Dienstag, 19. März 2024

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China und der Westen
"Ein bisschen Kalter-Krieg-Atmosphäre"

Harmlose Interaktionen zwischen China und vielen westlichen Staaten seien plötzlich mit Konflikten aufgeladen, sagte der Politologe Sebastian Heilmann im Dlf. Zwar sei die Situation noch nicht so wie im 20. Jahrhundert gegenüber der Sowjetunion, dennoch sei es ein sehr ernstes Phänomen. "Beide Seiten geben sich da nichts."

Sebastian Heilmann im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 01.07.2021
Als Rettungskräfte verkleidete Darsteller versammeln sich um eine Fahne der Kommunistischen Partei während einer Gala-Show im Vorfeld des hundertjährigen Jubiläums der Gründung der Kommunistischen Partei Chinas.
China feiert diese Woche das hundertjährige Bestehen seiner regierenden Kommunistischen Partei - auch mit einer großen Gala-Show (AP)
In diesem Jahr feiert die Kommunistische Partei Chinas ihr 100-jähriges Bestehen. Zu ihrem Geburtstag stehe die Partei "voll im Saft" und sei voller Selbstbewusstsein, was die eigenen Leistungen und die Zukunft Chinas angehe, sagt der Chinaexperte Sebastian Heilmann von der Universität Trier. Die Partei fühle sich als Sieger des Laufs der Geschichte und in ihrer Wahrnehmung sei es "unentrinnbar, dass China die USA in den kommenden zehn Jahren überholt."
China gehöre im Bereich Wissenschaft, Technik und Innovation bereits zu den führenden Nationen. "Unser Problem ist, dass dieses China wirklich modern, wirklich leistungsfähig ist und wir zugleich ein politisches System haben, das völlig unvereinbar mit unseren Ordnungs- und Wertvorstellungen ist."
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"China sieht sich als überlegenes System"

Unter Präsidenten Xi Jinping sei die Idee des Systemwettbewerbs in den letzten Jahren in den Vordergrund getreten. China sehe sich als das überlegene politische und wirtschaftliche System, was Probleme löse, die andere nicht lösen können, so der Politologe. Diese Perspektive sei sehr präsent in China und in den Köpfen von Führungskräften. "Wir müssen das ernst nehmen. Das ist ein Systemwettbewerb, den wir hier haben, China sieht sich als überlegenes System."
Bei den Beziehungen zwischen vielen westlichen Staaten und China habe man derzeit eine "sehr ungute Entwicklung" von "generalisierte Feindseligkeiten" und "ganz verallgemeinertes Misstrauen". Das habe mittlerweile "ein bisschen Kalter-Krieg-Atmosphäre".

Das Interview in ganzer Länge

Jörg Münchenberg: Herr Heilmann, würden Sie sagen, die Kommunistische Partei Chinas steht derzeit am Zenit ihrer Macht?
Sebastian Heilmann: Ich würde sagen, das stimmt, diese Aussage. Diese Partei ist sozusagen voll im Saft, ist voller Selbstbewusstsein, was die eigenen Leistungen und auch die Zukunft Chinas angeht. Insofern ist fast schon manchmal eine überzeichnete Selbstwahrnehmung dabei, ein bisschen Hybris dabei. Das heißt, die fühlen sich im Grunde als Sieger im Laufe der Geschichte, und es sieht für die Partei aus, als sei es unentrinnbar, dass die USA überholt wird von China in den nächsten zehn Jahren.
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Münchenberg: Aber kann die Partei nicht auch zu Recht stolz sein? Sie kann ja viel vorweisen. Ich sag mal plakativ, derzeit kreisen drei chinesische Astronauten um die Erde, China hat die Corona-Pandemie erfolgreich bekämpft, ist auf vielen Wirtschaftsgebieten, zum Beispiel der künstlichen Intelligenz, eines der erfolgreichsten sozialen Medien, TikTok kommt auch aus China, also man kann ja auch sehr viel vorweisen.
Heilmann: Das ist völlig richtig. Unser Problem ist ja nicht, dass das tumbe Diktatoren wären, die einfach irgendwann sich selbst kaputt machen, sondern wir haben hier ein modernes System vor Augen, was erfolgreich ist, was viele Leistungen erbringt, die die Bevölkerung haben will, was in Wissenschaft, Technik, Innovation tatsächlich zu den führenden Nationen jetzt schon gehört und bald noch weiter voranschreitet. Das heißt, unser Problem ist, dass dieses China wirklich modern ist, wirklich leistungsfähig ist und wir zugleich ein politisches System haben, was völlig inkompatibel, unvereinbar ist mit unseren Ordnungs- und Wertvorstellungen.

"Unterstützung für die Kommunistische Partei ist stabil"

Münchenberg: Kommen wir da noch mal später drauf zu sprechen, zunächst einmal der Blick auf Innerchina. Wie sehr kann die Partei beim Volk mit den Erfolgen punkten, und kann man das überhaupt messen?
Heilmann: Ist schwierig zu messen, aber Sie haben es gerade gehört bei der Berichterstattung vom Tianamen-Platz, dass ausgerechnet bei dem Teil der Rede, wo Xi Jinping gesagt hat, wir lassen uns nicht mehr herumstoßen, wir werden alles zurückweisen an ausländischen Predigten, die nicht gerechtfertigt sind, die wissen nicht, die Ausländer, wie es geht in China, an der Stelle war die größte Resonanz im Publikum. Da wurde ganz laut gerufen und ganz laut Unterstützung ausgedrückt.
Ich denke, dass wir das auch in vielen Beobachtungen haben, in sozialen Medien, in Umfragen, soweit wir die einigermaßen nachvollziehen können in den letzten Jahren, dass tatsächlich die Unterstützung für die Kommunistische Partei bedeutend ist und stabil ist auch über die ganzen letzten zehn Jahre, weil eben im Kontrast zum Westen dieses chinesische politische System als stabil, leistungsfähig und problemlösungsbezogen gesehen wird. Und das zeigte sich jetzt natürlich auch in der Pandemie, wo China zelebriert wurde, wie in den USA das am Anfang schieflief, wie in Europa viele der Eindämmungsmaßnahmen nicht erfolgreich waren. China stellt sich da als das überlegene System dar, und das findet auch Anklang in der Bevölkerung nach allem, was wir beobachten können in den verschiedenen Kanälen, die wir so anzapfen können.
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Münchenberg: Würden Sie, Herr Professor Heilmann, so weit gehen und sagen, die Führung hat es tatsächlich geschafft, dass die Parteiherrschaft sozusagen als was ganz Natürliches mittlerweile in China angesehen wird?
Heilmann: Na gut, in China ist man sozusagen niemals mit einer demokratischen Erfahrung in der Geschichte aufgefallen. Das heißt, dass diese Partei jetzt schon so lange regiert, das die meisten Chinesen, mit denen ich zu tun habe – ich bin jetzt auch schon 35 Jahre dort – beschäftigt, dass die tatsächlich akzeptieren sozusagen, dass das ein Teil des Lebens ist, dass die Partei sich verändert, immer wieder neue Führungskräfte hat, aber letztlich praktisch das Rückgrat ist für das gesamte Regierungssystem, dass diese Partei sich einmischt auch ins Wirtschaftsleben, in Gesellschaftsleben. Solange das Erfolg hat, solange also ein Großteil der Chinesen profitiert – materiell und vielleicht auch in den persönlichen Freiheiten, im eigenen Leben –, solange ist dann auch Unterstützung da.

"Es ist ein Systemwettbewerb"

Münchenberg: Aus Ihrer Einschätzung, was treibt die Partei am Ende mehr um, ist es die Angst, doch die Kontrolle im Land zu verlieren – siehe das unrühmliche Ende der Kommunisten in der Sowjetunion – oder doch die Überzeugung, dass man das westliche Modell übertrumpfen kann, dass man besser ist?
Heilmann: Es ist beides. Es ist klar, dass diese Angst vor dem Chaos, vor dem Ordnungszusammenbruch eine ganz starke Kraft ist, die auch immer wieder betont wird, gerade der Kontrast zur Sowjetunion, also was China vermeiden muss, damit nicht das Gleiche passiert wie in der Sowjetunion, dass man also tatsächlich eine eigene Position haben muss, dass die Partei ungeschmälert Kontrolle hat, dass auch die sozialistische Ideologie weiterhin eine Rolle spielt, eine zentrale Rolle in der Anleitung des ganzen Geschehens.
Das ist die eine Seite, das wäre die defensive Seite, aber tatsächlich auf der anderen Seite – und das ist etwas, was jetzt in den letzten sieben, acht Jahren tatsächlich unter Xi Jinping sehr in den Vordergrund getreten ist – ist, dass wirklich das Selbstbewusstsein dahin geht, dass China das überlegene politische und wirtschaftliche System hat, was also Probleme löst, die andere Systeme nicht lösen können, und dass deswegen der Westen im Grunde historisch gesehen auf dem absteigenden Ast ist, dass diese Trump-Erfahrung kein Ausnahmefall war, sondern sozusagen historische Gesetzmäßigkeit, dass diese westlichen politischen Systeme ans Ende ihrer Stärken gekommen sind.
Das ist sehr präsent in der Diskussion in China und ist auch sehr präsent in den Köpfen von allen Führungskräften, mit denen Sie sprechen momentan aus China, und insofern müssen wir das ernst nehmen. Es ist tatsächlich ein Systemwettbewerb, den wir hier haben. China sieht sich als überlegenes System.
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Xi Jinping will "China zur global präsenten Supermacht" machen

Münchenberg: Sie haben den Staats- und Parteichef Xi schon angesprochen, der wird ja inzwischen fast so verehrt wie Mao, der aber gleichzeitig auch viele Reformen zurückgedreht hat, Entscheidungen wurden wieder zentralisiert. Welche Rolle spielt er bei der Neuaufstellung Chinas?
Heilmann: Er ist außerordentlich wichtig. Was Xi Jinping seit 2012, seitdem er Generalsekretär der Kommunistischen Partei ist, dort angestoßen hat und umgelenkt hat, ist beachtlich. Es war davor wirklich eine kommunistische Partei, die in einer schweren Krise war, auch organisatorisch mit größten Auseinandersetzungen in der Führungsspitze, mit Säuberungen dann auch in der Anfangszeit, der Xi-Jingping-Ära, wo so viele Führungskräfte ausgetauscht wurden, im Gefängnis gelandet sind, zum Teil wegen Korruption, zum Teil wegen politischer Abweichungen.
Aber es ist tatsächlich so, dass Xi Jinping im Grunde dieses System aus dem Effeff kennt. Er ist der Sohn eines Revolutionsveteranen, er hat von Kindheit an alle Spielregeln, alle Strippen dieses Systems kennengelernt und hat sich jahrelang vorbereitet, zurückgenommen im Grunde in anderen Führungspositionen, erst in Provinzen, dann in der Zentrale, um diese Macht aufzubauen, um zu sehen, wo er dort den Hebel ansetzt.
Und ich muss sagen, auch aus politikwissenschaftlicher Sicht ist es eindrucksvoll, wie schnell er sozusagen die Hebel in Bewegung gesetzt hat, um sich an die Führung zu bringen, einerseits ungefährdet und andererseits natürlich auch viele neue Impulse zu geben, die uns im Westen bedrängen, die uns gar nicht gefallen, dass China jetzt im Ausland oft sehr aggressiv auftritt, wir kennen diese Probleme im südchinesischen Meer, in Taiwan und so weiter. Und auf der anderen Seite ist es aus chinesischer Sicht natürlich jetzt eine Stärkung. Xi Jinping sieht sich als der Mann, der China zur global präsenten Supermacht macht, und das ist im Grunde so historisch seine Mission.
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Münchenberg: Wenn wir jetzt mal nach außen gucken, wie China auch in der Außenpolitik jetzt auftritt – da haben Sie ja schon mehrere Stichworte auch genannt –, was würden Sie sagen, um was geht es da am Ende? Geht es um die Dominanz der Welt, die Ablösung zum Beispiel der USA als globale Führungsmacht, oder geht es doch tendenziell eher drum, einfach auch innen international als gleichwertig sozusagen anerkannt zu werden?
Heilmann: Das ist ein fließendes Ziel, würde ich sagen. Zunächst mal, das ist ganz richtig, geht es darum, gleichrangig behandelt zu werden und den Einfluss der USA aus China und aus dem chinesischen Umfeld möglichst herauszuhalten – das ist ein ganz klares Ziel, was artikuliert wird, auch zum Beispiel des militärischen Ausbaus. Da geht es nicht darum, USA zu bekämpfen, sondern es geht darum, Abschreckungspotenzial zu haben, das im Grunde diese amerikanischen Flugzeugträgerverbände von China und Taiwan möglichst fernhält, das ist so ein Ziel.
Aber das ist natürlich ein tatsächlich bewegliches Ziel, denn wir sehen momentan, dass mit dem Ausbau dieser ganzen internationalen Präsenz und militärischen Möglichkeiten China natürlich auch jetzt ausgreift. Da geht es dann auf einmal um den Schutz chinesischer Interessen in Afrika, da gibt es auf einmal Militärbasen, erst mal in Dschibuti, wahrscheinlich jetzt bald auch weiter im Süden der ostafrikanischen Küste, vielleicht in Tansania oder Kenia, also Stützpunkte, wo klar wird, diese Supermacht – das ist, denke ich, auch ein normaler historischer Vorgang –, die greift aus, die macht jetzt weltweit Basen auf, um ihre Interessen auch zu schützen. Wir haben das bei den USA auch gesehen. Das ist etwas, wo dann die USA und China sich unweigerlich noch weiter ins Gehege kommen werden.

"Sehr ungute Entwicklung"

Münchenberg: Nun hat ja der Westen oder zumindest manche Länder, Stichwort USA, China eben längst als Rivalen eingestuft, bis hin zu einer Bedrohung. Wird es aber nicht im Gegenzug wieder China ja eher noch bestärken auch in seinem aggressiven Auftreten jetzt, was die Außenpolitik angeht?
Heilmann: Wir haben zurzeit, was diese Beziehung zwischen den USA und China oder vielen westlichen Staaten und China angeht, tatsächlich eine sehr ungute Entwicklung. Das sind so generalisierte Feindseligkeiten, würde ich sagen, ein generalisiertes, also ganz verallgemeinertes Misstrauen, was sich auf alle Bereiche der Beziehungen jetzt bezieht. Das ist schon ein bisschen Kalter-Krieg-Atmosphäre. Es ist nicht so weit wie gegenüber der Sowjetunion, es fehlen viele Elemente, aber dieses Syndrom, dass offenbar alle harmlosen Interaktionen plötzlich aufgeladen sind, politisch und mit Konflikten – Kulturaustausch, Wissenschaftsaustausch –, das ist natürlich ein sehr ernstes Phänomen, und beide Seiten geben sich da nichts.
Die chinesische Seite hat natürlich einen unglaublichen Kontrollwahn entwickelt gegenüber den Beziehungen mit dem Ausland und der Rolle von Ausländern in China gegenüber China, und die USA hat natürlich ein Interesse daran, diesen Aufstieg Chinas zumindest zu verlangsamen. Das Ganze ist ein sehr ungute Gemengelage, aus der sehr schwer wieder herauszukommen ist. Das ist wirklich eine Art struktureller Konflikt zwischen einer etablierten Supermacht und einer emporsteigenden neuen Supermacht, und das ist eine äußerst gefährliche Situation für die internationalen Beziehungen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.