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Chatzimarkakis nennt Röslers Äußerung zu Griechenland "fahrlässig"

Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) hat Griechenland den Euro-Austritt nahegelegt: Grob fahrlässig und unprofessionell sei das, schimpft Parteikollege Jorgo Chatzimarkakis - und rechnet vor, wie viel Griechenland schon an Reformen umgesetzt hat.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 24.07.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Zur Krise um Griechenland. Der Parteichef und der Generalsekretär der CSU, Seehofer und Dobrindt, die wurden seit Wochen nicht müde, Athen den Austritt aus der Eurozone nahezulegen. Am Wochenende zog dann Vizekanzler und FDP-Chef Philipp Rösler in der ARD nach.

    O-Ton Philipp Rösler: "Natürlich warten wir alle den Troika-Bericht im Herbst ab. Trotzdem sage ich hier auch, ich bin mehr als skeptisch. Und ich sage hier sehr klar: Wenn Griechenland seine Auflagen nicht erfüllt, dann kann es keine weiteren Zahlungen mehr an Griechenland geben. Die Griechen werden dann selber zu der Überzeugung kommen, dass es vielleicht klüger ist, aus der Eurozone auszutreten. Ich glaube, für viele Fachleute, für die FDP, auch für mich hat ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone längst seinen Schrecken verloren."

    Heckmann: Soweit also Philipp Rösler am Sonntag in der ARD. – Am Telefon dazu jetzt Jorgo Chatzimarkakis, ebenfalls von der FDP. Er ist Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments. Guten Morgen, Herr Chatzimarkakis.

    Jorgo Chatzimarkakis: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Sie haben die Äußerung von Ihrem Parteichef unprofessionell genannt. Haben Sie ihm das auch schon persönlich gesagt?

    Chatzimarkakis: Ja, er hat das schon mitbekommen. Das, was er getan hat, hat ja auch sozusagen aus anderen Kreisen der Partei Kritik erfahren. Wir haben gestern erlebt, dass zum Beispiel die Athener Börse um sieben Prozentpunkte abgesackt ist. Überall im Mittelmeerraum, in den Krisenländern, gab es Börsen-Crashs. Wir haben erlebt, dass der Euro auf seinem niedrigsten Stand seit 2010 ist. Das sind auch Resultate der Aussagen des Vizekanzlers.

    Heckmann: Das heißt, Philipp Rösler ist für diese Entwicklung mit verantwortlich?

    Chatzimarkakis: Ich sehe das so, und das ist ja auch ganz normal. Wenn Herr Dobrindt sich äußert, der CSU-Generalsekretär aus einer bayrischen Regionalpartei, dann ist das wichtig und besonders und man hört darauf, aber die Finanzmärkte international achten da nicht drauf. Wenn der Vizekanzler des den Euro tragenden wichtigsten Wirtschaftspartners Deutschland das sagt, dann hat das Gewicht. Ich fand die Wortwahl verquer. Was wir erlebt haben, ist ja, dass der Daumen gesenkt wurde, bevor überhaupt die Troika in Athen angekommen ist. Wir haben in Deutschland keine Berichterstattung darüber erfahren, dass Herr Samaras, der neue Premierminister, den ich zwar persönlich kenne, der aber wirklich nicht zu meinen besten Freunden gehört, von dem ich keine hohe Meinung hatte, dass der aber Ernst macht. Er bricht Streiks, er hat letzte Woche in den griechischen Stahlwerken den Streik gebrochen, gegen seinen Oppositionskollegen im Parlament, Herrn Zipras, und das sind neue Entwicklungen, die haben wir im Übrigen auch ...

    Heckmann: Aber wenn das so ist, Herr Chatzimarkakis – Pardon, wenn ich da einhake -, dass dadurch zum Beispiel die Börsen auf Talfahrt geschickt werden, durch solche Äußerungen Ihres Parteichefs, dann muss man sagen, ist das nicht nur unprofessionell, sondern unverantwortlich.

    Chatzimarkakis: Ich halte es für grob fahrlässig. Wir sind in Deutschland am stärksten abhängig von der Entwicklung des Euro, weil wir den Euro als Währung, als stabilen Anker brauchen, und wenn man dann die Börsen auf Talfahrt schickt mit diesen Aussagen, dann muss man sich schon fragen lassen, ob man da nicht fahrlässig ist. Sie haben vielleicht gemerkt, dass niemand aus der CDU, weder Herr Schäuble noch Frau Merkel, sich in dieser Richtung geäußert haben. Und deswegen habe ich gestern auch sehr klar gesagt, das ist unprofessionell und das ist nicht in Ordnung und das darf auch nicht noch mal passieren.

    Heckmann: Man könnte aber auch sagen, Herr Chatzimarkakis, dass die Einschätzung Ihres Parteichefs einfach nur realistisch ist, oder rechnen Sie damit, dass Athen das Sparprogramm so wie vereinbart einhalten kann, denn Samaras selber sagt ja, das geht gar nicht?

    Chatzimarkakis: Nein, das geht auch nicht und das ging auch vor zwei Jahren nicht beim ersten Griechenland-Paket und das ging auch beim Schnüren des zweiten Griechenland-Pakets nicht. Was wir hier erleben, das ist ein Stricken von Programmen, die politisch dem Norden oder manchen Politikern im Norden vielleicht dienen, in Wirklichkeit aber nicht erreichbar sind.

    Heckmann: Aber was ist daran falsch, wenn Rösler das so festhält, dass Griechenland das Sparprogramm offenbar nicht einhalten kann?

    Chatzimarkakis: Er hat ein Problem: Er ist Vizekanzler und er ist Wirtschaftsminister. Das heißt, wenn er das sagt, dann wird das weltweit eine Rolle spielen.

    Heckmann: Aber wenn es doch der Wahrheit entspricht?

    Chatzimarkakis: Dann muss er die Verantwortung für das tragen, was an den Börsen passiert. Schauen Sie, Deutschland hat erst im Jahre 2011, im letzten Jahr, seine letzte Rate der Kriegsschulden zurückgezahlt. Das heißt, die damalige Vereinbarung aus dem Jahre '53 war auf so viele Jahre gerechnet, dass Deutschland sein Wirtschaftswunder erleben konnte und trotzdem seine Schulden bezahlt hat. Für Griechenland galt das niemals. Jetzt kommt eine neue Dimension hinzu: Spanien ist in ein Hilfspaket gerutscht, das ganz andere Bedingungen vorsieht. Das heißt, es ist doch völlig normal, dass man dann das griechische Paket entsprechend anpasst. Das würde den Griechen ein wenig Luft geben, vor allem aber mehr Zeit, um die harten Reformen umzusetzen. Und wissen Sie, dieses Gerede von "da ist nichts passiert", – wenn in Griechenland die Mehrwertsteuer von 13 auf 23 Prozent steigt, wenn im fünften Jahr in Folge eine Rezession auch aufgrund dieser Sparmaßnahmen zu sehen, zu beobachten ist, wenn die Wirtschaftskraft abfällt, dann kann man nicht sagen, da ist nichts passiert. Deswegen: Die deutsche Berichterstattung ist manchmal auch sehr, sehr oberflächlich, sehr eingleisig und einseitig, und die Aussagen von Herrn Rösler passen genau in diese Richtung, richten sich eher ans deutsche Publikum, verursachen aber weltweit und insbesondere in den Krisenländern selbst verheerende, verheerende Dinge an den Börsen und an den Finanzmärkten, und da muss man aufpassen, was man da sagt.

    Heckmann: ... richten sich an das deutsche Publikum. Weshalb macht er das? Schielt er aus Ihrer Sicht damit auf die Stammtische?

    Chatzimarkakis: Wir sind in einer Demokratie, in einer Demokratie ist jeder Politiker abhängig davon, dass er Stimmen bekommt, und selbstverständlich will jeder Politiker, Frau Merkel, Herr Seehofer, Herr Dobrindt und Herr Rösler, auch meine Wenigkeit, das tun, was in der Demokratie nun mal ein Politiker macht, nämlich Stimmen gewinnen, und insofern ist das nachvollziehbar. Aber als Vizekanzler sind sie in einer Zwickmühle: Sie wollen einerseits Stimmen gewinnen, aber andererseits haben sie eben auch Verantwortung. Das war es, was ich gestern gemeint habe, und wir sollten in Deutschland einfach die Dinge beim Namen nennen, aber dann auch die volle Wahrheit sagen, zum Beispiel, dass Deutschland mehr als 50 Milliarden Euro jetzt schon in den drei Krisenjahren durch günstige Zinsen gewonnen hat. Also man muss die Dinge dann wirklich authentisch im kompletten Umfang sagen und nicht einseitig.

    Heckmann: Das werden Sie Herrn Rösler jetzt auch noch persönlich sagen?

    Chatzimarkakis: Ich kann das Herrn Rösler auch persönlich sagen. Wenn man das will, steht man auch im Kontakt, ja.

    Heckmann: Jorgo Chatzimarkakis war das von der FDP, er ist Mitglied im Europäischen Parlament und hat, wie eben gerade gehört, seinen Parteichef heftig kritisiert. Danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Chatzimarkakis: Danke Ihnen!

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