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Chick Webb
Der erste König des Swing

Vor 75 Jahren starb der US-Jazzmusiker Chick Webb. Seine überschäumende Vitalität, ein eiserner Wille und ein immenses Jazz-Feeling hatten dem heute legendären Schlagzeuger und Leiter einer berühmten Bigband geholfen, schwerste körperliche Handicaps zu überwinden.

Von Karl Lippegaus | 16.06.2014
    Schlagzeug
    Als Zeitungsjunge sparte Chick Webb sich das Geld für sein erstes Schlagzeugset zusammen (dpa / picture alliance / Polfoto)
    Die Karriere von Ella Fitzgerald begann, als sie mit 17 Jahren einen Gesangswettbewerb im Apollo-Theater in Harlem gewann.
    "Als ich aufgerufen wurde, rief jemand: Was will sie denn machen?"
    Wenig später lernte sie 1935, ebenfalls im "Apollo", ihren zukünftigen Mentor, den brillanten Schlagzeuger und Bandleader Chick Webb kennen.
    "Chick Webb war im Apollo-Theater und jemand anders nahm mich mit in Chicks Garderobe. Er sagte: Hör dieses Mädchen mal singen, sie hat's wirklich drauf! Und er sagte: Ich will keine Sängerinnen."
    Ella bestand ihre Talentprobe bei Chick Webb und nahm Dutzende von Songs mit seiner Bigband auf. Sie versprühten den Charme eines aufblühenden jungen Talents. Ein harmloser Song der 21-Jährigen über einen verlorenen gelben Lieblingskorb rückte vor auf Nummer 1 der amerikanischen Charts.
    "Ich hörte mir meine Stimme an, und naja, sie klingt so, wie ich damals war: ein kleines Mädchen. Meine Stimme war so dünn und klein. Aber ich bin dankbar für diese Stimme, denn ohne die wäre einfach nichts passiert."
    "Wäre die Story von Chick Webb ein Roman, hätten die Filmemacher schon Schlange gestanden für eine Option. Durch sein Genie und seinen ungebrochenen Willen wurde Chick ein wahrer Titan der amerikanischen Musik," schreibt der Kritiker Gary Giddins über einen der großen Jazzmusiker der 30er-Jahre. Chick Webb und sein Orchester waren die Hausband im Savoy Ballroom, dem berühmtesten Ballsaal der Swing-Ära. Bis zu 4.000 Besucher - Schwarze und auch Weiße - tanzten zu den neuen Rhythmen des Jazz.
    Geboren wurde er am 10. Februar 1905 in Baltimore/Maryland, und er wurde er keine 1,50 Meter groß. Daher sein Spitzname: "Chick" - Kleiner. Ein Arzt hatte dem Jungen empfohlen, Schlagzeug zu spielen - um seine steifen Knochen zu lockern. Chick Webb hätte gut in Tod Brownings 1932 gedrehten Horrorfilm "Freaks" hineingepasst. Als Kind hatte ihn jemand auf den Rücken fallen lassen; er hatte sich mehrere Wirbel gebrochen und zog sich später eine Wirbelsäulen-Tuberkulose zu.
    Der kleine König des Savoy thronte hinter einer riesigen Basstrommel, umgeben von weiteren Trommeln, Becken und Kuhglocken. Seine Plattenfirma Decca hatte leider wenig Interesse daran, das solistische Können des kleinen Mannes zu zeigen. Und so muss man die Platten, auf denen er mal kurz ein Solo spielt, fast mit der Lupe suchen. Live jedoch versetzte Chick die Jazzwelt in Erstaunen. Seine Band war gut gedrillt: aus der Vielstimmigkeit des New Orleans Jazz entwickelten seine Arrangeure eine deutlich gestraffte Stimmverteilung. 1936 ging Ella Fitzgerald mit Chick Webbs Band zum ersten Mal auf Tour durch den rassistisch geprägten Süden der USA.
    "Ich arbeitete mit der Band, als wir in den Süden reisen mussten und ich machte all diese Erfahrungen dort. Ich bin froh, dass ich diesen Tribut gezollt habe, denn dann weißt du ein für allemal, was das alles bedeutet. So werden wir größer - indem wir diesen Dingen ins Auge sehen."
    Chick Webb, dieser kleine, ungeheuer willensstarke Mann, wurde der erste "König des Swing", er hatte nur noch wenige Jahre zu leben. Am 16. Juni 1939 ist er gestorben, in einem Krankenhaus in Baltimore. Er wurde nur 34 Jahre alt.