Donnerstag, 25. April 2024

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CDU und SPD
Feilen an der Zukunft der eigenen Partei

Der CDU-Vorstand kommt am Wochenende zu einer zweitägigen Klausur zusammen, die SPD-Spitze geht ebenfalls in Klausur. Bei beiden Terminen wird es um den Neubeginn der Großen Koalition gehen - und darum, sich als Volksparteien neu zu definieren.

Von Stephan Detjen, Barbara Schmidt-Mattern und Dirk-Oliver Heckmann | 02.11.2018
    Die Namen der Parteien CDU und CSU auf schwarzem Hintergrund stehen neben dem Namen SPD auf rotem Hintergrund, darüber sind Bremsspuren zu sehen.
    Die Unionsparteien und die SPD suchen eine neue Vision für die Zukunft. (imago / Ralph Peters)
    "Sie werden sehr erstaunt gewesen sein, meine lieben Landsleute, dass ich mich zur Wahl als Nachfolger unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten Heuss gestern zur Verfügung gestellt habe."
    Es gibt ganz unterschiedliche Wege, aus diesem Amt heraus zu kommen. Man kann es mit dem letzten Aufstieg nach oben versuchen, der noch möglich ist, wenn man schon Bundeskanzler ist, so wie Konrad Adenauer, als er 1959 seine Kandidatur für das allerhöchste Staatsamt verkündete.
    "Mein Entschluss ist zwar schnell gefasst worden. Aber er war wohl überlegt und er ist ein richtiger Entschluss."
    Nach zwei Monaten hatte Adenauer erkannt, dass es doch ein Schritt in die falsche Richtung war. Erst 1963 blieb dann doch nur noch der Rücktritt. Der letzte Ausweg geht immer.
    "Am Abend des 6. Mai habe ich dem Bundespräsidenten meinen Rücktritt erklärt."
    Willy Brandt 1974. 30 Jahre später bei Gerhard Schröder war es ein Rücktritt in zwei Schritten.
    "Ich habe, meine Damen und Herren, für morgen den SPD-Vorstand einberufen lassen. Ich werde ihm vorschlagen, auf einem Sonderparteitag Ende März Franz Müntefering als Parteivorsitzenden zu wählen."
    Eine wusste damals gleich, dass der Rücktritt vom Amt des Parteivorsitzenden nicht der letzte bleiben würde.
    "Es ist der Anfang vom Ende dieses Bundeskanzlers."
    Angela Merkel ist Expertin, wenn es um das Ende politischer Karrieren geht. Im Falle Helmut Kohls hat sie das Ende aus nächster Nähe beobachtet. Seitdem hat sie viele aus ihren Ämtern scheiden sehen. Die meisten sind an sich selbst gescheitert. Manche warfen das Handtuch, als sie erkannten, dass der Weg, den sie selbst nach oben gehen wollten, nicht an dieser Frau vorbeiführen würde.
    "Ich möchte ganz einfach nach 20 Jahren in hauptamtlicher politischer Tätigkeit, wieder zurück in meinem Beruf. Ich bin dann Mitte 50. Und ich glaube, das ist ein guter Zeitpunkt."
    2009 war das. Ganz weg war er dann doch nie. Er blieb immer ganz knapp unter der politischen Wasseroberfläche. Immer wieder war sein Kopf mal zu sehen, Äußerungen zu transatlantischen Fragen hier, ein Appell für Europa dort. In dieser Woche ist er wieder aufgetaucht.
    "Mein Name ist Friedrich Merz. Mit E"
    Es geht um Macht, Ambitionen, Emotionen
    Der Auftritt des einstigen Erzrivalen der Kanzlerin macht das letzte Kapitel der Kanzlerschaft Angela Merkels zu einem Drama, als wäre es der amerikanischen Fernsehserie House of Cards nachgespielt. Es gibt Rückblenden in lange zurückliegende Staffeln des Epos. Es geht um Macht, Ambitionen, Emotionen. Und es geht darum, auf welches Ende die Erzählung dieser Bundeskanzlerin zusteuert.
    "Ich habe mir immer gewünscht und vorgenommen, meine staatspolitischen und parteipolitischen Ämter in Würde zu tragen und sie eines Tages auch in Würde zu verlassen."
    Die letzte Strecke ist die heikelste. Merkel wird an dem Maßstab gemessen, den sie selbst immer wieder – hier im ZDF-Interview Anfang dieses Jahres – formuliert hat.
    "Für mich gehören diese beiden Ämter in einer Hand, um auch eine stabile Regierung führen zu können."
    Der Versuch aber, die ganze Macht in Partei und Regierung bis zum Ende in der Hand zu halten, um sie kontrolliert zu übergeben, ist schon jetzt gescheitert.
    "Das ist ein Wagnis, keine Frage. Aber unter Abwägung aller Vor- und Nachteile bin ich dennoch zu dem Ergebnis gekommen, dass es vertretbar ist, dieses Wagnis einzugehen."

    Schon lange bevor Angela Merkel erklärte, nach dem Ende der laufenden Wahlperiode – wann auch immer das ist – aus der aktiven Politik auszuscheiden, hatte ihre Partei damit begonnen, sich auf die anstehende Zeitenwende einzustellen. Daniel Günther, der schleswig-holsteinische Ministerpräsident und Verfechter des von Merkel geprägten liberalen Kurses seiner Partei, sprach das aus, noch bevor die Kanzlerin ihr letztes Regierungsbündnis in Berlin geschmiedet hatte.
    "Ich glaube, dass die CDU im Moment vor einem historischen Prozess steht. Denn es ist ja noch nie gelungen, innerhalb einer Kanzlerschaft auch zu organisieren, dass eine Partei über die Zeit einer Kanzlerin hinaus auch eine Regierungsperspektive hat."
    Auch in der Breite der Partei ist das Bedürfnis nach neuer Inspiration und politischer Lebensenergie seit Langem spürbar.
    "Die gegenwärtige Lage unserer Partei erfüllt mich mit Sorge. Werte sind für uns oft nur noch zu Worthülsen geworden. Wir haben das C auf dem Altar des Zeitgeistes geopfert."
    "In Dresden haben sich 60 zu 40 für den GroKo-Vertrag ausgesprochen. In der Mittelstandsvereinigung 60 zu 40 gegen den GroKo-Vertrag. Und jetzt muss ich ihnen einmal sagen – ich als Delegierter – ich bin zutiefst frustriert, dass wir in so eine Situation hinein gekommen sind."
    Als Angela Merkel auf dem letzten Parteitag Ende Februar die CDU-Basis hörte, wusste sie, dass es darum geht, den Übergang zu organisieren. Und zugleich weiß sie, dass sie selbst nicht mehr die alleinige Autorin des letzten Kapitels ihrer Kanzlerschaft ist.
    "Also, alle Versuche, dass diejenigen, die heute oder in der Vergangenheit tätig waren, ihre Nachfolger bestimmen wollen, sind immer total schiefgegangen. Und das ist auch richtig so."
    Kanzlerin Angela Merkel nach dem sie ihren Rückzug als CDU-Vorsitzende bekannt gab
    Kanzlerin Angela Merkel nachdem sie ihren Rückzug als CDU-Vorsitzende bekannt gab (Kay Nietfeld/dpa)
    Annegret Kramp-Karrenbauer positioniert sich
    Es werde sich schon jemand finden, der was werden will, pflegte Merkel früher zu sagen, wenn sie auf die Nachfolge angesprochen wurde. Als sich Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang des Jahres für das Amt der Generalsekretärin bewarb, ließ sie keinen Zweifel, dass sie mehr im Blick hatte.
    "Und deswegen kommt es auch im Leben von jedem Einzelnen zu Situationen, da genügt es nicht mehr zu sagen, derjenige müsste oder diejenige sollte. Sondern da muss man selbst die Antwort darauf geben. Und die kann da nur lauten: Ich kann. Ich will. Und ich werde. Und deswegen stelle ich mich gerne in den Dienst der Partei."
    Die flammende Bewerbungsrede täuschte nicht darüber hinweg, dass Annegret Kramp-Karrenbauer in Habitus und dem betont ausgleichenden Stil ihrer Politik bislang der Kanzlerin ähnelt, wenn nicht gleicht. Es sind die Mitbewerber, die die Wahl, vor der die Partei steht, zu einer Richtungsentscheidung stilisieren: Jens Spahn und Friedrich Merz.
    "Dieses Land ist so wenig links, wie lange nicht. Das ist doch eine Chance, wenn wir es richtig machen. Digitalisierung, alles immer schneller. Der demografische Wandel. Veränderung in den Sozialstrukturen, Migration. Das Bedürfnis nach Heimat, nach Geborgenheit. Da ist das Bedürfnis größer, dass man nicht jeden Tag im Alltag alles neu verhandeln muss. Sondern dass es so ein paar Dinge gibt, die einfach gelten: Tradition, Gebräuche, Werte."

    "Und die Modernisierung unserer Partei muss einschließen, dass gerade in Zeiten von Migration und Globalisierung nationale Identität und traditionelle Werte einen festen Platz in unserem Denken und Handeln haben."
    Die Entscheidung über den neuen Vorsitz wird für die CDU zu einer Selbstfindung im 21. Jahrhundert. Sie wird sich in einer Gesellschaft verorten müssen, die sich in den 18 Jahren, in denen Angela Merkel Vorsitzende der Partei war, verändert hat.
    Es gibt also viel zu besprechen ab Sonntag auf der Klausur der CDU-Spitze. Atomausstieg, Aussetzung der Wehrpflicht, Schwenk in der Familienpolitik - das sind nur einige der Felder, auf denen Merkel ihrer Partei einen Modernisierungskurs verordnet hatte. Ihr Ziel dabei: die CDU langfristig anschlussfähig zu halten an gesellschaftliche Groß-Trends. Und: Die eklatanten Schwächen der Christdemokratie in den Großstädten auszugleichen.
    Doch dabei sind viele Konservative nicht mitgekommen. Sie erkennen ihre CDU nicht wieder. Die Euphorie, die die Kandidatur von Friedrich Merz bei vielen auslöst, hat – neben den verheerenden Wahlergebnissen – nicht zuletzt darin ihre Wurzel. War der Modernisierungskurs Merkels also ein Fehler?
    Besuch bei einem, der das Ohr an den Wählerinnen und Wählern hat: Michael Kunert ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts infratest dimap. Er glaubt nicht, dass Merkel wirklich eine andere Wahl gehabt hat:
    "Man muss sich mal überlegen, wo die Positionen früher gelegen haben. Also, wenn man mal an Thema Familie, Kindererziehung denkt: Wer würde denn heute akzeptieren, dass die Frau im alten Rollenverständnis bleiben sollte und zuhause am Herd steht – sage ich mal etwas platt? Da ist das Thema Kindererziehung, Kleinkindbetreuung und so weiter - da musste ja die CDU hingetrieben werden. Und wenn sie da nicht mitgegangen wäre, hätte sie ein viel, viel größeres Problem noch. Also, das ist ein Beispiel, wo diese Modernisierung in meinen Augen ohne Alternative war."
    Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn
    Friedrich Merz, Annegret Kramp-Karrenbauer, Jens Spahn: Positionierung für den CDU-Vorsitz (dpa/Henning Kaiser)
    Modernisierungskurs war dennoch richtig, so der Meinungsforscher
    So alternativlos der Modernisierungskurs der CDU unter Merkel gewesen sein mag: Ist es nicht jetzt – angesichts der Wahlerfolge der AfD – an der Zeit, wieder ein konservativeres Profil zu zeigen? Da ist Meinungsforscher Kunert – auch mit Blick auf die jüngsten Wahlen in Hessen und Bayern – skeptisch:
    "Ich sag mal, wenn man sich anschaut die CSU, die ja durchaus einen etwas konservativeren Charakter hat als jetzt die Schwesterpartei CDU, hatte jetzt genau dasselbe Problem bei den Wahlen im Oktober und hat ebenfalls ganz kräftig verloren. Also so ganz einfach ist die Rechnung nicht!"
    Er sieht die Ursachen für den aktuellen Absturz von CDU und CSU woanders: Die Flüchtlingspolitik und das Aufkommen der AfD dadurch seien der zentrale Punkt gewesen für die Verluste der Union. Dazu die quälende Zeit der Regierungsbildung, die monatelangen Querelen zwischen CDU/CSU und die Personalie Maaßen – das seien alles Punkte gewesen, die gar nicht gut angekommen sind.
    29.10.2018, Berlin: Andrea Nahles (SPD), Bundesvorsitzende der SPD, beantwortet nach der Sitzung des Vorstandes der SPD-Bundespartei im Willy-Brandt-Haus Fragen von Journalisten zu den Ergebnissen der Landtagswahl in Hessen
    Andrea Nahles, Bundesvorsitzende der SPD (picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa)
    Daneben aber gebe es wichtige inhaltliche Schwächen: Gerade einmal fünf Prozent der Hessinnen und Hessen zum Beispiel sehen bei den Christdemokraten Kompetenz in den Feldern Umwelt und Klima – das ist ein Wert, der so noch nie für die CDU gemessen wurde. Aber ein Bereich, der für die Wählerinnen und Wähler zunehmend wichtig geworden ist:
    "Also, diese Themen haben im Moment absolute Hochkonjunktur und haben ja auch den Grünen deutlich und stark in die Hände gespielt. Man denke nur an die Stichworte Hambacher Forst, Kohlepolitik, der heiße Sommer, auch Insektensterben und so weiter – diese ganzen Themen sind auf der Tagesordnung."
    Überhaupt: die Grünen. Fragt man die Wählerinnen und Wähler, wer die besten Konzepte für die Zukunft hat, dann ist die einstige Öko-Partei diejenige, die vor allen anderen Parteien deutlich führt. Die Grünen werden wahrgenommen als konstruktive Kraft der Mitte, die für alle wählbar sind.
    Union und SPD aber haben – neben inhaltlichen Schwächen – ein massives demografisches Problem, erklärt Michael Kunert von infratest dimap:
    "Jedes Jahr verliert die CDU erheblich mehr durch das Versterben von Parteianhängern als nachwachsen bei den Erstwählern. Und das geht jetzt schon Jahr für Jahr und geht immer weiter. Wenn jemand erwachsen wird, dann ist oftmals die politische Einstellung, die man in dieser Zeit gewinnt, die trägt manchmal ein ganzes Leben – jedenfalls eine gewisse Grundausrichtung. Und das kann man nicht so ohne Weiteres wieder wettmachen. Und da läuft die Zeit gegen die CDU und auch genauso gegen SPD und CSU."
    Bei der SPD sieht der Demoskop einen weiteren Knackpunkt: Sie schaffe es einfach nicht, zu einmal gefassten Beschlüssen auch nur halbwegs zu stehen:
    "Wenn man sich überlegt: Die Hartz-IV-Regelungen, die sind 20 Jahre alt. Die Partei diskutiert immer noch darüber, ob das gut oder schlecht war, und was man davon ändern kann oder muss. Und umgekehrt: Es gab einen Mitgliederentscheid, wo fast zwei Drittel für die Regierung sich ausgesprochen haben. Was passiert? Kaum ist die Regierung gebildet, geht es wieder los, die Diskussion, ob man nicht besser morgen ausscheiden soll. Wie soll jemand in der Bevölkerung Vertrauen dazu fassen, wenn aus den eigenen Reihen unentwegt die eigenen Positionen hinterfragt werden?"
    SPD hat tiefer sitzendes Problem
    Die Argumentation führender Sozialdemokraten, ihre Partei stehe deshalb so schlecht da, weil sich CDU und CSU monatelang auf offener Bühne zerstritten haben und deshalb niemand mehr über die gute Politik gesprochen habe, für die die SPD stehe, diese Argumentation hält Kunert für wenig stichhaltig. Die Sozialdemokraten haben aus Sicht des Meinungsforschers ein ganz anderes, tiefer sitzendes Problem: SPD und soziale Gerechtigkeit – das sind aus Sicht der Wähler nämlich schon lange keine Synonyme mehr:
    "Die Grünen und die Linke haben hier deutlich aufgeholt. Und soziale Gerechtigkeit wird nicht mehr eins zu eins sofort mit der SPD gleichgesetzt."
    In Hessen war es sogar noch schlimmer: Hier hat die Linke die Meinungsführerschaft in punkto soziale Gerechtigkeit übernommen. Ein Alarmsignal, das bis ins Willy-Brandt-Haus in Berlin schallen dürfte.
    "Es hilft nix. Wir müssen mit diesem Ergebnis umgehen."
    "Es ist uns nicht gelungen, bisher uns ausreichend freizuschwimmen in dieser Regierung als Partei, und deswegen wird das eine große Aufgabe in den nächsten Monaten werden."
    Jeweils minus 10,9 Prozentpunkte bei den Landtagswahlen, erst in Bayern, dann in Hessen. Am Tag danach stehen Parteichefin Andrea Nahles und der hessische Spitzenkandidat Torsten Schäfer-Gümbel dort im Willy-Brandt-Haus in Berlin – beide wirken ausgelaugt und bleich.
    Zur Zeit geht gefühlt alles den Bach runter bei den Sozialdemokraten: Eigene Themen vorantreiben, das Profil der SPD schärfen, und mit Andrea Nahles als Parteichefin noch mal ganz neu anfangen. Nichts davon klappt derzeit. Schuld sind, nach SPD-Lesart: die Schwesterparteien CDU und CSU. Doch seit Angela Merkels eingeleitetem Rückzug vom Parteivorsitz hat sich der Wind gedreht: Auf einmal weht eine frische Brise beim Koalitionspartner. Merkel leitet selbstbestimmt ihren Abschied ein und macht den Weg frei für ein spannendes Rennen um ihre Nachfolge. Damit stehen die Genossen jetzt noch mehr unter Druck, endlich eine Frischzellenkur einzuleiten.
    "Über den Ernst der Lage hat hier keiner irgendeine Illusion in der SPD-Spitze, auch nicht im Parteivorstand."

    Sagt Andrea Nahles. Ihr parteiinterner Kontrahent, Juso-Chef Kevin Kühnert, klammert sich hingegen an letzte Strohhalme. Sollte die Union mit Friedrich Merz oder Jens Spahn einen konservativen, wirtschaftsliberalen Mann an ihre Spitze wählen, könnte das für die SPD sogar eine Chance sein, meint Kühnert:
    "Viele Menschen haben in den letzten Jahren das Gefühl gehabt, dass Union und SPD mehr so zwei Flügel einer Partei sind. Das hört jetzt auf. Wir Jusos haben immer eingefordert mehr Kontrast zwischen den Parteien, insofern ist es mir lieber, wenn die Union ein deutliches Zeichen gibt, dass für sie es jetzt ins Konservative weiter zurückgeht."
    Eines unterschlägt der Juso-Chef jedoch: Sollte Friedrich Merz neuer CDU-Parteichef werden, liefe wohl alles auf einen Bruch der Koalition hinaus, denn eine Doppelspitze Merz-Merkel erscheint undenkbar. Gefragt, wie lange das Bündnis mit der Union noch hält, meint Kühnert:
    "Also ich glaube nicht bis 2021. Die Frage ist, wer eine kluge Exit-Option irgendwann findet."
    Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender der Jusos, der SPD Nachwuchsorganisation, aufgenommen am 20.4.2018 in Berlin
    Der Bundesvorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos, Kevin Kühnert. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Neuwahl wäre für die SPD ein Graus
    Eine Neuwahl wäre für die SPD in ihrer momentanen Verfassung jedoch ein Graus, inhaltlich wie personell. Andrea Nahles ist im Laufe der Amtszeit von CDU-Chefin Merkel zwar die zehnte SPD-Vorsitzende und erst sechs Monate im Amt. Doch nicht einmal das schützt sie vor Rücktrittsspekulationen
    "Ich bin schon der Überzeugung, dass ein richtiger Erneuerungsprozess auch personelle Erneuerung bedeuten muss."
    Ins gleiche Horn stoßen zwei ältere Herren vom Spielfeldrand: Peer Steinbrück, der gescheiterte Kanzlerkandidat des Jahres 2013, wünscht sich einen deutschen Bernie Sanders für die Sozis. Sigmar Gabriel, der gescheiterte Ex-Vorsitzende, fordert einen radikalen Neubeginn, was durchaus auch personell zu verstehen ist. Für Nahles sind beide Wortmeldungen eine Klatsche, hatte sie doch am Montag erst betont:
    "Eine personelle Neuaufstellung ist nicht in Rede in der SPD."
    Olaf Scholz, den Vizekanzler, finden viele an der Basis zu abgehoben. Und in seinem Ressort schneidet der Finanzminister Themen bisher nur halbherzig ab: Ob Renten, Mindestlohn oder EU-Reformen – Scholz lässt Testballons steigen und dann davonfliegen. Andrea Nahles ahnt längst, dass das nicht reicht:
    "Ich glaube, wir können mehr Klarheit, mehr Verbindlichkeit, mehr Vertrauen erzeugen, dadurch, dass wir selber einige Punkte klären. Wer selbst mit sich im Reinen ist, kann auch leichter überzeugen."
    Bis Anfang nächsten Jahres will die Parteispitze liefern - mit Blick auf die Europapolitik, den Investitionsstau in Deutschland und die Vereinbarkeit von Arbeitsplätzen und Klimaschutz. Parteifreund Stephan Weil setzt andere Schwerpunkte: Bezahlbare Mieten, eine geregelte Zuwanderung und der Zusammenhalt der Gesellschaft – das sind die wichtigsten Anliegen des Regierungschefs aus Niedersachsen, gerade mit Blick auf die schwierigen Europa- und Landtagswahlen in Ostdeutschland 2019. Und noch eines ist für Weil wichtig:
    "Ich glaube, dass beispielsweise das Thema Schutz vor Altersarmut eine enorm wichtige Rolle spielt. Die vielen Millionen Beschäftigten, die sich fragen, werde ich einmal genug Geld haben, wenn ich im Ruhestand bin, für die ist das eine ganz entscheidende Frage. Und deswegen muss die SPD genau an dieser Stelle auch die Meinungsführerschaft haben."
    Sagt Weil im Gespräch mit unserem Hauptstadtstudio. Er ist der Einzige, der seit der Bundestagswahl 2017 eine Landtagswahl für die SPD gewonnen hat. Seitdem regiert Weils GroKo in Niedersachsen überwiegend geräuschlos. Anders als in Berlin gibt es in Hannover keine CSU, die AfD ist schwach, und die Grünen mit sich selbst beschäftigt. Doch der Erfolg ist auch hausgemacht: Stephan Weil gilt als bürgernah und ist bei Wählern und in der eigenen Partei beliebt. Sollte die SPD absehbar in eine Neuwahl stolpern, würde Olaf Scholz gerne als Kanzlerkandidat antreten, aber immer wieder fällt auch der Name Stephan Weil:
    "Auch dazu sage ich, dass ich ausgesprochen gerne und mit vollem Einsatz Ministerpräsident von Niedersachsen bin. Und dass ich mich auch gar nicht verändern will."
    Andererseits wäre Stephan Weil niemand, der seine Partei im Fall der Fälle im Stich lassen würde. Die Politik müsse wieder Vertrauen vermitteln und den Leuten damit ein Gefühl von Sicherheit geben – solange die SPD diesen Anspruch hat, sagt der 59-Jährige, bleibt sie weiter Volkspartei. Allen schlechten Umfragen zum Trotz.
    "Ja, unbedingt. Volksparteien, das sind für mich Parteien, die sich bemühen, die ganz unterschiedlichen Interessen in unserer Gesellschaft so gut wie möglich zueinander zu bringen. Die SPD muss das tun, das ist Teil unseres Gesellschaftsbildes."
    Am Sonntag trifft sich das Präsidium zu einer dreistündigen Sitzung, Montag tagt erneut der Parteivorstand der SPD. Die Erwartungen an diese nächsten Gremiensitzungen sind gering, zumal das Heft des Handelns bis zum CDU-Parteitag Anfang Dezember bei der Union liegt. Den Sozialdemokraten bleibt nichts anderes übrig, als abzuwarten – oder, wie es einer aus der Parteispitze formuliert: "Es gibt nicht die eine Knaller-Lösung."