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Chemisches Navi
Seifenlauge weist den Weg

Kaum ein Autofahrer setzt sich heutzutage ohne Navi hinter das Steuer. Die kleinen, handlichen GPS-Geräte weisen immer den optimalen Weg von A nach B. Ein internationales Forscherteam hat kürzlich ein Navigationssystem erfunden, das sich die Gesetze der physikalischen Chemie zunutze macht.

Von Arndt Reuning | 10.12.2014
    "Die Route ist berechnet."
    Was das Navi im Auto leistet, möchte István Lagzi im Chemielabor nachstellen - an der Technischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Universität Budapest. Dazu hat der Forscher sich ein System ausgedacht, das den kürzesten Weg aus einem Labyrinth heraus finden kann. Berechnet wird dabei jedoch nichts. Das Wegenetz liegt nicht in Form von Bits und Bytes vor, sondern ganz handfest in einem Stück Silikon.
    "In das Silikon haben wir mithilfe von fotolithografischen Verfahren feine Kanäle eingeschrieben, ungefähr ein Millimeter breit und tief. Dieses Labyrinth haben wir dann mit einer Lauge gefüllt und mit einer Fettsäure."
    In den feinen Kanälen befand sich damit eine Art Seifenlauge. Und die hat zwei Eigenschaften: Zum einen ist sie alkalisch, zum anderen besitzt sie eine verhältnismäßig niedrige Oberflächenspannung. Nun setzten die Forscher um István Lagzi an den Ausgang des Labyrinths ein Klümpchen Hydrogel, das in Salzsäure getränkt war. Bald schon wanderte die Säure in das Kanalnetz hinein und neutralisierte allmählich die Lauge. Entlang ihres Weges änderte sich dadurch auch die Oberflächenspannung, und die Flüssigkeit geriet in Bewegung.
    "Sie wandert in Richtung der größten Oberflächenspannung, also zum Säureklumpen hin. Wenn wir jetzt einige Farbstoffkrümel auf den Eingang des Labyrinths streuen, werden sie von der Strömung mitgerissen, und zwar auf dem kürzesten Weg zum Ausgang. Dabei hinterlassen die wasserlöslichen Partikel eine farbige Spur, die diese Route sichtbar macht."
    Ungefähr zehn Sekunden dauerte es dabei üblicherweise, bis der rote Farbstoff seinen Weg vom Eingang zum Ausgang gefunden hatte. Und das bei einem eher überschaubaren Labyrinth auf einer Fläche von gut einem Quadratzentimeter. Doch immerhin konnten die Forscher in diesem ersten Test zeigen, dass die chemische Navigation im Prinzip funktioniert.
    "Wir haben dann auch ein komplexeres Netzwerk untersucht. Dazu haben wir einen Ausschnitt aus dem Straßennetz von Budapest in das Silikon übertragen. Und auch hier konnten wir zeigen, dass unsere Methode die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten findet und sichtbar macht."
    In diesem Fall führte die rote Spur zu einer Pizzeria im siebten Bezirk der ungarischen Hauptstadt. Der Test an einem realen Straßennetz ergab außerdem, dass das chemische Navigationssystem auch gleichzeitig Alternativ-Routen sichtbar macht, deren Länge sich kaum von der kürzesten Verbindung unterscheidet. István Lagzi hofft, dass sich mit seinem System in Zukunft auch anspruchsvollere Herausforderungen lösen lassen, zum Beispiel das "Problem des Handlungsreisenden". Dabei geht es darum, die kürzeste Verbindung zwischen einer Vielzahl von Orten zu finden, um danach wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Keine leichte Aufgabe, und daher dürfte wohl noch eine ganze Menge Seifenlauge durch die Silikon-Kanäle fließen, bis der Physikochemiker sagen kann:
    "Sie haben ihr Ziel erreicht."