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Charles Dutoit zum 80. Geburtstag
Polyglotter Klangzauberer

Charles Dutoit gilt als Spezialist des französischen symphonischen Repertoires. Wenige Dirigenten können den Klang hier so sinnlich aufblühen lassen, wie er. Jetzt feierte er seinen achtzigsten Geburtstag.

Von Julia Spinola | 11.10.2016
    Der Dirigent Charles Dutoit leitet ein Orchester in einem Konzert
    Spezialist für französische Symphonik: Charles Dutoit (imago/Xinhua)
    "Ein wichtiges Ereignis, das mich mit diesem Orchester verbindet, war, dass ich mit ihm meine allererste kommerzielle Schallplattenaufnahme für ein großes Label machte. Das war 1970 mit Martha Argerich. Wir nahmen das erste Tschaikowsky-Klavierkonzert für die Deutsche Grammophon auf. Und diese Aufnahme ist immer noch auf dem Markt. Es ist eine der Referenzaufnahmen. Und das Orchester spielte fabelhaft".
    Als Charles Dutoit und Martha Argerich mit dem Royal Philharmonic Orchestra ihre legendäre erste Schallplattenaufnahme machten, waren sie gerade frisch verheiratet. Ihre Ehe, aus der eine gemeinsame Tochter hervorging, lösten sie bald wieder auf. Die künstlerische Seelenverwandtschaft hingegen verbindet die beiden Musiker bis heute. Regelmäßig treten sie gemeinsam beim Verbier Festival auf, wo Dutoit seit 2009 als Chefdirigent wirkt. Mit dem Royal Philharmonic Orchestra waren sie soeben gemeinsam auf Konzertreise. Eine doppelte Geburtstagstour ist daraus geworden: Das Orchester feiert gerade sein siebzigjähriges Bestehen und der Dirigent seinen achtzigsten Geburtstag.
    "Ich hatte immer diese unglaubliche Verbindung mit dem Orchester in meinem Herz – beruflich und auch menschlich gesehen. Diese Musiker sind wirklich fantastisch. Das Gefühl, mit ihnen zusammenzuarbeiten, ist so wundervoll: wegen ihrer Konzentration, der Qualität ihres Spielens und auch der Geschwindigkeit, mit der sie die Dinge auffassen. In den Proben kommen wir so schnell voran und erreichen unsere Ziele so rasch. Das ist also eine Geschichte, die ihren Platz in meinem Herzen hat."
    Beliebter Taktstockmagier
    Das Royal Philharmonic Orchestra ist beileibe nicht das einzige Orchester, an das Charles Dutoit im Zuge seiner Laufbahn sein Herz verloren hat. Die Verschiedenheit der Länder und der Kulturen hat den polyglotten Künstler stets fasziniert. Und so übte er auf der Höhe seiner Karriere nicht weniger als vier Chefpositionen in drei verschiedenen Kontinenten aus. Viele andere Dirigenten haben sich und ihre Orchester mit einer ähnlichen Fülle an Verpflichtungen verschlissen. Der polyglotte Dutoit aber wirkte zugleich gefestigt und in sich ruhend. In seinem künstlerischen Erfahrungshunger wurde er getragen vom stabilen Fundament einer gewissermaßen schweizerischen Solidität: Disziplin, Gründlichkeit, Verlässlichkeit und ein unbestechlicher Qualitätsanspruch zählen zu den Tugenden, die den Vielbeschäftigten davor bewahrt haben, sich zu verzetteln. Von 1977 an leitete er fünfundzwanzig Jahre lang das Orchestre Symphonique de Montréal. 1990 wurde er daneben zum Chefdirigenten des Orchestre de Paris gewählt, übernahm ein Jahr später auch das Orchestre National de France und parallel dazu von 1996 an noch das Tokyo Symphony Orchestra NHK. Daneben verzichtete Dutoit auch nicht auf zahlreiche Gastdirigate bei den besten internationalen Orchestern und unternahm mit seinen Orchestern ausgedehnte Tourneen und spielte eine Platte nach der anderen ein.
    (Musik: Prokofiev, Romeo et Juliette)
    Geboren wurde Charles Dutoit 1936 in Lausanne. Dort und in Genf legte er den Grundstein zu seiner Karriere mit einer musikalischen Ausbildung, die einem wahren Studium Generale glich. Er studierte Violine, Viola, Klavier, Schlagzeug, Komposition, Instrumentation, Theorie und Dirigieren, um sich anschließend an der Accademia Chigiana in Siena bei Alceo Galliera und in Tanglewood bei Charles Münch den letzten Schliff zu holen. Entscheidend geprägt wurde er auch durch Ernest Ansermet, in dessen Orchestre de la Suisse Romande Dutoit einige Zeit lang mitgespielt hat. Es war Ansermet, dem Dutoit die ersten tiefen Einblicke in das französische Repertoire verdankt – ein Repertoire, für das er als Spezialist gilt.
    "Ich habe bei Ernest Ansermet in Genf studiert. Er hatte natürlich alle diese Komponisten getroffen: Debussy, Ravel und auch Strawinsky. Als ich an der Akademie in Genf studierte, besuchte ich drei Jahre lang die Proben von Ansermet. So hörte ich dieses ganze Repertoire und auch die Art und Weise, wie es geprobt wurde und wie es verstanden wurde. Viel von diesem Repertoire wird jetzt überall in der Welt gespielt, aber durchaus nicht unbedingt immer sehr gut. Es erfordert sehr viel Arbeit, Debussy mehr noch als Ravel. Denn die Musik von Debussy ist sehr fragil. Ravel ist sehr gut orchestriert."
    (Musik: Ravel, Valses nobles et sentimentales)
    Gewissenhafte Karriereplanung
    Seine Weltkarriere ging Dutoit überlegt und sehr gewissenhaft an, trotz eines fulminantes Debüts mit Strawinskys "Sacre du printemps", das ihm sofort das Interesse Herbert von Karajans und eine Einladung an die Wiener Staatsoper gesichert hatte. Vom Berner Symphonie-Orchester ging es zunächst ans Tonhalle-Orchester Zürich, sodann ans Nationalorchester von Mexiko und schließlich an jenes von Göteborg, bevor Dutoit von Amerika aus berühmt wurde. In Montréal gelang Dutoit durch beharrliche Arbeit das Kunststück, aus einem drittklassigen Ensemble ein Weltklasse-Orchester zu formen. Lange bevor die Suche nach alternativen Konzertformen und das "Cross-Over" zur Mode wurden, hat Dutoit sich zudem bereits mit seinem kanadischen Orchester für ein breiteres Publikum geöffnet. Er spielte Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" in den Parks von Montréal, verlegte ganze Konzertreihen in Sporthallen, etablierte die zeitgenössische Musik fest in seine Saisonprogramme und spielte regelmäßig auf dem Montréal Jazz Festival. Seinen Erfolg dokumentieren auch die zahlreichen Schallplattenaufnahmen, die mit Preisen überhäuft wurden.
    (Musik: Debussy, Nocturnes)
    Dutoits Ideal einer prismatischen Brechung, die den Gesamtklang wie in einem Regenbogen auffächern soll, lebt vom Reichtum unverwechselbarer Tönungen, die nur an ihren Rändern, und eben nicht zur Pauschalfarbe, zusammenfließen. Kein Wunder daher, dass er ein herausragender Interpret für die französische Musik ist. Debussy, Berlioz und Ravel profitieren ungemein von dieser Vorstellung spektral gefächerter, kristalliner Farben, aber auch im russischen Repertoire von Borodin, Strawinsky oder Rimsky-Korsakov kann Dutoit den Klang betörend aufblühen lassen.