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Chance hoch 2

Kinder aus Nichtakademikerfamilien werden oft selbst keine Akademiker. Weil sie es von ihren Eltern nicht anders kennen. Dabei sind Kinder aus Arbeiterfamilien nicht weniger begabt für ein Studium. Die Universität Duisburg Essen will gezielt etwas dagegen tun.

Von Hilde Braun | 24.01.2011
    "Ich freue mich, dass wir heute zusammen über ein so alltägliches Thema sprechen können wie das Schreiben von Texten und würde jetzt einfach mal fragen so einstiegsmäßig, was denkt ihr, wenn jemand beobachtet wird beim Schreiben. Was seht ich,r wenn jemand schreibt?"

    Die Schreibwerkstatt ist einer der Kurse, die die Universität Duisburg Essen den Schülern, die am Förderprogramm teilnehmen, drei bis viermal pro Semester an der Hochschule anbietet. Ulrike Pospiech leitet sie. Die Schüler lernen bei ihr, mit Texten zu arbeiten oder eigene Texte zu schreiben, eine wichtige Fähigkeit für Hausarbeiten oder Klausuren.

    "Mareike, fällt dir was ein? (Schülerin) Ja, mir fällt ein, dass manche langsam schreiben, manche schnell, manche machen Pausen und gucken in der Gegend rum..."

    Mareike Nonn besucht die 11. Klasse der Gesamtschule Duisburg Meiderich und ist 17 Jahre alt. Sie ist eine der insgesamt 29 Schülerinnen und Schüler, die für den ersten Jahrgang von "Chance hoch 2" ausgewählt wurden. Nach einer Informationsveranstaltung von der Uni Duisburg Essen an ihrer Schule hat sie sich schriftlich für das Förderprogramm beworben. Auch Waldemar Fuchs hat einen Stipendiumsplatz bekommen.

    "Meine Lehrerin hat so ein Empfehlungsschreiben geschrieben, wie ich so in der Klasse bin, zu meinen Freunden, wie ich so in der Schule bin, ich denke, das hat mir sehr geholfen, ja ..."

    Der Elftklässler ist der Erste in seiner Familie, der studieren wird. Maschinenbau ist sein Wunschfach. Sein Vater ist Lagerist, seine Mutter Arzthelferin. Dass er studieren wird, erfüllt seine Eltern nicht nur mit Stolz:

    "Die sind natürlich auf der einen Seite froh, dass ich so weit gehen möchte. Natürlich ist da aber auch so ein bisschen Skepsis bei, vor allem weil meine Eltern nicht studiert haben, die denken immer so ein bisschen ja das kostet viel Geld und die denken sich, wenn das jetzt nicht klappt ... alle haben so die Vorstellung, dass das sehr schwer ist und Ähnliches ..."

    Vor der Aufnahme in das Programm musste er in einem Vorstellungsgespräch die Auswahlkommission davon überzeugen, dass er unbedingt studieren will und wieso. Motivation spielt eine wichtige Rolle in diesem Förderprogramm, das neben der Schreibwerkstatt den Schülern auch andere Techniken vermittelt. Sie lernen beispielsweise sich auf Prüfungen vorzubereiten, trainieren Konzentration und bekommen Hilfe, das richtige Studienfach zu finden. Mark Becker ist Leiter des Förderprogramms.

    "Dann haben sie die Möglichkeit in den Unialltag hinein zu schnuppern im Rahmen von Probestudium, Schülerstudium, aber auch dadurch, dass sie von Mentoren begleitet werden, also von Studierenden, die aktuell studieren, die sie dann mitnehmen in die Hochschule, also zum Beispiel in eine Vorlesung oder wo sie das Alltagsleben eines Studenten erleben können."

    Vor dem Förderprogramm "Chance hoch zwei" wäre ein Studium Utopie gewesen, erklären einige Teilnehmer. Bilal Bilgi ist 17 Jahre alt. Er kommt aus Georgien. Auch in seiner Familie ist er der Erste, der an die Hochschule will. Er ist bereit dafür hart zu arbeiten.

    "Mich sprachlich auszudrücken habe ich zum Beispiel Probleme, und da guckt man, wo die Schwächen sind, und da wird dann da geholfen. Ja ich bin optimistisch, dass ich es schaffen werde und durch "Chance hoch 2" denke ich habe ich Vorteile."

    Nun werden die ersten Studierenden mit dem Programm gefördert. Sie bekommen ebenfalls Kurse oder Tutorien, in denen sie zum Beispiel lernen, wie sie ein Referat halten oder am besten die Zeit im Studium einteilen. Zusätzlich zum Bafög erhalten sie 300 Euro pro Monat. Mark Becker:

    "Wir wissen, dass bei uns 70 Prozent der Studierenden jobben gehen, und zum Teil auch mehrere Tage in der Woche, um ihr Studium zu finanzieren und das ist natürlich eine große Entlastung."

    Auch interkulturelle Kompetenz ist Teil des Programms, bei dem die jungen Teilnehmer Verständnis und Wertschätzung für unterschiedliche Herkunftsländer lernen. Bisher nehmen sieben Schulen aus Essen und Duisburg an dem Förderprogramm teil. Bis Ende des Monats können sich weitere 25 Schüler für einen Stipendienplatz bewerben. Interessierte sollten allerdings möglichst aus der Region kommen. Die Stiftung Mercator unterstützt das Projekt mit 2,3 Millionen Euro. "Chance hoch zwei" ist bundesweit einzigartig und könnte Modell für viele andere Hochschulen sein, sagt die Initiatorin des Projekts, Ute Klammer:

    "Die Schulen selber haben oft nicht die Möglichkeit, die Kinder adäquat zu fördern, obwohl es auch viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer gibt und was es vor allem in Deutschland nicht gibt, sind bildungsstufenübergreifende Fördersysteme, die also in der Schule anfangen bis über diese schwierige Studieneingangsphase gehen, bis zu einem Studienabschluss und das wollten wir erstmals hier aufstellen."
    http://www.uni-due.de/chancehoch2/