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Chemie im Alltag
Gefährliche Substanzen vom Markt verdrängen

Die Abkürzung REACH steht für eine Verordnung der Europäischen Union, die Umwelt und Verbraucher vor gefährlichen Chemikalien schützen soll. Die Erfassung und Bewertung von Substanzen, die in großen Mengen in der EU eine Rolle spielen, ist ein Mammut-Vorhaben. Die Produzenten sind der EU dabei immer einen Schritt voraus.

Von Daniela Siebert | 06.10.2016
    Auch Babyflaschen sind mit Bisphenol A versetzt.
    Viele der gelisteten Stoffe sind Weichmacher und könnten endokrin, also hormonell, wirksam sein. Wenn von einer solchen Substanz mehr als 0,1 Prozent in einem Produkt enthalten ist, genießen Verbraucher besondere Auskunftsrechte gegenüber den Herstellern. (picture alliance / dpa/ Weng lei - Imaginechina)
    In einer Hinsicht ist REACH ganz sicher ein Erfolg: so viele Informationen über die Chemikalien, die in der EU in Produkten vorkommen, gab es noch nie. Genauer gesagt viele Tausend wurden überprüft und einige wenige auf die sogenannte Kandidatenliste gesetzt, für die besondere Zulassungsbeschränkungen gelten.
    "Rund 170 Substanzen, die da jetzt gelistet sind, das sind schon Verbindungen, die besonders auffallend sind und zum Beispiel im Verdacht sind, endokrine Aktivitäten zu entfalten in der Umwelt oder im menschlichen Organismus. Was derzeit diskutiert wird sind beispielsweise vier Phtalate, die bekanntermaßen reproduktionstoxisch sind, Bishpenol A beispielsweise, die eben endokrin wirksam sein können."
    Sagt Andreas Luch, Chemiker am Bundesinstitut für Risikobewertung. Viele der gelisteten Stoffe sind Weichmacher und könnten endokrin, also hormonell, wirksam sein. Wenn von einer solchen Substanz mehr als 0,1 Prozent in einem Produkt enthalten ist, genießen Verbraucher besondere Auskunftsrechte gegenüber den Herstellern. Vor allem aber soll REACH diese Substanzen vom Markt verdrängen. Das funktioniere auch, versichert Jack de Brujin von der Europäischen Chemikalienagentur ECHA:
    "Wir sehen, dass die Substanzen ersetzt werden. Die Zulassungspflichten setzen dafür ganz klar Anreize und fördern Innovationen. Immer mehr Anbieter fordern von ihren Lieferketten den Ausschluss besorgniserregender Chemikalien. Immer mehr große Marken agieren so."
    Die EU hinkt hinterher
    Damit ist die Erfolgsgeschichte von REACH im Prinzip schon erzählt. Der Rest sind Geburtsfehler und sonstige Mängel. Hauptproblem ist nicht zuletzt, dass die EU den Substanzen, die ständig neu auf den Markt kommen, chronisch hinterherhinkt. Immerhin ist das den Zuständigen in Brüssel bewusst. Björn Hansen von der Generaldirektion Umwelt:
    "Die Restriktionen kommen stets nach den Fakten. Das bedeutet: die gefährliche Substanz wird bereits benutzt. Die Industrie hat in Produkte mit dieser Chemikalie investiert. Ebenso in die Lieferkette und das Vertriebssystem, die Geschäfte, ins Marketing. Konsumenten haben diese Produkte gekauft, die Expositionen sind real und führen zu einem inakzeptablen Risiko auf EU-Ebene. Es geht also um viel."
    Wenn Firmen eine Substanz zur Registrierung unter REACH anmelden, dann tun sie das oft mit schlechten Datensätzen, die eine Beurteilung erschweren, berichten gleich mehrere Fachleute. Das REACH-Prozedere ist langwierig, die Kontrollen der Einhaltung sind unzureichend, in Deutschland beispielsweise sind sie Ländersache und die Auskunftsrechte der Verbraucher, deren Gesundheit durch REACH geschützt werden soll, diese Rechte greifen in der Praxis oft nicht. Silvia Pleschka vom Deutschen Allergie- und Asthma-Bund:
    "Es wird sehr selten nachgefragt. Bei Textilien zum Beispiel, wo auf den Produkten nichts drauf steht, woraus sie bestehen und die werden mit vielen Chemikalien versetzt, die dann auch bei den Verbrauchern zu gesundheitlichen Problemen reichen können."
    Die Firmen würden mitunter gar nicht auf Verbraucher-Anfragen antworten, beobachtet Ulrike Kallee vom BUND oder auch gerne mal die maximale Antwortfrist von 45 Tagen überziehen. Vertreter von Herstellern betonen, dass sie oft Schwierigkeiten haben, die nötigen Informationen von Zulieferern aus dem In- und erst Recht aus dem Ausland zu bekommen.
    Textilien, Baumaterialien, Unterhaltungselektronik
    Nanomaterialen, die gerade in Textilien, Baumaterialien, Unterhaltungselektronik und anderen Produkten eine immer größere Rolle spielen, müssten ebenfalls mittels REACH überprüft werden fordern viele Fachleute zu denen auch Laura Gross vom Verein "Die Verbraucher Initiative" gehört.
    Auch auf EU-Ebene sind die Akteure offenbar willens, REACH nachzubessern.
    So mahnt Jack de Bruijn an, man müsse auch die Methoden verbessern, um zu messen welchen Risiken die Verbraucher tatsächlich ausgesetzt sind und in welchen Artikeln welche Chemikalien landen.
    Björn Hansen kündigt für die EU-Kommission an, man werde das System einem "fitness check" unterziehen und ruft zur Geduld auf: REACH sei ja auch nicht konzipiert worden, um die Welt an nur einem Tag zu retten.
    Anmerkung der Redaktion: REACH: Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe)