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Cebit 2015
Digitalisierung als Herausforderung für Mittelständler

In der Informationstechnik und Telekommunikation habe Deutschland das Rennen verloren, sagte Bernhard Rohleder vom Branchenverband Bitkom im DLF. Umso wichtiger sei es, die Konvergenz der traditionellen Industrie hin zur sogenannten Industrie 4.0 zu schaffen. Besonders mittelständische Unternehmen müssten eine Digitalisierungsstrategie entwickeln.

Bernhard Rohleder im Gespräch mit Reinhard Bieck | 17.03.2015
    Orangefarbener Produktionsroboterarm, im Hintergrund ein Regal mit Kunstobjekten aus Holz.
    Industrie 4.0: Dieser Produktionsroboter mit dem Namen "Robochop" produziert auf Anweisung von Internetnutzern. (dpa/picture alliance/Ole Spata)
    Mario Dobovisek: Sie galt als Publikumsmagnet, die Computermesse Cebit in Hannover, die gestern wieder ihre Tore öffnete. Längst hat sie ihren Rang als Publikumsmesse verloren. Für die Fachwelt ist ihre Bedeutung allerdings ungebrochen. Mein Kollege Reinhard Bieck hatte am Abend Gelegenheit, mit Bernhard Rohleder zu sprechen, dem Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitcom.
    Reinhard Bieck: Herr Rohleder, die großen digitalen Würfe und Ideen kommen aus den USA. Um die „Handarbeit“ kümmern sich China, Indien und Pakistan. Wird Deutschland gerade abgehängt?
    Bernhard Rohleder: Wir haben in der ersten digitalen Revolution, dort wo das Internet Einzug gehalten hat in die Informationstechnik, auch in die Telekommunikation, da haben wir die Rennen verloren. Aber es läuft gerade ein ganz neues Rennen. Wir nennen das Diconomy, sprechen auch über Industrie 4.0, also über die Konvergenz von traditionellen Industrien, auch von den Medien, von dem Content-Bereich mit der IT, mit der Digitalwirtschaft, und an der Stelle ist das Rennen noch komplett offen und jetzt geht es darum, dass wir hier nicht nur gut sind qualitativ, sondern dass wir auch schnell sind.
    Bieck: Sie sagen, das Rennen ist noch offen. Von Großunternehmen wie Siemens, VW, Linde und Lufthansa, da kann man erwarten, dass sie irgendwie up to date sind. Aber was ist mit dem deutschen Mittelstand? Es heißt ja, er verschlafe gerade im Moment, wo das Rennen noch offen ist, die Zeit. Stimmt das?
    Rohleder: Es ist in der Tat so, dass die mittelständischen Unternehmen der Digitalisierung oft sehr hilflos gegenüberstehen. Wir haben hierzu gerade als Bitcom eine Umfrage abgeschlossen und zum einen festgestellt, dass 70 Prozent aller Unternehmen, auch der Mittelständler in der Digitalisierung die aktuell größte wirtschaftliche Herausforderung sehen. Wir stellen aber gleichzeitig fest, dass im Mittelstand nicht einmal jedes zweite Unternehmen überhaupt eine Digitalisierungsstrategie hat. Das heißt, man sitzt wie der Hase vor der Schlange und wartet darauf, dass etwas passiert, und hier würden wir meinen, dass die Zeit des Wartens definitiv vorbei sein muss und dass die Unternehmen sich so schnell wie möglich und so strategisch wie möglich mit Digitalisierungsherausforderungen auseinandersetzen.
    Dramatische Veränderungen für den traditionellen Mittelstand
    Eine Frau liegt in einem Bett und verändert mit einer Handbewegung das Licht. Die Technik wird in dem Prototyp eines Smart Home in Fuenterrabia in Spanien. 
    Das sogenannte Connected Home ist für Mittelständler eine große Herausforderung. (AFP PHOTO/ Ho/ Think Big Factory)
    Bieck: Können Sie das als Hauptgeschäftsführer von Bitcom mal etwas präzisieren, etwas konkreter den Mittelständlern an die Hand geben?
    Rohleder: Nun, schauen Sie sich den Handwerksbereich an. Ich glaube, der Handwerksbereich zeigt das mit am besten. Dort erleben wir gerade echte Revolutionen beim sogenannten Smart Home oder den Connected Home, wo Hausgeräte, wo die Haussicherungstechnik, wo die Heizung, wo die Elektroanlage komplett vernetzt wird, also auch kommunikationsfähig gemacht wird, mit Intelligenz ausgerüstet wird. Dafür gab es in der Vergangenheit erst mal proprietäre Systeme, also Systeme, die nicht mit dem Internet kommuniziert haben, die von deutschen Unternehmen, von sogenannten Hidden Champions, echten Vorzeigemittelständlern entwickelt wurden, vom Handwerker vor Ort implementiert wurden. Und was passiert jetzt? - Wir sehen, dass die Internettechnologie auch in den Privathaushalt Einzug hält, dass ein Unternehmen wie Google einen Anbieter von Rauchmeldern gekauft hat für über drei Milliarden US-Dollar und dass jetzt ganz einfach in diese althergebrachten traditionellen Bereiche des deutschen Handwerks, des deutschen Mittelstandes eingebrochen wird und dass in Zukunft jemand, der sich eine Alarmanlage installieren will, nicht mehr zum Handwerker gehen muss, nicht mehr 5000 Euro auf den Tisch legen muss, sondern dass er für 500 Euro alles bekommt was er braucht, das selbst installiert und mit dem Smartphone steuert.
    Bieck: Herr Rohleder, wie sieht es mit der Datensicherheit aus? Wenn der Hersteller meines Autos erfährt, dass ich gelegentlich zu schnell fahre, dann ist mir das ziemlich egal. Aber bei der Polizei hätte ich da schon was dagegen. Ist es nicht einfach naiv zu glauben, dass die totale Datenerfassung, die totale Überwachung nicht eines Tages auch auf die totale Gängelung hinauslaufen wird?
    Rohleder: Das hängt davon ab, aus welcher Perspektive Sie das betrachten. Für Sie als Autofahrer, der Freude am Fahren hat, gehört es natürlich in gewisser Weise zu den Grundrechten, dass Sie auch mal geltendes Recht brechen, dass Sie mal schneller fahren als Sie dürfen und dass Sie auch im Parkverbot durchaus Ihr Auto mal abstellen. Wie verhält es sich jetzt, wenn Sie Nachts auf einer Landstraße einen Radfahrer umfahren und Fahrerflucht begehen? Hier werden wir schon schauen müssen, dass wir eine Balance hinbekommen, wo wir die Möglichkeiten der Technologie, die zum Beispiel Fahrerflucht zweifelsfrei verhindern kann, die dazu führen kann, dass wir wie in Schweden eine Vision Zero entwickeln und erfolgreich realisieren, also keine Verkehrstoten mehr haben. Hier müssen wir dafür sorgen, dass die Balance gefunden wird zwischen der Freude am Fahren auf der einen Seite und zum zweiten aber auch dem Schutz der schwächsten Verkehrsteilnehmer, und das sind Fußgänger und Fahrradfahrer.
    Dobovisek: Bernhard Rohleder vom Branchenverband Bitcom zum Auftakt der Computermesse Cebit. Die Fragen stellte mein Kollege Reinhard Bieck.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.