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Chaos in der Pumpe

Medizin. - Tausende Menschen sind davon betroffen, viele sterben: Herzrhythmusstörungen enden oft tödlich. Physiker haben jetzt eine effiziente und zudem sanfte Hilfe gegen das flatternde Herz entwickelt. Für die Patienten könnte es ein Segen werden.

Von Björn Schwentker | 30.12.2008
    Für die Betroffenen ist es jedes Mal wie ein kleiner Tod. Ein Tod, den sie kommen hören, in ihrer Brust, direkt am Herzen. Wie ein Blitzgerät, das sich auflädt, surren die Kondensatoren eines implantierten Defibrillators, der Menschen mit Herzrhythmusstörungen vor dem Herzversagen schützen soll. Stellt das Gerät in der Brust fest, dass die Pumpe aus dem Takt gerät, beginnt es hörbar zu surren. Und dann kommt der Schock: Ein Stromschlag von 4000 Volt.

    "Das Herz hört im Grunde für einen Augenblick auf zu schlagen, das ganze Herzgewebe wird sozusagen wieder in den Ruhezustand geschossen. Mit einem Hammerschlag. Und der ist extrem schmerzhaft, die meisten Patienten verlieren das Bewusstsein darüber,"

    sagt Stefan Luther, Physiker am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Er hat eine sanfte Methode gefunden, das Herz wieder in Takt zu bringen. Statt eines starken Stromstoßes nutzt er lauter schwache Pulse. Die physikalische Erkenntnis dahinter: Das Herz funktioniert elektrisch. Also lässt es sich auch elektrisch steuern. Im rechten Vorhof des Herzgefäßes gibt der so genannte Sinusknoten durch kleine Stromschläge den Takt vor. Bei Kranken gerät der Rhythmus jedoch durcheinander, weil der Strom sich ungleichmäßig über das Herz ausbreitet. Auf dem Muskel entstehen chaotische Spannungsmuster und das Herz beginnt zu flattern, man sagt, "zu fibrillieren". Als Physiker Stefan Luther, Fachmann für chaotische Systeme, solche Spannungsmuster kranker Herzen sah, entdeckte er, was Ärzte vor ihm Jahrzehnte nicht erkannten: Verpasst ein Defibrillator einem flatternden Herz eine regelmäßige Sequenz kleiner Strompulse, verschwindet das Chaos und der ordentliche Takt kommt zurück. Ohne Schock-Stromschlag und starke Schmerzen. Dazu müssen die implantierbaren Defibrillatoren von heute nicht einmal umständlich umgebaut werden. Sondern nur neu programmiert. Mit solchen Geräten könnte schlagartig viel mehr Menschen geholfen werden als bisher, glaubt Markus Zabel, Kardiologe am Herzzentrum Göttingen der dortigen Uniklinik.

    "Das Problem ist immens. Allein in Deutschland versterben pro Jahr 300.000 Menschen an einem plötzlichen Herztod, der in 80 Prozent der Fälle durch schnelle Herzrhythmusstörungen von der Kammer bedingt ist, und diese könnte ein implantierter Defibrillator sehr gut erkennen und auch zuverlässig und sicher beenden."

    Doch bisher waren die Geräte zu teuer, um sie im großen Stil zu implantieren. Mehrere Tausend Euro kostet ein Defibrillator, und nach fünf Jahren muss er komplett ersetzt werden, da wegen der starken Stromstöße die Batterie leer ist. Nach der neuen Methode mit schwachen Stromstößen könnte die Batterie zehnmal länger halten. Ein Segen für die Patienten, die unter den bisherigen Geräten nicht nur wegen der Stromschocks leiden.

    "Wenn ein junger Patient mit einem Herzfehler mit 20 so ein Gerät bekommen muss, wenn der noch 50 Jahre lebt, sind das hochgerechnet zehn Austauschoperationen, das erscheint uns viel zu viel, so dass wir darauf drängen, dass die Laufzeit eines solchen Gerätes verlängert wird. Deutlich verlängert wird."

    Im Experiment hat die Methode bisher nur am Teil eines Hundeherzens funktioniert. Die Versuche müssen nun am ganzen Herzen, dann am ganzen Tier und schließlich an menschlichen Patienten wiederholt werden. Am Hundeherzen allerdings machte das neue Verfahren den Rhythmusstörungen effizient den Garaus.

    "In den Experimenten haben wir Wahrscheinlichkeiten von 90 Prozent, dass wir das beenden können. Schaffen wir es nicht, gibt es immer noch den einen etablierten Schock, um das zu beenden."

    Stefan Luther glaubt, dass sich die Erfolgsquote der neuen Technik noch weiter erhöhen lässt, schließlich steht die Entwicklung noch ganz am Anfang. Um mittels der Physik das Chaos aus dem menschlichen Herzen zu verbannen, braucht es eben seine Zeit.