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"Chance im Rahmen einer privilegierten Partnerschaft"

Der vom türkischen Ministerpräsidenten Erdogan geforderte Termin für einen EU-Beitritt seines Landes ist auf Kritik gestoßen. Der stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Michael Gahler, sagte, nach Beschlusslage der EU könne erst kurz vor dem Ende der Beitrittsverhandlungen ein genaues Datum genannt werden.

17.04.2007
    Müller: Wer sitzt am längeren Hebel in der Beitrittsfrage, die Türkei oder die Europäische Union? Das ist nicht ganz so einfach zu beantworten, wie es zunächst den Anschein hat, denn auch Ankara hat gute Argumente auf seiner Seite, beispielsweise die fortschreitende Islamisierung des zentralasiatischen Raumes erfolgreich eindämmen zu können, neben der Wirtschaftskraft und anderen Aspekten. Der türkische Ministerpräsident Erdogan wird langsam ungeduldig und macht Druck. "Wir wollen einen klaren Termin", fordert er von Brüssel.
    Am Telefon ist jetzt der Unionspolitiker Michael Gahler, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Guten Tag!

    Gahler: Guten Tag!

    Müller: Herr Gahler, können sich die Türken das Verhandeln sparen?

    Gahler: Nein! Es ist ja vereinbart, wie wir fortschreiten. Es sind bisher zwei Kapitel eröffnet worden. Eines ist auch schon wieder geschlossen worden. Die Bedingungen des Beitrittsprozesses sind festgelegt, wobei ich daran erinnern möchte, was die Beschlusslage der CDU als Partei ist oder auch der Bundestagsfraktion und auch der CDU/CSU-Gruppe. Sie haben das im Zusammenhang mit der CDU-Vorsitzenden Merkel richtig erwähnt. Wir sind als CDU für eine privilegierte Partnerschaft und nicht für die Vollmitgliedschaft. Die Beschlusslage auf EU-Ebene ist aber eine andere.

    Müller: Das heißt aber ganz gleich wie gut die Türken die Hausaufgaben machen, die aus Brüssel aufgegeben werden, eine Mitgliedschaft wird es aus CDU-Sicht niemals geben?

    Gahler: Nach unserer Auffassung nicht.

    Müller: Wie fassen das Ihre europäischen Kollegen auf?

    Gahler: Es gibt sicherlich im Europäischen Parlament derzeit, wenn sie jetzt eine Abstimmung hätten, ob sie grundsätzlich den Beitritt befürworten, eine Mehrheit für einen Beitritt. Und ich habe ja auch gesagt: die Beschlusslage der Europäischen Union geht dahin - damals waren wir auch dagegen -, Beitrittsverhandlungen zu eröffnen und zu führen. Es ist aber auch klar und das ist Beschlusslage zum Beispiel vom letzten Europäischen Rat im Dezember 2006, die da heißt, die Europäische Union wird erst dann Termine für Beitritte festlegen, wenn die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss stehen. Das kann man bei 2 von 35 Kapiteln wahrhaftig nicht sagen!

    Müller: Aber gegen das Votum Berlins, gegen das Votum Deutschlands wird ja nichts laufen?

    Gahler: Gegen das Votum eines jeden Landes wird nichts laufen. Das ist glaube ich auch eine der Realitäten in Europa, dass man zwar Beschlusslagen sozusagen in der sicheren Gewissheit trifft, dass es fern in der Zukunft dann vielleicht Realität wird, dass aber im Einzelgespräch die Auffassung vieler Regierungsmitglieder und auch Abgeordneter in Bezug auf eine Vollmitgliedschaft eine andere ist, und zwar aus verschiedenen Gründen: unter anderem auch der Aufnahmefähigkeit der EU. Ich halte es wirklich für unangebracht, jetzt über den Beitritt konkret auch nur eine Road Map, wie es Herr Erdogan verlangt, aufzustellen, wenn wir als EU auch intern schon keine Hausaufgaben gemacht haben. Wir haben da also verschiedene Ebenen der Diskussion, was alles nicht erledigt ist, die großen Aufgaben, die die Türkei zu erledigen hat. Richtig: sie muss sich auf ihre Reform konzentrieren, aber die EU hat ihre eigene Reformagenda ja auch noch nicht bewältigt.

    Müller: Herr Gahler, um noch mal bei dieser türkischen Sicht ganz kurz zu bleiben. Das heißt noch einmal zusammengefasst: wenn die Türken ihre Aufgaben machen und kommen ganz gut durch die Schule, so wie das definiert und verlangt wird, dann gibt es hinterher trotzdem kein Abschlusszeugnis?

    Gahler: Das ist heute höchst spekulativ. Ich kann nicht für in 10 bis 15 Jahren eine Voraussage treffen, wenn ich überhaupt schon in der konkreten Phase jetzt sehe, dass die Türkei ihre Aufgaben nicht erfüllt. Sie hat das Ankara-Protokoll nicht umgesetzt. Sie hat in vielen Bereichen - der berühmte Straftatbestand 301, die Verunglimpfung des Türkentums -, auch da ist zum Beispiel noch keine Lösung in Sicht. Die innenpolitische Debatte über eine Islamisierung, eine schleichende oder nicht, das zeigt ja doch, dass das Land so viele innenpolitische Probleme hat, die es erst mal selbst lösen muss, dass man von einem großen Ziel doch heute noch keine Aussage treffen kann.

    Müller: Herr Gahler, könnte das aber auch daran liegen, dass die pro-europäischen Kräfte in der Türkei, die die Reformen dort auch wollen, letztendlich nicht genügend Unterstützung bekommen durch diese nicht redlichen Signale aus Brüssel?

    Gahler: Ich bin der Auffassung, dass die Signale für jeden Beitrittskandidaten zunächst mal klar und auch gleich waren. Wer in die Union herein will, muss sämtliche Voraussetzungen politischer und wirtschaftlicher Art erfüllen, unabhängig davon ob die eine oder andere Partei wie die CDU jetzt gegen den Beitritt als solchen ist. Ich sagte ja: die Beschlusslage auf der europäischen Unionsebene ist eine, die Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, und dann kann es keine Rabatte für irgendeinen Beitrittskandidaten geben und das gilt auch für die Türkei. Ich glaube die Schwierigkeiten, die die Türkei derzeit hat, sind ja symptomatisch eben dafür, dass es ein Land ist, was in Wirklichkeit nach Auffassung der CDU zwar zu einer privilegierten Partnerschaft - wir können viel gemeinsam miteinander machen - in der Lage ist, aber eben nicht zu einer Vollmitgliedschaft. Die Probleme, die sich dort auch innenpolitisch abspielen, spielen sich ja nicht ab, weil in Brüssel mehr oder weniger Unterstützung für den Beitritt ist, sondern das ist ja die Frage, die sich in dem Land selber stellt: welchen Weg wollen wir gehen. Auch der säkulare Weg, der von den Kemalisten vertreten wird, das ist ja auch kein Weg, der sage ich mal vergleichbar ist mit dem einer offenen Demokratie in der Europäischen Union. Der kemalistische Ansatz ist ja auch ein relativ starker Staat. Wenn Sie sich angucken, dass auch selbst die Religionsfreiheit ja - -

    Müller: Herr Gahler, ich muss Sie hier mal unterbrechen. Das heißt aber trotzdem - Frage jetzt, ob Sie das auch unterschreiben - klipp und klar, Sie geben der Türkei keine Chance?

    Gahler: Wir als Union geben ihr eine Chance im Rahmen einer privilegierten Partnerschaft. Ohne uns gegenseitig zu überfordern, können wir sehr viel gemeinsam mit der Türkei machen. Aber wir halten die Vollmitgliedschaft für etwas, was sowohl die Türkei als auch die Europäische Union überfordern würde.

    Müller: Privilegierte Partnerschaft. Da sagen viele Türken, die haben wir jetzt schon.

    Gahler: Ja, aber wir haben schon mehr als mit anderen Kandidaten. Wir haben eine Zollunion. Wir können im Bereich der Sicherheitspolitik, wenn wir europäische Strukturen aufbauen - da ist die Türkei ja schon in der NATO ein Vollmitglied -, dieses sicherlich übertragen. Wir können im Bereich der inneren Sicherheit - Europol als Stichwort - auch sehr viel machen. Aber der große Bereich des Binnenmarktes, die Verpflichtungen, die dort insbesondere auf die Türkei zukommen, die die Türkei überfordern würden, andererseits die finanziellen Verpflichtungen, die auch die Europäische Union dann zu leisten hätten, alles das sind Aspekte einer gegenseitigen Überforderung, die wir bei einer privilegierten Partnerschaft - ich habe ja die Bereiche neben der Zollunion gerade genannt, in denen man dort noch weiter zusammenarbeiten könnte - im finanziellen Bereich jedenfalls dort nicht hätten und auch nicht im politischen Bereich.

    Müller: Der CDU-Politiker Michael Gahler war das, stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gahler: Auf Wiederhören!