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Chemiewaffenkonvention auf dem Prüfstand
Die Rückkehr der Angst

Chemiewaffen gelten in einigen Kreisen wieder als Option. Alarmierend sind die jüngsten Beispiele, etwa in Syrien. Reicht das aktuelle Instrumentarium zur Überwachung des Chemiewaffenverbots? In Den Haag wird nächste Woche geprüft, wo dringender Handlungsbedarf besteht.

Von Dagmar Röhrlich | 16.11.2018
    Der Mann mit weißem Schutzanzug und Gasmaske holt einen blauen Behälter aus einer Kiste mit Kampfstoff-Warnhinweisen.
    Reicht das bisherige Instrumentarium? Viele Chemikalien werden heute fast ausschließlich durch Mikroorganismen produziert: (Philipp Schulze / dpa)
    Im Irak setzte der IS zwischen 2015 und 2017 achtmal Chlor- und Senfgas ein. Im syrischen Bürgerkrieg sollen vor allem die Armee, aber auch der IS zu Chlor- und Senfgas sowie Sarin gegriffen haben.
    In Malaysia wurde der älteste Sohn des verstorbenen nordkoreanischen Führers Kim-Jong-Il auf dem Internationalen Flughafen mit dem Nervengas VX umgebracht. Und in diesem Jahr gab es in Salisbury den Anschlag mit dem russischen Nervengas Novichok auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia.
    Chemische Waffen tauchen wieder auf
    Chemiewaffen gelten offenbar in einigen Kreisen wieder als Option.

    "Das Chemiewaffenübereinkommen aus den 1990er Jahren war in seiner Anfangsphase sehr erfolgreich, als die riesigen Chemiewaffenbestände aus der Zeit des Kalten Krieges überprüfbar vernichtet wurden. Deshalb war es für viele ein Schock, dass in den vergangenen Jahren chemische Waffen wieder auftauchen."
    Diese Entwicklung führt Malcolm Dando von der University of Bradford zum einen auf die Bürgerkriege im Nahen Osten und auf die unsichere weltpolitische Lage zurück. Aber nicht nur:
    "Seit am Ende des Kalten Krieges das Chemiewaffenübereinkommen ausgehandelt wurde, hat es erhebliche wissenschaftliche und technologische Fortschritte gegeben. Und deshalb müssen wir uns fragen, ob die Konvention aktualisiert werden muss.
    Tränengas ist bei Aufständen erlaubt
    Wir werden kommende Woche auf der Überprüfungskonferenz in Den Hague analysieren, wie wir mit diesen Veränderungen umgehen."
    Eine dieser Veränderungen betrifft Entwicklungen im Bereich "Niederschlagung von Aufständen im eigenen Land". Dabei ist der Einsatz von Tränengas erlaubt. Doch die Frage ist, ob wirklich alles, was unter diesem Label passiert, der Konvention entspricht.


    "Es scheint die Tendenz zu geben, immer größere Mengen dieser Gase auf immer größere Flächen zu verteilen. Uns bereitet dabei die Entwicklung von Systemen, die so etwas ermöglichen, Sorge. Es könnte um mehr gehen als um das Niederschlagen von Aufständen.
    Bilder vom Tag des mutmaßlichen Giftgasangriffes in Syrien - Sicherung von Proben in Chan Schaichun.
    Bilder vom Tag des mutmaßlichen Giftgasangriffes in Syrien - Sicherung von Proben in Chan Schaichun. (imago / UPI Photo)
    Gefährlichere Wirkstoffe als früher?
    Außerdem fragen wir uns, ob nicht auch statt der standardmäßigen Mittel gefährlichere Wirkstoffe eingesetzt werden. Es scheint ein Interesse an der Entwicklung von Mitteln zu geben, die auf das Zentrale Nervensystem wirken.
    Und angesichts der Fortschritte in der Hirnforschung stellt sich die Frage, wo diese Tendenz - so sie denn anhält - enden wird. Welche Art von Stoffen werden in einigen Jahren verfügbar sein?"
    Ein anderes Gebiet, über das in der nächsten Woche verhandelt werden wird, dreht sich um Fortschritte in der Chemieproduktion selbst.
    "Viele technologische Entwicklungen ließen sich während der 1980er und 90er Jahren, als das Abkommen verhandelt wurde, nicht absehen, und deshalb fragen wir uns, ob wir unsere Methoden nicht modernisieren müssen.
    Experten der OPCW bei der Arbeit in Syrien
    Experten der OPCW bei der Arbeit in Syrien (Dpa)
    Auf Technologiewechsel reagieren
    Heute werden beispielsweise etliche Chemikalien fast ausschließlich durch den Einsatz von Mikroorganismen produziert - wie müsste unter diesen Umständen eine moderne Verifizierung von Produktionsanlagen aussehen?"
    Es laufe gerade ein Technologiewechsel, auf den man reagieren müsse, so Malcolm Dando. Auch darauf, dass neue chemische Anlagen IT-gesteuert sehr schnell von der Produktion des einen Stoffs auf die eines anderen umgestellt werden können.