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China
Deutscher Wissenschaftsverlag zensiert Angebot

Der deutsche Wissenschaftsverlag Springer Nature zensiert in China sein Internetangebot. Bestimmte china-kritische Fachartikel sind dort nicht mehr verfügbar. Wissenschaftler und Menschenrechtsaktivisten werfen ihm ein Einknicken vor den Pekinger Zensurbehörden vor.

Von Steffen Wurzel | 14.11.2017
    Das Symbolbild eines Polizeibeamten warnt chinesische Internetnutzer davor, die Zensurgesetze nicht zu überschreiten.
    Der Avatar eines virtuellen Polizeibeamten warnt chinesische Internetnutzer davor, die Zensurgesetze nicht zu überschreiten. (picture alliance / dpa / Adrian Bradshaw)
    In China sind viele Fachartikel zur chinesischen Geschichte und zu politischen Fragen seit Neuestem nicht mehr online abrufbar. Zumindest nicht, wenn sie aus dem Hause des deutschen Wissenschaftsverlags Springer Nature kommen. Der Verlag hat bestätigt, dass er den Zugang zu bestimmten Artikeln in China blockiert, also Selbstzensur betreibt. Springer Nature teilte auf Anfrage des ARD-Hörfunks Shanghai schriftlich mit:
    "Diese Maßnahme ist zutiefst bedauerlich, wurde aber ergriffen, um wesentlich massivere Auswirkungen für unsere Kunden und Autoren zu vermeiden."
    Das sei eine Schutzbehauptung, kritisiert die Organisation "Reporter ohne Grenzen", die sich für Meinungs- und Pressefreiheit weltweit einsetzt. Cédric Alviani vom Asien-Büro der Anti-Zensur-NGO in Taipei: "Wir rufen Springer Nature auf, diese Entscheidung zu überdenken und die Zusammenarbeit mit den chinesischen Zensoren sofort zu stoppen. 100 Prozent aller Inhalte müssen weltweit zugänglich sein."
    Neue Kooperation wirft Fragen auf
    Besonders brisant: Kurz nach Bekanntwerden der Selbstzensur hat Springer Nature eine Kooperation mit Tencent vereinbart. Das ist einer der größten chinesischen Medien- und Onlinekonzerne. Der deutsche Verlag und Tencent wollen künftig im Bereich der wissenschaftlichen Nachwuchsförderung zusammenarbeiten.
    Dazu heißt es aus der Pressestelle von Springer Nature: "Die Sperrung von Inhalten in China einerseits und die Kooperation mit dem chinesischen Internetkonzern Tencent andererseits stehen in keinem inhaltlichen Bezug."
    Auffällig ist die zeitliche Nähe auf jeden Fall. Auf viele Fragen zur Selbstzensur in China will der deutsche Wissenschaftsverlag keine Antworten geben. Zum Beispiel sagt er nicht, wie viele Fachartikel genau aus dem chinesischen Angebot rausgeflogen sind. Nach Recherchen der "Financial Times" sind es mehr als 1.000, allesamt zu Themen, die der Staatsführung in Peking nicht gefallen. Unter anderem betroffen sind demnach Artikel zu Tibet, zur Kulturrevolution und zum Tiananmen-Platz-Massaker von 1989.
    "Teil eines größeren Spiels, global Meinung zu beeinflussen"
    Dass es Chinas Staats- und Parteiführung für einheimische Wissenschaftlern schwieriger machen will, zu diesen Themen zu forschen, passe ins Bild, sagt Maximilian Mayer, Forschungsprofessor am Deutschlandzentrum der Tongji-Universität in Shanghai:
    "Das alles ist Teil eines größeren Spiels, global Meinung zu beeinflussen: über China als Land, über die Kommunistische Partei und über die Tatsache, dass China immer wichtiger wird ökonomisch und politisch. Chinas Auftieg ist nur weiter möglich und kann friedlich bleiben, wenn es eine relaitiv positive Meinung gegenüber China gibt. Das zu erreichen ist gar nicht so einfach für die Kommunistische Partei, gerade in demokratischen Ländern. Und daher wird dieser Trend weiterhin zunehmen: Umso stärker China wird, umso stärker wird es auch versuchen, Meinungen im Ausland zu seinen Gunsten zu beeinflussen."
    Britischer Verlag machte Zensur wieder rückgängig
    Auch der Wissenschaftsvertrag Cambridge University Press hat im Sommer angekündigt, heikle Artikel in China aus dem Angebot zu nehmen. Nach heftigen Protesten zog der britische Traditionsverlag diese Entscheidung zurück und schaltete die Artikel wieder frei.
    Cédric Alviani von Reporter ohne Grenzen fordert Springer Nature auf, das auch zu tun. "Natürlich könnten sie das. Springer Nature ist groß genug. China braucht die Verlage, selbst wenn diese die chinesische Zensur nicht mitmachen. Das Problem ist: Wenn einer umfällt, wird es wahrscheinlicher, dass die anderen auch umfallen."
    Chinas Staats- und Parteiführung hat die Zensur von Literatur, Presse und Online-Medien in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Die Internet-Zensur funktioniert inzwischen so gut, dass selbst viele Zusatzprogramme versagen, mit denen man in anderen Staaten Online-Sperren problemlos umgehen kann. Ein Ende der immer schärfer werdenden Zensur in China ist nicht abzusehen.