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Champions ohne Grenzen

300000 Menschen haben 2012 in einem EU-Staat Asyl beantragt, fast 65000 in Deutschland. Die Flüchtlinge erhoffen sich in Europa ein menschenwürdiges Leben, doch oft stoßen sie auf Abneigung und Rassismus. Zum Beispiel im Berliner Stadtteil Hellersdorf: Dort haben Rechtsextreme ein geplantes Asylbewerberheim genutzt, um Stimmung gegen Migranten zu schüren. Nun formieren sich Gruppen, um den Flüchtlingen zu helfen. Auch mit Hilfe des Fußballs.

Von Ronny Blaschke | 25.08.2013
    Ein Kunstrasenplatz in Kreuzberg. Ali Ahmadi, ein junger Torwart von kräftiger Statur, hat durch einen waghalsigen Sprung einen Elfmeter gehalten. Doch der Schütze hat nachgesetzt und den zurückprallenden Ball über die Torlinie geschoben. Der 20-jährige Ahmadi schlägt mit der flachen Hand auf den Rasen. Mitspieler und Gegner klopfen ihm auf die Schultern, sie lachen. "Champions ohne Grenzen" heißt das Projekt, das Flüchtlinge wie Ali Ahmadi durch Fußball zusammenführt.

    "Jeder hat eine eigene Herkunft, und ich finde das toll, dass sie hierher kommen. Ich glaube, hier ist der einzige Platz, wo sie Deutsch reden müssen, und ja, weil es Spaß macht. Sie helfen uns auch in der Ausländerbehörde, bei Papieren oder im Jobcenter."

    Ali Ahmadi stammt aus Ghazni, einer trostlosen Kleinstadt in Afghanistan. Im Alter von zehn Jahren, sagt er, ist er in den Iran geflüchtet. Er hat keine Schule besucht, sondern als Tischler gearbeitet, immer wieder wurde er ausgegrenzt und bedroht. 2010 brach er nach Europa auf, sein gespartes Geld überließ er den Fluchthelfern. Die Route führte ihn über die Türkei nach Griechenland, von Italien über Frankreich nach Deutschland. Er übernachtete in einem türkischen Eselstall, musste sich von griechischen Polizisten freikaufen, schlief in Paris auf der Straße. Das schlimmste auf seiner zwei Monate dauernden Flucht, sagt er, war die Schiffsüberfahrt nach Italien.

    "Wir haben gar nicht gedacht, dass es so lange dauert, vier Nächte und drei Tage. In einem kleinen Schiff mit 72 Leuten, also gar keinen Platz hatten wir. Zwei oder drei Mal ist das Wasser reingekommen und wir mussten pumpen. Es gab kein Platz, um zu schlafen. Ich konnte nicht essen, weil sich das Schiff so bewegt hat. Ich habe einmal versucht zu essen, aber dann habe ich mich umso mehr übergeben. Aber ich habe es geschafft."

    Viele der dreißig Flüchtlinge, die in Kreuzberg für den Fußball zusammenkommen, haben ihr Leben riskiert, um in Freiheit noch einmal neu anzufangen. Sie stammen aus dem Irak, Bangladesch oder Mali, aus dem Iran, Kamerun oder Palästina. Das Projekt "Champions ohne Grenzen" besteht seit April 2012, in Kooperation mit der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen und dem Kreuzberger Verein Hansa 07. Trainerin ist Carolin Gaffron. Die Kulturwissenschaftlerin engagiert sich seit Jahren für soziale Themen, ihre Initiative trägt den Namen: "...weil Fußball verbindet."

    "Für viele bedeutet es ein Ausgleich vom tristen Alltag. Viele wohnen auch noch in Wohnheimen, viele wissen vielleicht gar nicht, wo sie sich sportlich betätigen können. Der Weg zum Verein ist einfach zu groß. Gerade auch was die Sprachkenntnisse angeht, im Verein wird nicht unbedingt darauf Rücksicht genommen, wenn da jemand die deutsche Sprache nicht so gut beherrscht. Oft sind die Flüchtlinge auch unter sich: Die Afghanen mit den Afghanen, oder die Kameruner mit ihren Kamerunern. Und hier kommen sie halt auch unter den Nationalitäten zusammen, nicht nur mit Deutschen, sondern auch Afghanen mit Iranern oder mit Kamerunern, was die Internationalität voranbringt. Wir übersetzen auch, für Leute, die es noch nicht so gut können. Aber an sich versuchen wir schon, in einfacher deutscher Sprache das zu vermitteln."

    Nach jedem Training vermittelt Carolin Gaffron Kontakte: Zu Sprachlehrern, Ärzten oder Anwälten. Sie übersetzt Formulare, plant Behördengänge. Und sie bittet die Spieler, aktiv zu werden. Die "Champions ohne Grenzen" bestreiten Freundschaftsspiele und nehmen an Turnieren teil, beteiligen sich an Kundgebungen gegen Rassismus und treten bei Stadtteilfesten auf. Das Projekt will medialen Klischees entgegen wirken.

    "Entweder negativ dargestellt: Sie sind nur Sozialschmarotzer. Oder aber auch: die armen Flüchtlinge wohnen in einem schlechten Heim. Aber hier sind sie einfach ganz normale Menschen, die einfach nur Fußball spielen, die einfach nur Spaß haben wollen und unter Freunden sind. Also wir verstehen uns nicht als Fußballtraining, sondern als Netzwerk für die Flüchtlinge."

    Ali Ahmadi hat kaum noch Kontakt zu Freunden und Verwandten in Afghanistan. Seine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland endet 2014. Ali Ahmadi sagt, er möchte sich so gut wie möglich integrieren. Er hat Sprachkurse absolviert, eine kleine Wohnung bezogen. Er geht zur Volkshochschule, möchte bald sein Abitur ablegen. In seiner Freizeit spielt er in einer Theatergruppe und hilft anderen Flüchtlingen, sich zurechtzufinden.

    "Ich will hier eine richtige Zukunft aufbauen, mit einer richtigen Familie. Ich möchte, wenn ich es schaffe, wenn ich es kann, studieren. Ich möchte Arzt werden und den armen Leuten helfen. Und den Asylbewerbern helfen, dass sie nicht so viele Probleme haben."

    Die "Champions ohne Grenzen" wollen ihr Angebot auf Flüchtlingsheime ausweiten. Eine Mannschaft für Kinder gibt es schon, sie sind zwischen acht und zwölf Jahre alt. Einer ihrer Trainer ist Ali Ahmadi. Viele Jahre fühlte er sich auf der Flucht hin und hergestoßen, doch nun gibt es selbst die Richtung vor.