Donnerstag, 28. März 2024

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China-Expertin zu neuem Hongkong-Gesetz
"Das ist das Ende von 'Ein Land, zwei Systeme'"

Durch das sogenannte Sicherheitsgesetz habe es eine immense Anpassung Hongkongs an China gegeben, sagte die Asien-Expertin Mareike Ohlberg im Dlf. Mit dem Gesetz würde versucht, viele Menschen einzuschüchtern. Sie sehe nicht, wie sich die Demokratiebewegung in Hongkong weiter organisieren könne.

Mareike Ohlberg im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 01.07.2020
Mehrere prodemokratische Demonstranten protestieren auf den Straßen von Hongkong gegen das umstrittene Sicherheitsgesetz.
Trotz des nun in Kraft getretenen Sicherheitsgesetzes haben Menschen in Hongkong protestiert (dpa / picture alliance / MAXPPP)
Das sogenannte Sicherheitsgesetz ist in Hongkong in Kraft getreten. Die chinesische Zentralregierung in Peking hat es für die einstige britische Kronkolonie erlassen. Es ermöglicht harte Strafen gegen alles, was von der Regierung als subversiv, separatistisch, terroristisch oder als Konspiration mit ausländischen Kräften eingestuft wird. Im schlimmsten Fall droht lebenslange Haft. Es gab bei Demonstrationen bereits erste Festnahmen – die Demokratiebewegung in Hongkong ist nun unter immensem Druck.
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Mareike Ohlberg, Senior Fellow im Asien-Programm des German Marshall Fund, erklärt im Deutschlandfunk, dass die Demokratiebewegung in Hongkong zwar nie besonders stark gewesen sei, es aber immer Rechtsstaatlichkeit gab und die Gerichte unabhängig arbeiten konnten. Das sei nun durch das neue Gesetz stark gefährdet.

Ann-Kathrin Büüsker: Ein Land, zwei Systeme – das war ja immer das Kredo mit Blick auf Hongkong. Erleben wir jetzt gerade das endgültige Ende von Hongkongs Sonderstatus?
Mareike Ohlberg: Ich halte es für richtig. Sehr viele Leute sagen, ja, das ist das Ende von "Ein Land, zwei Systeme". Ich halte das für gerechtfertigt, und zwar aus dem Grund, vor allen Dingen deswegen, weil mit diesem Gesetz wird durch das Nationale Sicherheitskomitee, das in Hongkong errichtet wird, quasi eine Parallelregierung errichtet, die völlig auf das Festland hört, noch mehr als tatsächlich die Regierung in Hongkong. Und das Problem ist auch: Bisher hatte Hongkong tatsächlich Rechtsstaatlichkeit. Was Demokratie angeht ist Hongkong nie besonders weit gekommen. Es gab nie richtige, komplett freie Wahlen in dem Sinne, aber man hatte Rechtsstaatlichkeit und dadurch Rechtssicherheit, und das wird durch dieses Gesetz komplett außer Kraft gesetzt und dadurch findet einfach eine riesen Anpassung ans Festland gerade statt.
"Komplett fehlende Rechtsstaatlichkeit"
Büüsker: Weil jetzt die Sicherheitsregeln, die in Peking gemacht werden, gelten und Hongkong einfach keine Unabhängigkeit diesbezüglich mehr besitzt?
Ohlberg: Es gibt einfach jetzt keine Möglichkeit mehr für die Zivilgesellschaft, sich angemessen gegen zum Beispiel neue Gesetze zu wehren, die jetzt kommen können, gegen neue Vorschläge, die in dem Nationalen Sicherheitsgesetz auch bereits angesprochen werden und gegen die früher protestiert wurde, zum Beispiel patriotische Erziehung in den Schulen, wogegen früher viel protestiert wurde. Dagegen kann sich die Zivilgesellschaft jetzt de facto überhaupt nicht mehr organisieren.
Und es ist tatsächlich so, dass diese komplett fehlende Rechtsstaatlichkeit, dass das Gesetz genutzt wird, um abzuschrecken, und dass es im Prinzip gegen jeden angewendet werden kann, weil letztlich es ausgeführt wird von dem Festland und es vage genug definiert ist, dass man quasi gegen jeden Menschen jederzeit etwas in der Hand hat. Der Clou daran ist ja im Prinzip: Man ist bei fehlender Rechtsstaatlichkeit ständig in der Situation, dass man nie genau weiß, ob man gerade das Gesetz bricht oder nicht.
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Büüsker: Nun hat Hongkong aber dennoch ja eine Regierung. Sie haben diese eben schon einigermaßen skeptisch betrachtet. Alles um Regierungschefin Carrie Lam ist jetzt nur noch reine Marionette?
Ohlberg: Es ist so: Die Hongkonger Regierung war vorher auch nicht furchtbar unabhängig. Die Hongkonger Regierung war schon immer stark abhängig vom Festland. Was man aber zumindest hatte, waren noch funktionierende Gerichte und noch ein funktionierender Rechtsstaat. Die Regierung selber hat vorher auch schon im Namen von Peking gehandelt. Aber über die Gerichte konnten die stärksten Eingriffe noch verhindert werden und das ist jetzt quasi auch nicht mehr. Die Möglichkeit besteht jetzt nicht mehr, weil jetzt im Zweifelsfall sich das Festland immer über dieses neue Komitee einschalten kann und Fälle übernehmen kann und dann Leute auch gegebenenfalls zum Festland abbestellen kann, dahin ausliefern lassen kann.
Büüsker: Das heißt, aus Ihrer Sicht ist das wahrscheinlich das Ende der Demokratiebewegung?
Ohlberg: Es kann noch vieles passieren, aber ich sehe derzeit nicht die Möglichkeit, wie die Demokratiebewegung sich unter den derzeitigen Umständen weiter organisieren, weiter formieren kann und weiter ihre Forderungen stellen kann.
"Leute stark einschüchtern"
Büüsker: Wir haben ja mit Blick auf die Proteste der vergangenen Jahre auch immer mal wieder darüber spekuliert oder auch befürchtet, dass China das Militär einschalten könnte, um Proteste blutig niederzuschlagen. Das hat man sich jetzt gespart und ist gegen die Demokratiebewegung einfach auf juristischem, politischem Wege vorgegangen? Kann man das so zugespitzt sagen?
Ohlberg: Einige Beobachter haben es das juristische Äquivalent der Tian‘amnen-Niederschlagung genannt. Es ist natürlich was anderes, ob man mit Panzern irgendwo einrollt, aber der Effekt, der gewollte Effekt ist genau gleich. Man hofft tatsächlich, dass man es schafft, durch diese extrem harschen Strafen die meisten Leute so stark einzuschüchtern, dass sie sich nicht mehr wagen, sich zu äußern. Die wenigen, die es noch tun, kommen ins Gefängnis. Und dann kann man seine gesamte Politik so einführen, wie man es möchte, mit patriotischer Erziehung, wie man es auch in den 1990er-Jahren in Festland-China gemacht hat, nachdem man dort die Demokratiebewegung beendet hat. Ich glaube schon, dass die Festland-chinesische Regierung sich ein ähnliches Momentum durch dieses Gesetz erhofft.
"Asyl für Menschen aus Hongkong in Deutschland"
Büüsker: Die USA wollen jetzt Asylregeln für Menschen aus Hongkong erleichtern. Taiwan denkt darüber auch bereits nach. Aus Deutschland gibt es auch schon Stimmen aus der SPD. Der Außenpolitiker Nils Schmid fordert das. Halten Sie das für eine gute Idee, Asyl für Menschen aus Hongkong in Deutschland leichter zu machen?
Ohlberg: Auf jeden Fall. Das ist unheimlich wichtig, dass eigentlich alle Länder, die irgendwie die Möglichkeit haben, Menschen aus Hongkong jetzt vereinfachte Einwanderungsverfahren anbieten. Das ist letztlich das Mindeste, was wir tun können. Es werden nicht alle Hongkonger wahrnehmen. Wahnsinnig viele Hongkonger hängen natürlich nach wie vor an ihrer Heimat. Aber es ist wichtig für diejenigen, die jetzt unter diesem Gesetz verfolgt werden oder in Gefahr stehen, durch dieses Gesetz verfolgt zu werden, oder einfach auch für Menschen, die nicht in einem Land oder in einer Stadt leben wollen, wo es keinen Rechtsstaat mehr gibt, ihnen Möglichkeiten zu schaffen, ihre Heimat zu verlassen und ein neues Leben aufbauen zu können.
Büüsker: Ist es dann aber auch ein bisschen ein Eingeständnis, wir können euch sonst nicht helfen vor Ort, deshalb öffnen wir unsere Türen für euch?
Ohlberg: Sicherlich! Das Problem ist: Es wurde extrem spontan angekündigt. Keiner wusste, dass das kommt - Ende Mai, als es angekündigt wurde, dass dieses neue Gesetz eingeführt werden soll. Nicht mal die Hongkonger Regierung wurde vorher darüber informiert. Die Hongkonger Regierung hat den Text auch nicht gesehen, bis der Text von offizieller chinesischer Seite verkündet wurde.
Man hätte in der Zwischenzeit diesen Monat stärker nutzen können, um tatsächlich zu sagen, wenn ihr das macht, dann erkennen wir ein Land, zwei Systeme nicht mehr an. Das heißt, wir lösen sämtliche Verträge, die wir mit Hongkong separat haben, auf. Wir geben nicht mehr diesen Sonderstatus. Dazu war man in Europa nicht bereit. In den USA hat man es getan und fängt jetzt auch langsam an, da nachzuziehen. Man hätte vorher mehr tun können. Man hat es nicht getan. Das Mindeste, was man noch tun kann, ist, jetzt den Menschen, die plötzlich in einer völlig anderen Stadt leben, da einen Weg raus anzubieten.
Europa traut sich nicht
Büüsker: Glauben Sie denn, dass das tatsächlich etwas geändert hätte, wenn Europa gesagt hätte, okay, wir gehen den Weg der USA, wir heben Hongkongs Sonderstatus auch auf?
Ohlberg: Man hätte es nicht garantieren können. Aber ich glaube schon, dass die chinesische Regierung so kalkuliert hat, von den USA werden wir Gegenwind kriegen, die werden uns drohen, werden es aber allein nicht machen, und Europa wird sich sowieso unter den derzeitigen Umständen nicht trauen, das zu machen, und da haben sie richtig kalkuliert. Wenn stark wirklich aus allen Lagern ganz klar die Botschaft gekommen wäre, dann heben wir das auf, dann hätte das zwar nicht garantiert, dass die chinesische Regierung das nicht gemacht hätte, aber die Chancen, dass man noch etwas hätte ändern können, wären zumindest etwas höher gewesen. Ich will nicht sagen, dass das jetzt alles geändert hätte. Da steckte offensichtlich auch von chinesischer Seite ganz viel dahinter, dass man das unbedingt tun wollte. Aber man hätte das noch stärker nutzen können, ja.
Büüsker: Warum kann sich China so sicher sein, dass Europa sich in solchen Situationen nicht traut?
Ohlberg: Weil man sich inzwischen sicher genug fühlt, dass die europäischen Regierungen, gerade in der Lage jetzt nach Covid-19 oder immer noch in der Covid-19-Phase, dass man versucht, sich mit China gut zu stellen, dass man seine eigenen Unternehmen, den Standort in China nicht riskieren möchte. Zu dem gleichen Punkt, wo das alles relevant war, hat Europa noch versucht, das Investitionsabkommen mit China zu verhandeln, obwohl eigentlich klar war, dass das nicht weiter vorangeht, aber man hat gesagt, wir wollen es versuchen und da wollen wir uns jetzt mit der chinesischen Regierung nicht anlegen. Ich denke, das weiß man in Peking und das nutzt man dementsprechend.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.