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China schummelt

Für große Konzerne ist die Volksrepublik China das Land der Zukunft. Kleinere Firmen haben es da ungleich schwerer, auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen. Und manche scheitern auch, tappen in die "China-Falle".

Von Frank Sieren | 12.10.2009
    Wirtschaftliche Beziehungen sind oft nicht fair, besonders wenn sich ein Land wie China nicht an die Spielregeln hält. Mit dieser These hat Jürgen Bertram von 1985 bis 1992 ARD-Fernsehkorrespondent in Peking, den aktuellen Anlass des Chinaschwerpunktes der Buchmesse genutzt, um sich mit einem Chinabuch in Erinnerung zu rufen.

    Für ihn ist China das Land in der Welt, das, systematisch schummelt. "Die China-Falle - Abgezockt im Reich der Mitte" handelt von geplatzten Träumen mittelständischer Unternehmen, von erlebten Enttäuschungen und Frustrationen, aber auch von politischen und sozialen Missständen in China.

    Allerdings stellt sich, angesichts der zahlreichen Chinabücher, die zu diesem Thema bereits auf dem Markt sind, nur schleppend das Gefühl ein, etwas Neues zu erfahren.

    Schon das erste Kapitel des Buches erzählt die Geschichte von Eginhard Vietz, Pipelinespezialist und Mittelständler aus Hannover, seit 25 Jahren in China aktiv. Vietz baut Pipelineschweißgeräte in China und wurde über den Tisch gezogen. Eine bittere, aber auch lehrreiche China-Erfahrung. Schade nur, dass die Geschichte in anderen Büchern schon detaillierter steht und Bertram das Happy End kurzerhand weglässt: Weil die Chinesen inzwischen seine Originalmaschinen für den indischen Markt kaufen, wenn sie dort Pipelines bauen, verdient Vietz mit China wieder Geld.

    Auch an vielen anderen Fällen belegt Bertram detailliert noch einmal die zerstörende Kraft von Produkt- und Technologiepiraterie, die zahlreiche Manager zur Verzweiflung getrieben hat und der deutschen Wirtschaft jährlich 30 Milliarden Euro kostet. Den Hersteller von Qualitätsmotorsägen Stihl beispielsweise traf es besonders hart. Die Firma sah sich plötzlich mit in China hergestellten Fälschungen konfrontiert. Allein 130 Versionen von Plagiaten konnten die Stihl-Manager sicherstellen. Langjährige Kunden begannen sich über fehlerhafte, da gefälschte Sägen zu beschweren. Der Asienmarkt für Stihl brach ein. Das liest sich spannend und ist lebendig erzählt, aber auch schon bekannt.

    Die Antwort auf die Frage, warum denn so viele Unternehmen weiterhin umfassend in China investieren, wenn doch alle "abgezockt" werden, bleibt uns der Autor schuldig. Die Autohersteller wie Audi melden selbst in Krisenzeit Rekordergebnisse. Und BASF, ebenfalls sehr erfolgreich, hat jüngst beschlossen, sich noch viel stärker in China zu engagieren.

    Jürgen Bertrams "China-Falle" gibt vor allem denen das Wort, die anfänglich eher euphorisch beim wirtschaftlichen Aufbruch in China dabei sein wollten, aber sich ernüchtern auf den Boden der Tatsachen wiederfanden und merkten, dass man in China kein schnelles Geld verdienen kann.

    Warum haben die deutschen Manager und Unternehmer diese Probleme?, fragt sich Bertram. Es seien die kulturellen und sozialen Strukturen Chinas, mit denen der Westen nicht immer klarkomme. Um das zu belegen, lässt Bertram zahlreiche China-Experten zu Wort kommen, zitiert sehr ausführlich aus der China-Berichterstattung deutscher Medien und reist in Deutschland von einem gebeutelten Unternehmen zum anderen. Das wäre eigentlich eine originelle Idee gewesen: China nur durch eine Reise durch Deutschland zu erschließen, mit all den Verzerrungen, die aufgrund der weiten Entfernung entstehen. Darauf wollte der Bertram sich dann doch nicht konzentrieren, verfügt der 69-Jährige doch über einen eigenen Fundus von Erlebnissen aus zwölf Jahren Korrespondententätigkeit in Ost- und Südostasien.

    Aus dieser Erfahrung heraus unterstreicht Bertram immer wieder die Komplexität der chinesischen Geschichte und ihren Einfluss auf das heutige China. Dabei nimmt das Land auch schon mal in Schutz: Das starke Nationalgefühl, das nicht immer mit Wohlwollen in der Welt aufgenommen werde und viel Kritik provoziere, müsse differenzierter gesehen werden:

    Zwar wurzeln die ausgeprägten Vorbehalte gegen alles Fremde in einer jahrtausendealten Tradition, doch darf man nicht übersehen, dass China vor allem im 19. und 20. Jahrhundert selbst eine Phase der Erniedrigung erlebt, die in einer Nation mit derart ausgeprägtem Selbstwertgefühl besonders schmerzt und die ihre Abwehrhaltung somit zumindest partiell verständlich macht.
    Bertram lässt dieses Thema anhand der Olympischen Spiele noch einmal Revue passieren, als es den Chinesen vor allem darum ging, keine Flecken auf die weiße Weste ihres Nationalstolzes kommen zu lassen. Da müssten westliche Politiker gegenhalten, fordert Bertram. Angela Merkel hätte einen Orden für "politische Courage" verdient, da sie den Eröffnungsfeiern der Olympischen Spiele in Peking am 8.8.2008 fernblieb. Merkel hatte, so Bertram, anders als der damalige amerikanische Präsident George W. Bush und sein französischer Kollege Nikolas Sarkozy, ihre politischen Überzeugungen zu Menschenrechten nicht wirtschaftlichen Interessen gebeugt.

    Der Autor hält es für es gefährlich, dass so mancher ausländische Wirtschaftsmanager davon beeindruckt ist, wie schnell die chinesische KP Entscheidungen ohne lange Diskussionen treffen kann, wenn wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen:

    Wer die Entscheidungsfreude von Diktatoren preist, diskreditiert gleichzeitig die auf dem Fundament der Aufklärung erkämpften Errungenschaften des Westens. Und er verkennt, praktischer gesprochen, dass der skrupellose Diebstahl seines geistigen Eigentums eng mit der rücksichtslosen Durchsetzung ökonomischer Ziele verknüpft ist.
    Daher sollen westliche Werte niemals wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden. Schon gar nicht gegenüber China, das global immer mehr an Einfluss gewinnt und offen andere Prioritäten bei Menschenrechten setzt. Ein frommer Wunsch. Das hätte man sich ein wenig abwägender gewünscht. Denn andererseits beispielsweise hat die "Entscheidungsfreude" der Diktatoren dazu geführt, dass China so gut wie kein anderes Land die Weltwirtschaftskrise gemeistert und damit viel Leid verhindert.

    Eines wird auch an diesem Buch gut deutlich: Es ist sehr schwierig für den Westen, das Gute und das Schlechte in China gleichzeitig zu denken, ohne, dass man es miteinander verrechnen kann.

    Frank Sieren über Jürgen Bertram: Die China-Falle – Abgezockt im Reich der Mitte, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009,Euro 9,95, ISBN: 978-3596183142.