Donnerstag, 25. April 2024

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Chemnitzer IHK-Geschäftsführer Wunderlich
"Übergriffe schaden dem Wirtschaftsstandort Sachsen"

Die fremdenfeindlichen Übergriffe würden es Unternehmen in Sachsen enorm erschweren, dringend benötigte Fachkräfte aus dem In- und Ausland zu gewinnen, sagte der Chemnitzer IHK-Geschäftsführer Hans-Joachim Wunderlich im Dlf. Dabei gebe es in der Region sehr wohl gelebte Integrationsarbeit.

Hans-Joachim Wunderlich im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 29.08.2018
    News Bilder des Tages 27.8.18 - Ausschreitungen bei Pro Chemnitz Veranstaltung - Nach dem Tod eines jungen Mannes bei einer Messerstecherei am frühen Sonntagmorgen, versammelten sich mehrere tausend Personen aus dem gesamten rechtsextremen Spektrum und Hooligan Milieu in Chemnitz. Die Polizei unterschätzte die Lage und es kam zu Ausschreitungen. Immer wieder wurde Hetzjagd auf Journalisten und Gegenprotest gemacht. Hierbei wurden auch mehrere Personen verletzt. *** 27 8 18 Riots at Pro Chemnitz Event After the death of a young man in a stabbing on early Sunday morning, several thousand people from the entire right-wing extremist spectrum and hooligan milieu gathered in Chemnitz. The police underestimated the situation and riots Journalists and counter-protest made In this case, several people were injured Copyright: xMichaelxTrammerx
    "Ich mache mir Sorgen", sagte der Chemnitzer IHK-Geschäftsführer Hans-Joachim Wunderlich im Hinblick auf den Wirtschaftsstandort Sachsen (imago stock&people)
    Sina Fröhndrich: Rechtsextreme, die durch die Straßen ziehen mit wehenden Deutschlandflaggen. Wenn wir in diesen Tagen über Chemnitz sprechen, sind es vermutlich vor allem diese Bilder, die man im Kopf hat. Was tun gegen rechts? Viele sehen die Politik in der Pflicht, wir wollen wissen, was kann die Wirtschaft tun? Darüber konnte ich mit Hans-Joachim Wunderlich sprechen, er ist Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer in Chemnitz.
    Gehört Sachsen mental noch zu Deutschland, fragt der Leitartikel in der FAZ heute – wie sehr schadet der Rechtsextremismus dem Ansehen des Wirtschaftsstandortes Sachsen?
    Hans-Joachim Wunderlich: Keine Frage! Die Bilder, die fremdenfeindliche Hetze, die Übergriffe schaden dem Wirtschaftsstandort Sachsen. Sie erschweren uns die Gewinnung von Fachkräften aus dem In- und Ausland und führen auch zu einem Vertrauensrückgang bei nationalen und internationalen Kunden. Insofern ist es besonders wichtig, dass möglichst viele Personen und Organisationen sich bei jeder Gelegenheit zur Thematik Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz einsetzen.
    Wir als IHK sind zum Beispiel Mitglied des Vereines "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen". Wir veranstalten zum Beispiel am heutigen Tag eine Tagung, gemeinsam mit der Stadt Chemnitz, mit einer Arbeitsgruppe von verschiedenen Partnern, eine Tagung zur Integrationspraxis. Hier geht es um Migrations- und Diskriminierungserfahrungen. Das ist unsere tägliche Arbeit.
    Fröhndrich: Haben Sie denn das Gefühl, dass Sie mit solchen Veranstaltungen – Sie haben jetzt auch das weltoffene Sachsen angesprochen -, haben Sie das Gefühl, dass Sie damit sich noch Gehör verschaffen können in der Region?
    Wunderlich: Sie sprechen das Problem an, was uns besonders weh tut. Sobald solche Dinge passieren wie am vergangenen Montag, dann spricht die ganze Welt darüber, auch die Öffentlichkeit hier bei uns in der Region. Wenn wir solche Tagungen veranstalten wie heute zur Integrationspraxis, wenn wir wie im Juni diesen Jahres – übrigens die fünfte Veranstaltung unter der Überschrift "Business trifft Afrika" – veranstalten, bei der 24 Botschaftsvertreter von afrikanischen Ländern teilnehmen, dann bekommt das im Regelfall, aufgrund sehr schwacher Berichterstattung auch, kaum jemand im Umfeld mit.
    Die gelebte Praxis ist eine andere als das, was wir jetzt in der medialen Widerspiegelung erfahren, und insofern glauben wir, dass wir hier noch überzeugender unsere Aktivitäten vermarkten müssen, dass sie auch im medialen Bereich stärker aufgenommen und transportiert werden.
    "Viele Unternehmen, die gerade mit Ausländern tolle Erfahrungen gemacht haben"
    Fröhndrich: Welche Rolle spielen denn da auch Unternehmer? Und wenn wir jetzt den Blick von Chemnitz ein bisschen weiten und auf Sachsen schauen: Einer der größten Arbeitgeber ist ja zum Beispiel Volkswagen in Sachsen. Wie sehr würde es denn helfen, wenn dort mehr Farbe bekannt würde? Im Moment wird ja darüber gesprochen, die Politik sollte mehr Farbe bekennen. Aber sollten vielleicht die Unternehmer auch mehr Farbe bekennen?
    Wunderlich: Ja, gut. Der Verein "Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen" ist zuerst ausschließlich von Unternehmern gegründet worden. Wir haben viele Unternehmen, die gerade mit Ausländern tolle Erfahrungen gemacht haben. Wir profitieren tagtäglich von Zuwanderung und versuchen, das natürlich gemeinsam auf die Bevölkerung zu übertragen.
    Fröhndrich: Das heißt, es ist schon der Fall, dass Sie sagen würden, Unternehmen integrieren auch, bilden auch Geflüchtete beispielsweise aus, weil so gelingt am Ende ja Integration, sagen auch einige: Integration gelingt über Arbeit. Da würden Sie sagen, da sind die Unternehmen schon aktiv genug?
    Wunderlich: Da sind die Unternehmen aktiv, durchaus auch aus der Not heraus aufgrund des Fachkräftemangels, und mehr und mehr Unternehmen haben da sehr positive Erfahrungen gemacht. Wenn man mit den Belegschaften in den Unternehmen spricht, spürt man das auch – allerdings noch nicht so, dass man generell von der Sinnhaftigkeit qualifizierter Zuwanderung spricht, was wir uns wünschen würden, sondern im Regelfall sprechen die Belegschaften noch etwas einfacher davon, indem man sagt: 'Okay, wir wollen eigentlich nicht so viele Ausländer haben, aber die zwei, die wir im Unternehmen integriert haben, die zählen quasi nicht dazu.' Das ist noch nicht der Punkt, wo wir hinwollen, aber das ist zumindest ein erster Schritt.
    "Nicht alle AfD-Mitglieder in den Augen unserer Unternehmen dem rechten Spektrum zuzuordnen"
    Fröhndrich: Jetzt haben wir ja im vergangenen Jahr nach der Bundestagswahl, nachdem die AfD in Sachsen insgesamt so gut abgeschnitten hat, auch schon darüber gesprochen, inwiefern die Wirtschaft aktiv werden sollte, Unternehmen sich vielleicht äußern sollten. Kann es denn sein, dass sich der eine oder andere Unternehmer vielleicht eher zurückhält, weil die AfD-Wähler ja vielleicht auch Kunden sind?
    Wunderlich: Was die Positionierung gegen rechts anbetrifft, ist die Haltung der Unternehmen sehr eindeutig. Bei der Positionierung gegen die AfD wird das schon schwieriger. Da sind viele Unternehmer durchaus zurückhaltender, weil halt die AfD auch in sich eine sehr durchwachsene Partei ist, nicht alle AfD-Mitglieder in den Augen unserer Unternehmen dem rechten Spektrum zuzuordnen sind.
    Fröhndrich: Das heißt, die AfD ist da schon eher in der Mitte der Gesellschaft angekommen?
    Wunderlich: Soweit würde ich nicht gehen mit dieser Behauptung. Das glaube ich nicht. Aber sie wird, der Not gehorchend und muss ja auch, als demokratische Kraft akzeptiert werden.
    Fröhndrich: Jetzt haben Sie schon über den Fachkräftemangel gesprochen, und wir haben wirklich ganz verschiedene Begriffe, die wir da heute lesen: Standortrisiko, Hass, oder Sachsen sei ein failed state. Sachsen ist ja eigentlich ein wirtschaftlich starkes Land: Haben Sie Angst davor, dass das gefährdet ist?
    Wunderlich: Ich will mal sagen, ich mache mir Sorgen darum, oder wir machen uns da Sorgen. Ich glaube schon, dass wir hier in Sachsen auch die Kurve bekommen können. Die Not in den Unternehmen ist so groß, die Türen zu öffnen. Insofern erwarten wir dringend, dass die Bundespolitik auch in diesem Jahr das Zuwanderungsgesetz auf den Weg bekommt und wir dann unsere Integrationsarbeit fortsetzen können. Die gelebte Integrationsarbeit hier in der Region ist eigentlich das überzeugendste Argument gegen die, die glauben, hier Sachsen schädigen zu müssen – aus Dummheit und Boshaftigkeit heraus.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.