefert und vielleicht innerhalb der NATO und EU kleinere Projekte macht, aber ansonsten sollten wir uns von Großprojekten mit unseren Partnern verabschieden, wenn wir das konsequent durchziehen, und uns darauf einstellen, künftige Großprojekte, die in zehn, 20 Jahren greifen, teuer von außen einzukaufen, ohne deutsche Beteiligung. Das ist die Konsequenz und deshalb sollte die SPD auch ganz arg aufpassen, mehr Europa zu fordern, auch in der Rüstungsindustrie. Wir sehen ja, wie leise Frau Schwesig ist, und wir sehen auch, wie der außenpolitische Sprecher der SPD zu mehr Vorsicht mahnt. Aber wir überheben uns moralisch, wenn wir glauben, dass unsere Partner unseren hehren Grundsätzen folgen.
National habe ich überhaupt nichts dagegen, aber wir schaden der europäischen Idee, wenn wir uns nicht an weiteren rüstungspolitischen Projekten innerhalb der EU beteiligen.
Büüsker: … sagt Roderich Kiesewetter. Er sitzt für die Union im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
Kiesewetter: Danke, Frau Büüsker! – Auf Wiederhören!
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