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China
Mit 300 Stundenkilometern in die Zukunft

Vor sechs Jahren nahm der erste Hochgeschwindigkeitszug in China die Fahrt auf. Mittlerweile brausen Hunderte Bahnen mit über 300 Stundenkilometern Geschwindigkeit durch die Lande. Allerdings gibt es Sicherheitsbedenken.

Von Silke Ballweg | 30.11.2013
    Die Bahnhofshalle ist riesig, 200, 300 Meter lang. Weiß gefliester Boden, eine hohe, gewölbte Dachkonstruktion - Raum genug, um ein großes Passagierflugzeug unterzustellen. Der Shanghaier Hongqiao Bahnhof zählt zu den größten in ganz Asien, gebaut worden ist er vor gerade einmal drei Jahren. Von hier aus fahren fast nur noch Hochgeschwindigkeitszüge in viele Landesteile Chinas.
    Chinas Hochgeschwindigkeitszüge sind eine Mischung aus deutschem ICE und japanischem Shinkansen. Die Fahrt geht nach Hangzhou, in die Hauptstadt der Nachbarprovinz Zhejiang. Für die 160 Kilometer braucht der Zug etwas mehr als eine Stunde.
    Wegen der Größe des Landes waren lange Reisen in China bislang beschwerlich oder teuer. Die neuen Schnellzüge verbessern nun erheblich die Mobilität. In einem der 16, bis auf den letzten Platz besetzten Waggons reist der 23-jährige Bai An zusammen mit seiner Freundin:
    "Ich fahre heute zum ersten Mal mit dem Schnellzug, es ist wirklich sehr praktisch. Sehr schnell und auch gar nicht so teuer. Normalerweise fahren wir mit den langsamen Zügen, aber der Hochgeschwindigkeitszug ist viel besser."
    Längste Schnellstrecke der Welt
    Hochgeschwindigkeitszüge in China sind ein junges Phänomen. Vor sechs Jahren gingen die ersten auf Fahrt. Seither bricht die Volksrepublik mit diesem ambitionierten Projekt einen Rekord nach dem anderen. Bereits heute umfasst das Netz knapp 10.000 Kilometer - so viel wie in keinem anderen Land der Welt. Die Verbindung zwischen Peking und Kanton ist heute die längste Hochgeschwindigkeitsstrecke der Welt - 2.300 Kilometer lang. Und auch die nur acht Stunden Fahrzeit sind bislang unschlagbar. China will mit dem Ausbau seiner Bahnen auftrumpfen und zeigen, was es leisten kann. Wang Menshu, Parteikader und Professor an der Pekinger Verkehrsuniversität, ist sichtlich stolz:
    "Peking als Hauptstadt ist Chinas Zentrum. Unser Ziel ist, dass man von Peking aus jede Provinz-Hauptstadt mit dem Zug in maximal acht Stunden erreichen kann. Lhasa in Tibet und das uigurische Urumqi im äußersten Nordwesten ausgenommen: Diese beiden Städte sind schlicht zu weit weg. Und wir wollen auch erreichen, dass man von jeder Provinzhauptstadt aus jede andere in nur acht Stunden erreichen kann. Bis 2020 planen wir das Hochgeschwindigkeitsnetz für Züge mit rund 300 Stundenkilometern auf 16.000 Kilometer auszubauen."
    Schätzungen zufolge benutzen in der Volksrepublik im Tagesdurchschnitt heute schon mehr als anderthalb Millionen Menschen einen Hochgeschwindigkeitszug. Viele Reisende nutzen eine Zugfahrt für Urlaubsreisen oder für Familienbesuche - und das unkomplizierte Pendeln wird auch bei Geschäftsleuten immer beliebter, erzählt etwa Yang Ya Qing, die ebenfalls von Shanghai von Hangzhou unterwegs ist.
    "Ich finde, dass Zugfahren bei kürzeren Entfernungen entspannter ist. Beim Fliegen muss man an den Flughafen, der ist oft weit draußen, dann muss man einchecken und warten. Zugfahren ist einfacher und ich habe mehr freie Zeit zur Verfügung."
    Unfall mit 40 Toten
    Doch das ambitionierte Projekt zeigt bereits Risse. 2011, nur vier Jahre nach Inbetriebnahme der ersten Strecke, kam es schon zu einem großen Unfall. In der Nähe der Stadt Wenzhou prallten zwei Züge aufeinander, 40 Reisende starben, fast 200 wurden verletzt. Viele Chinesen und auch die Medien des Landes sorgen sich seither: Riskieren wir in den Zügen unser Leben?
    "Wofür sind Chinas Hochgeschwindigkeitszüge eigentlich da? Doch für die Bürger", sagt etwa der Fernsehmoderator von Phoenix TV. "Was aber, wenn die Züge nicht sicher sind? Die schnelle Entwicklung und der Unfall bei Wenzhou haben viele Menschen geschockt und wir können nicht leugnen, dass es viele Unzulänglichkeiten gibt."
    Ein Problem etwa ist: Chinas Eisenbahnministerium galt lange Zeit als hochkorrupt. Gelder für den Bau der Strecken wurden veruntreut und viele fürchten, dass auch bei sicherheitsrelevanten Aspekten geschlampt worden sein könnte. Hinzu kommt: Chinas Hersteller haben in sehr kurzer Zeit die komplizierten Technologien aus verschiedenen Länder miteinander kombiniert, also Bauelemente vom deutschen ICE, vom japanischen Shinkansen und vom französischen TGV. Doch haben Chinas Ingenieure diese offenkundige Misch-Technik auch wirklich im Griff? Können die Trassen, die Brücken und Züge den gigantischen Belastungen im Dauerbetrieb standhalten? Viele Experten fürchten weitere Unfälle. Li Jun Jie, der ebenfalls im Zug nach Hangzhou fährt, bleibt völlig gelassen:
    "Ich glaube, dass es früher Probleme gab, aber dass es mittlerweile ok ist. Ich habe eigentlich keine Angst."
    Schwierigkeiten mit der rasanten Entwicklung auf dem Bahnsektor, allerdings in ganz anderer Hinsicht, haben hingegen Chinas Wanderarbeiter und die so genannten einfachen Chinesen, die immerhin noch rund zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen. Diese Menschen sind bislang mit den Nacht-Zügen gefahren, die zwar nur mit 80 Stundenkilometer über die Gleise rattern, dafür aber erschwinglich sind. Doch im China des schnellen Wachstums sollen demnächst immer mehr billige Strecken stillgelegt werden. Pech und Problem für die einfachen Werktätigen und Bauern: Denn mit den schnelleren, aber zugleich teureren Zügen könnten sie bald ihren eigenen Anschluss an die Wirtschaftsdynamik verlieren.