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Chef der Wirtschaftsweisen lehnt Staatshilfen für Arcandor ab

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Wolfgang Franz, empfiehlt für Arcandor die Insolvenz. Von Staatshilfen rät er ab. Eine Insolvenz bedeute nicht, dass alle Mitarbeiter entlassen würden, so Franz.

Wolfgang Franz im Gespräch mit Bettina Klein | 09.06.2009
    Bettina Klein: Letzte Chance also für Arcandor. Nach der Ablehnung von Geldern aus dem Deutschlandfonds und der Ablehnung eines Kredites in dreistelliger Millionenhöhe gestern hat das Unternehmen nun eine allerallerletzte Frist bekommen, um ein überzeugenderes Zukunftskonzept vorzulegen. Die Unternehmensführung wollte nach eigenen Angaben die ganze Nacht über noch verhandeln und beraten.
    Am Telefon begrüße ich Professor Wolfgang Franz, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Guten Morgen, Herr Franz.

    Wolfgang Franz: Schönen guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Eine allerallerletzte Frist für Arcandor bis heute Vormittag. Haben Sie noch Hoffnungen, dass sich das gesamte Blatt wendet?

    Franz: Ich kann eigentlich der Bundesregierung nur dringend abraten, sich finanziell bei Arcandor zu engagieren, sondern wirklich auf das Insolvenzplanverfahren zu gehen, denn es ist ja nicht so, dass bei einem Insolvenzplanverfahren die Beschäftigten am nächsten Tag auf der Straße stehen, sondern ganz im Gegenteil. Ein Insolvenzverwalter, der dann eingesetzt wird, der wird ja alles daran setzen, das Unternehmen wieder über die Runden zu bringen, gegebenenfalls mit einem anderen Investor, und der steht ja mit Metro wohl zur Verfügung, und er wird natürlich auch versuchen, die bisherigen Eigentümer dann stärker als bisher zur Kasse zu bitten.

    Klein: Klares Votum für die Insolvenz aus Ihrem Munde. Haben Sie die Bundesregierung bisher schon dahingehend beraten?

    Franz: Wir haben uns öffentlich geäußert und Sie können heute auch in einer großen Tageszeitung eine Stellungnahme des gesamten Sachverständigenrates dazu lesen, und außerdem haben wir persönliche Kontakte mit Regierungsmitgliedern und haben unsere Meinung auch dahingehend sehr artikuliert.

    Klein: Meine Frage geht so ein bisschen dahin: ist das so eine letzte Alibifrist, die wir jetzt für Arcandor haben? Sind eigentlich die Würfel bei der Bundesregierung schon für eine Insolvenz gefallen?

    Franz: Das kann ich nicht beurteilen. Es ist auf jeden Fall immer in Ordnung, dass die Bundesregierung sorgfältig prüft, was ihr vorgelegt wird, aber eine solche Hilfe könnte man ja nur in wirklichen Ausnahmefällen dahingehend gewähren, wenn wirklich die Finanz- und Wirtschaftskrise dafür verantwortlich ist, keine Eigentümer zur Verfügung stehen, die sich bei Arcandor weiter engagieren können, dass sonst kein Investor zur Verfügung steht und die Banken aufgrund einer allgemeinen Kreditklemme keine Kredite geben. Das ist wirklich nur die Ausnahmesituation. Wie gesagt, wir haben seit rund zehn Jahren ein modernes Insolvenzrecht und es gibt viele Beispiele, praktische Beispiele, wo Unternehmen unter vergleichsweise geringen Arbeitsverlusten in einem Insolvenzplanverfahren gerettet wurden – einfach deshalb, weil so ein Insolvenzverwalter sehr viel mehr Flexibilität hat in Bezug auf bestimmte Verträge, auf Stundungen von sagen wir Umsatzsteuerzahlungen und dergleichen mehr, als es ein Management jetzt hat.

    Klein: Weshalb ist die Bundesregierung oder die Bundeskanzlerin, müssen wir vielleicht sagen, diesem Rat bisher nicht gefolgt? Ist es die Angst, im Wahlkampf verkaufen zu müssen, hier gehen Arbeitsplätze verloren? Ist es die Angst vor dem immer noch böse klingenden Wort Insolvenz?

    Franz: Ich meine, die Motive der Bundeskanzlerin müssten Sie besser bei ihr selbst erfragen. Darüber möchte ich jetzt nicht spekulieren. Natürlich kann es sein, dass man auch bei Opel so ein bisschen auf die bevorstehende Europawahl vom letzten Sonntag geachtet hat. Allerdings haben ja schon Umfragen vorher gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch gegen ein finanzielles Engagement des Staates bei Opel war. Insoweit wäre das, wenn das der Fall gewesen wäre, das Schielen auf Wahlerfolge, hätte sich das nicht ausgezahlt, weil die Wählerinnen und Wähler das mehrheitlich anders sehen, und die Wahlergebnisse am letzten Sonntag haben ja auch nicht gerade belegt, dass "Arbeitsplatzretter" nun mit einer besonders höheren Anzahl von Stimmen dort bedacht worden wären.

    Klein: Zum einen das und es gab auch genug Kritik (unter anderem von Ihnen) am Ausgeben von Staatsmilliarden. Haben Sie den Eindruck, jetzt dreht sich der Wind, was das angeht?

    Franz: Nein. Das darf nicht sein, dass wir über die Krise hinaus uns weiter verschulden, sondern wenn die Wirtschaftskrise allmählich wieder abflacht – und zurzeit erleben wir ja einen gewissen Stillstand der Abwärtsdynamik, so dass wir hoffen können, dass eine gewisse Bodenbildung erreicht ist – und wenn dann die Konjunktur sagen wir im nächsten Jahr wieder anzieht, dann müssen die Anstrengungen zur Konsolidierung des Haushaltes einsetzen, denn wir wollen doch nicht unseren Kindern und Kindeskindern eine Last, eine Bürde der Staatsverschuldung, die über ein normales Maß hinausgeht, hinterlassen.

    Klein: Die Dringlichkeit, sich um eine Perspektive zu kümmern, fehle, sagte die Kanzlerin gestern und klang etwas enttäuscht. Um es noch mal darauf zu bringen: wenn jetzt wirklich Arcandor noch mit einem überzeugenden Konzept herauskäme, wäre es denn so falsch, jetzt noch mal einen Kredit locker zu machen?

    Franz: Wenn das ein überzeugendes Konzept ist, dann findet sich doch sicherlich irgendein Investor der sagt, da steige ich ein, denn überzeugendes Konzept heißt doch, dass marketingmäßig, dass von den Produkten her, von der Organisation das Unternehmen neu aufgestellt wird, und da würde sich ja ein Investor finden. Mit einem Insolvenzplanverfahren kauft man sich ja Zeit, dann braucht man nicht innerhalb von Stunden darüber zu entscheiden, sondern der Insolvenzverwalter kann ich will nicht sagen in aller Ruhe, aber doch mit mehr Flexibilität und mehr Zeit sich den geeigneten Investor aussuchen, mit dem verhandeln, damit Arcandor da nicht über den Tisch gezogen wird. Das heißt, ich verstehe nicht ganz, warum die Vorteile, die das Insolvenzplanverfahren bietet, einfach bei Seite geschoben werden, nur weil Insolvenz natürlich kein schönes Wort ist. Das gebe ich ja auch gerne zu. Und dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Karstadt natürlich um ihre Arbeitsplätze bangen und sich dafür einsetzen, dass der Staat hilft, das kann ich natürlich gut verstehen, würde ich als Karstadt-Mitarbeiter wahrscheinlich auch machen.

    Klein: Also es ist nicht nur kein schönes Wort, um das mal ganz klarzumachen. Natürlich gibt es die begründete Sorge vor Arbeitsplatzverlust und vor nicht funktionierender Standortsicherung. – Herr Franz, abschließend gefragt: Hand aufs Herz, wie dicht steht Arcandor in diesen Stunden vor der Insolvenz?

    Franz: Ich fürchte mal, sie stehen kurz davor.

    Klein: Professor Wolfgang Franz, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zur Zukunft von Arcandor und Karstadt. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Professor Franz.

    Franz: Vielen Dank, Frau Klein.