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CDU-Politiker Meister rechnet fest mit Zweidrittelmehrheit für Rettungsschirm

Michael Meister (CDU) ist sich sicher, dass am Freitag bei der Bundestagsabstimmung über ESM und Fiskalpakt eine Zweidrittelmehrheit zustande kommt. EU-Forderungen nach gemeinsamen Staatsanleihen lehnt Meister ebenso wie Kanzlerin Merkel weiterhin ab.

Das Gespräch führte Bettina Klein | 27.06.2012
    Bettina Klein: Sie können es heute bereits auf den Titelseiten vieler Zeitungen lesen, vier führende Europapolitiker haben ihr Konzept für mehr Kompetenzen in Europa vorgestellt, offiziell wollen sie es dann vorlegen morgen und übermorgen beim EU-Gipfel – ein Papier, das noch für einige Diskussionen sorgen dürfte.
    Am Telefon ist jetzt Michael Meister, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Michael Meister: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Herr Meister, schauen wir zunächst mal auf diese Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen. Das wird möglicherweise eben auch EU-weite Staatsanleihen beinhalten. Nun hat die Kanzlerin gestern schon gesagt, eine gesamtschuldnerische Haftung zum Beispiel über Eurobonds werde es nicht geben, "solange ich lebe". Müssen wir uns Sorgen machen um Angela Merkel, oder ist der Vorschlag von van Rompuy im Prinzip schon so gut wie erledigt?

    Meister: Also ich glaube, um Angela Merkel brauchen wir uns keine Sorgen machen. Ich halte es auch für sehr gut, dass zunächst einmal jetzt Gesprächsvorschläge auf dem Tisch liegen, um das wesentliche Defizit in der Vertrauensbildung in Europa zu beseitigen, nämlich dass wir nur eine integrierte Geldpolitik haben, aber die Finanzpolitik, die Wirtschaftspolitik nach wie vor national läuft. Also diese Frage auf die Tagesordnung zu setzen, ist absolut notwendig und richtig, um aus der Vertrauenskrise herauszukommen.
    Was mir fehlt, und was in der Diskussion beleuchtet werden muss, ist die Frage demokratische Kontrolle über die Parlamente, denn es kann natürlich nicht sein, dass wir einen Kompetenztransfer von der nationalen Ebene auf eine europäische Ebene machen, ohne dass dort parlamentarische Kontrolle und Legitimation stattfindet. Über die Frage muss geredet werden. Zum Zweiten muss über die Zeitpläne geredet werden. Es geht nicht nur um die Frage, was macht man, sondern es geht auch um die Reihenfolge. Wenn ich erst das von Ihnen angesprochene Thema Vergemeinschaftung der Haftung durchführe und dann über die Frage rede, ob Kompetenzen zusammengeführt werden, dann wird der zweite Teil nie gelingen. Also ist die Frage, welchen Zeitplan vereinbaren wir neben den Inhalten, wichtig. Und dann ist wichtig, dass immer Kompetenz zur Entscheidung mit Haftung zusammenfällt. Also es kann nicht sein, dass jemand haftet, der nicht auch die Kompetenz für die Entscheidung hat.

    Klein: Gehen wir vielleicht mal einen Punkt nach dem anderen durch, Herr Meister. Der Dissens in dieser Frage ist ja schon sehr, sehr deutlich, und wenn die Kanzlerin so drastische Worte bemüht, oder vielleicht sich berufen fühlt, solche drastischen Worte zu wählen, wie ernst ist diese Krise und sind auch die Meinungsunterschiede zwischen der deutschen Kanzlerin und den vier EU-Größen, die ja offensichtlich mit Eurobonds oder Staatsanleihen keine Probleme haben?

    Meister: Ja der entscheidende Punkt ist, dass man glaubt, einfach durch Vergemeinschaftung der Haftung seitens dieser Vorschläge die Probleme lösen zu können. Ich persönlich glaube – und das ist wohl auch Einschätzung von Angela Merkel -, dass damit die eigentlichen Ursachen, nämlich das über die Verhältnisse leben in den nationalen Haushalten, die Defizite der jeweiligen Wettbewerbsfähigkeit der alten Volkswirtschaften, die Frage, wie bekommen wir Europa tatsächlich integriert im Sinne, dass Kompetenzen vergemeinschaftet werden, diese Fragen kommen dann zu kurz und deshalb ist es notwendig, dass erst über diese Agenda gesprochen wird und nicht einfach die Probleme zugekleistert werden. Das würde dazu führen, dass in Zukunft jeder weiter über seine Verhältnisse lebt, dass wir nicht zu einer gemeinsamen Finanz- und Wirtschaftspolitik kommen, dass die Wettbewerbsfähigkeit nach wie vor leidet, und dann werden die Probleme über sehr kurze Zeit erneut und in größerer Dimension zurückkehren. Also ist das keine Lösung, sondern eine Verschlimmerung.

    Klein: Herr Meister, wenn ich da noch mal nachfragen darf. Wovon gehen Sie denn aus, wer sich durchsetzen wird beim EU-Gipfel? Das wird morgen und übermorgen diskutiert werden. Wir haben diesen Vorschlag der Vier und wir haben eine Kanzlerin, die sagt, auf gar keinen Fall. Sehen Sie da einen Kompromiss?

    Wir haben jetzt, glaube ich, Michael Meister verloren in der Telefonleitung und bemühen uns noch einmal, die Verbindung aufzubauen. Wir bitten um Ihr Verständnis. – Wir versuchen noch einmal, die Verbindung zum Unions-Fraktionsvize Michael Meister herzustellen. Herr Meister, können Sie mich hören?

    Meister: Ich kann Sie jetzt sehr gut hören.

    Klein: Wunderbar! Ich glaube, die Leitung ist jetzt etwas besser. – Wir waren gerade bei der Frage, sieht es nach einem Crash aus beim EU-Gipfel morgen und übermorgen, wenn diese Vorschläge der vier EU-Politiker auf dem Tisch liegen, während die Kanzlerin sich ganz klar dagegen stellt.

    Meister: Also ich persönlich glaube, dass wir zunächst mal eine Vereinbarung bekommen werden, über welche Agenda gesprochen wird, in welchen zeitlichen Verfahren das Ganze diskutiert wird, wie die Prozesse laufen werden, und deshalb glaube ich nicht an einen Crash, sondern an eine vernünftige Vereinbarung, wie man diese sehr komplexe Agenda bespricht. Es geht ja nicht nur, Frau Klein, um die von Ihnen thematisierten Punkte, sondern auch um das Schlagwort Bankenunion, auch das hoch komplex. Also insofern glaube ich, wir kommen zu einer Verfahrensvereinbarung, aber noch nicht zu einem Ja oder Nein zu den Vorschlägen.

    Klein: Sie haben vorhin auch angesprochen, es wird natürlich auch um parlamentarische Kontrolle und Legitimation gehen. Das ist ja im Augenblick auch die Frage, die viele Politiker im Deutschen Bundestag und auch in Ihrer Fraktion umtreibt. Kritiker sagen, das Parlament würde sich der letzten Reste nationaler Haushaltskontrolle entledigen, damit würde Deutschland in einem europäischen Bundesstaat aufgehen. Ist das, was am Freitagabend beschlossen werden soll, Ihrem Verständnis nach noch auf dem Boden der deutschen Verfassung?

    Meister: Also wenn ich das Thema ESM und Fiskalvertrag sehe, dann haben wir uns als Parlament in beiden Bereichen Mitwirkungsrechte ausbehalten. Wir werden entsprechende Beschlüsse am Freitag fassen, dass das Parlament auf jede einzelne Entscheidung, die dort stattfindet, Einfluss hat. Der Inhalt des Fiskalvertrages ist im Wesentlichen deckungsgleich mit der Schuldenbremse in der deutschen Verfassung. Also insofern geht zwar der Haushaltsgesetzgeber dort weitergehende internationale Bindungen ein, allerdings inhaltlich in der Dimension, die wir uns bereits selbst durch die Verfassungsänderung Schuldenbremse gesetzt haben.

    Klein: Weshalb braucht es dann eine Zweidrittelmehrheit auch für den ESM?

    Meister: Also zunächst einmal beim ESM benötigen wir aus unserer Sicht eine einfache Mehrheit. Dennoch muss man auch bei dieser Entscheidung von Bundestag und Bundesrat damit rechnen, dass das von Verfassungsgericht angezweifelt wird. Um auch da bei Rechtsstaatlichkeiten auf der sicheren Seite zu sein, wäre es schön, wenn die Zweidrittelmehrheit auch beim ESM zustande kommt.

    Klein: Es wäre schön, aber die Frage ist natürlich, was am Ende Karlsruhe dazu sagt. Für wie gesichert halten Sie, noch mal die Frage, dass das, was dort verabschiedet wird, auf dem Boden des Grundgesetzes steht?

    Meister: Ich gehe fest davon aus, dass beides, sowohl der Fiskalpakt als auch der ESM, auf dem Boden des Grundgesetzes steht.

    Klein: Und Sie gehen davon aus, dass die Zweidrittelmehrheit am Freitag zu Stande kommen wird?

    Meister: Ich gehe davon aus, dass wir dort eine Vereinbarung zustande bekommen. Wir haben mit den Fraktionen im Deutschen Bundestag, den Sozialdemokraten und Grünen gesprochen. Dort haben wir verabredet, das steht bei den beiden Oppositionsfraktionen noch unter dem Vorbehalt dessen, was jetzt der EU-Gipfel die nächsten beiden Tage bringt.

    Klein: Und wir haben ganz große Probleme, die Leitung zu Michael Meister aufrecht zu erhalten. Ich bitte um Verständnis, verehrte Hörerinnen und Hörer, und bedanke mich bei Michael Meister für das Gespräch bis hierher.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.