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China und Menschenrechte
"Demokratie ist das überhaupt nicht"

China sei immer noch ein klassisches autoritäres System, sagte Sebastian Heilmann im DLF. Der Wandel unter der Oberfläche aber spürbar. "Wir können kein Interesse daran haben, dass es abrupt zu einem Kollaps der politischen Ordnung kommt. Das würde furchtbare Schockwellen für die Weltwirtschaft auslösen", unterstrich der China-Experte und Direktor des Berliner Thinktanks Merics.

Sebastian Heilmann im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.12.2014
    Der Direktor des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), Sebastian Heilmann
    Der Direktor des Mercator Instituts für China-Studien (MERICS), Sebastian Heilmann, aufgenommen am 25.10.2013 in Berlin. (dpa/picture-alliance/Marco Urban)
    Wer von außen auf China und seine Führungsriege schaue, der sehe auf institutioneller Seite annäherend die gleichen Strukturen wie vor 20 Jahren, sagte Sebastian Heilmann, Direktor der Mercator Institute for Chinese Studies (Merics), im Deutschlandfunk. Dennoch hätten sich die Abläufe und die Entscheidungsfindung deutlich verändert. Heute seien mehr Akteure beteiligt als früher.
    Eine Konkurrenz von Parteien oder die Beteiligung der Bevölkerung am politischen System gebe es immer noch nicht. Deshalb müsse man von China immer noch als klassisches autoritäres System sprechen.
    Lange Zeit habe man in Deutschland auf die Maxime "Wandel durch Handel gesetzt". Für Heilmann ist aber klar, dass man "zu viele Illusionen" gehabt habe in Bezug auf die Wirksamkeit von Strategien von außen. Innerhalb weniger Jahre werde China sicherlich nicht zu einem Rechtsstaat. Dennoch müsse Deutschland weiterhin "dicke Bretter bohren" und Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit und der Einhaltung der Menschenrechte in bestimmten Einzelfällen stellen.
    Ein weiterer Faktor sei die gesellschaftliche Veränderung in China selbst. Immer mehr junge Menschen wollten eine liberalere Gesellschaft. Gleichwohl warnte Heilmann vor einem abrupten Wandel in China. "Wir haben Interesse an einem schrittweise vorangehenden Wandel. Wir können kein Interesse daran haben, dass es abrupt zu einer Destabilisierung oder zu einem Kollaps der politischen Ordnung kommt. Das wären furchtbare Schockwellen, die durch die Politik und Weltwirtschaft laufen würden."

    Friedbert Meurer: Zu den gängigen Vorhersagen zählt: Die aufstrebende Nation des 21. Jahrhunderts, das wird China sein. Allein durch die schiere Größe und Einwohnerzahl ist das Land sozusagen prädestiniert, kommende Großmacht zu werden. China entwickelt sich ökonomisch rasant. Und drittens: China rüstet auch auf. Letztes Jahr wurde in Berlin das Mercator-Institut für china-Studien aus der Taufe gehoben (Merics). Es will sich als Think Tank zu China etablieren. Heute veranstaltet das Institut ganztätig einen Kongress, die Trierer Gespräche, mit Deutschlands führenden Sinologen. Der Direktor des Instituts heißt Sebastian Heilmann. Guten Morgen, Herr Heilmann.
    Sebastian Heilmann: Guten Morgen, Herr Meurer.
    !Meurer:!! Ihr Thema bei den Trierer Gesprächen ist das politische System Chinas. Hat sich in den letzten 20 Jahren überhaupt irgendetwas an den Strukturen, an den autoritären Strukturen in China verändert?
    Heilmann: Die Strukturen sehen von außen sehr, sehr ähnlich aus, wie sie waren. Es gibt gewisse kleinere Veränderungen im Führungssystem. Aber insgesamt muss man sagen, dass die institutionelle Seite eigentlich fast genauso aussieht wie vor 20 Jahren. Aber die Abläufe innerhalb dieses Systems haben sich verändert. Die Art und Weise, wie Entscheidungen entstehen, wer dort mitreden kann, das hat sich sozusagen verbreitert. Da sind mehr Akteure heute beteiligt als früher.
    Meurer: Aber Demokratie ist das noch nicht, wenn mehr mitentscheiden dürfen?
    Heilmann: Demokratie ist das überhaupt nicht. Wir haben keine Wettbewerbssituation im politischen System, wo Parteien miteinander konkurrieren könnten oder Kandidaten konkurrieren könnten. Wir haben keine substanzielle Beteiligung der Bevölkerung in diesem politischen System. Das heißt, wir haben ein klassisches zentralisiertes autoritäres System, was allerdings tatsächlich viele Experten und so weiter hinzuzieht, wenn es darum geht, Politik vorzubereiten.
    Meurer: China ist ja ein wichtiger Wirtschaftspartner Deutschlands geworden, der Exportnation Deutschland. Da hatten viele gehofft, es gibt Wandel durch Handel. Können wir diese Hoffnung fahren lassen?
    Heilmann: Ich denke, wir sollten sie in der kurzfristigen Perspektive tatsächlich fahren lassen, weil wir zu viele Illusionen gehabt haben in den letzten Jahrzehnten, was die Wirksamkeit einer solchen Strategie von außen angeht. Wir können von außen China nicht in unserem Sinne verändern. Ich glaube, das haben wir gelernt. Das Land ist dafür zu groß, zu widerständig und vor allem auch zu erfolgreich.
    "China wird nicht über Nacht zum Rechtsstaat"
    Meurer: Uns fällt es natürlich schwer, Abstand zu nehmen von der Forderung, dass China demokratisch werden soll. Rechtsstaatsdialog, es gibt Menschenrechtsdialog mit der Bundesrepublik. Ist das alles vergeblich, können wir streichen?
    Heilmann: Nein, das finde ich auf keinen Fall. Es ist so, würde ich sagen, dass wir dicke Bretter bohren müssen dabei. Wir können nicht erwarten, dass China jetzt über Nacht oder innerhalb weniger Jahre zu einem Rechtsstaat wird. Aber alle Ansätze, die es gibt in diese Richtung, auch in China selbst oder auch in der Zusammenarbeit, die wir ja betreiben, im Rechtsstaatsdialog zum Beispiel, all diese Ansätze müssen wir weiter verfolgen. Da kann es mal Rückschläge geben. Das kann mal wie zurzeit in schwieriges Fahrwasser geraten. Aber in der Rechtsstaatlichkeit gibt es gewisse Fortschritte.
    Meurer: Aber das verlangt ja hier auch keiner, dass sie unser komplettes System übernehmen sollen. Oder kommt das in China so an, wenn wir sagen, bitte führt doch Meinungsfreiheit ein im Internet, und nichts geschieht?
    Heilmann: Wenn es um Übernahme des Systems geht, ist in China natürlich gleich immer der Verdacht da, der Westen will dort allgemeine Wahlen einführen, will dort Gewaltenteilung einführen, will letztlich die kommunistische Partei aus der Regierung treiben, und das ist natürlich etwas, was dann bei den Regierenden in China sofort auf Widerstand trifft, und da sind die unüberbrückbaren Gegensätze mit Händen zu greifen.
    Meurer: Wir haben jetzt ja noch die Proteste in Hongkong, wo vor allen Dingen junge Chinesen dafür demonstrieren, dass der Gouverneur gewählt werden darf. Da scheint, sich auch überhaupt nichts zu tun. Gibt es nicht die Chance, dass doch von der jüngeren Generation ein Wandel angestoßen wird in China?
    Heilmann: Es ist so, dass diese jüngere Generation in der Tat ganz anderes erwartet von der Regierung. Zunächst mal wollen die natürlich als Konsumenten auch von diesen Internet-Angeboten profitieren und dort mitmischen. Aber es ist schon so, dass Individualismus und Pluralismus, die Vielfalt von Lebensstilen, von Wertvorstellungen, von Auffassungen sich eindeutig in der chinesischen Gesellschaft verbreitet, und das ist etwas, was auf Dauer natürlich auch die Basis bilden kann für eine Öffnung des politischen Systems und für die Einführung auch von politischem Wettbewerb auf Dauer. Das heißt, die gesellschaftlichen Voraussetzungen werden letztlich für eine solche Liberalisierung in China günstiger.
    Meurer: Wenn deutsche Politiker nach China reisen - Sie sind gelegentlich mit dabei, Sie beraten Politiker in Berlin -, raten Sie denen, das Thema Menschenrechte nicht anzusprechen, weil es kontraproduktiv ist?
    Heilmann: In der Regel ist jetzt die stillschweigende Abmachung zwischen der deutschen und chinesischen Seite, dass man intern, hinter verschlossenen Türen tatsächlich sehr konkret und zum Teil auch sehr hart, sehr dezidiert Menschenrechtsfälle anspricht. Das Ganze läuft aber nicht darauf hinaus, dass man China bittet, das westliche Rechtssystem einzuführen, westliche Grundrechte, sondern dass in Einzelfällen, in konkreten Fällen Besserung der Haftbedingung, auch Verbesserung der Verfahren gegen solche politischen Häftlinge tatsächlich eingeführt werden.
    Meurer: Und hat diese Methode Erfolg?
    Heilmann: Das führt in Einzelfällen zu Erfolgen, tatsächlich, sehr nachweisbar auch. Es wird dann aber - und das ist die Absprache - nicht an die Medien weitergeliefert. Es wird nicht an die große Glocke gehängt. Und das ist ein Teil der, wie soll man sagen, diplomatischen Vorgehensweise Deutschlands, die durchaus in Einzelfällen Erfolge aufweist.
    Weit entfernt von "strikter Anti-Korruptions-Regelung"
    Meurer: Seit einigen Jahren gibt es eine große Anti-Korruptions-Kampagne in China, Herr Heilmann. Gerade ist ja erst ein ehemaliger hochrangiger Kader festgenommen worden. Ist diese Anti-Korruptions-Kampagne eine Chance, dass sich die kommunistische Partei verändert?
    Heilmann: Das ist schwierig, weil im Grunde ein großer Teil dieser Funktionärsschicht der kommunistischen Partei natürlich in diese Korruptionsnetzwerke eingebunden ist. Das heißt, man trifft im Grunde alle damit und alle haben Angst gegenwärtig, was gewisse Lähmungserscheinungen auch auslöst. Keiner will sich mehr besonders bewegen, auf den unteren Ebenen vor allem. Das ist eine sehr schwierige Lage. Ich würde sagen, dass ein Neuanfang eigentlich nur möglich ist, wenn wirklich da ein Schnitt gemacht wird, im Grunde per Amnestie, wo man ein Pardon gibt für eine gewisse Bereicherung in der Vergangenheit, aber danach eine ganz strikte Durchsetzung der Anti-Korruptions-Regelungen einführt. Davon sind wir aber in China weit entfernt. Insofern sehe ich das momentan als Kampagne, die vielleicht ein, zwei Jahre halten wird in dieser Intensität, und danach wird wahrscheinlich leider ein großer Teil dieser sehr unguten Vorgänge im Korruptionsbereich wiederkehren.
    Es gibt aber auch das ganz furchtbare Szenario, dass diese kommunistische Partei tatsächlich zum Beispiel an der Anti-Korruptions-Kampagne zerbricht, dass Spaltungen auftreten, die das Land zerlegen im Grunde, und dann haben wir eine ganz andere Situation. Dann haben wir ein destabilisiertes China, was auch weltwirtschaftlich natürlich grausame Folgen für uns mit sich bringen wird. Das heißt, China wird in jedem Falle eine ganz erhebliche direkte Herausforderung für uns im Westen werden.
    Meurer: Klingt jetzt zum Ende fast so, Herr Heilmann, als würden Sie sagen, wir haben ein Interesse daran und China selbst auch, dass es dort ein Ein-Parteien-Regime gibt.
    Heilmann: Nein. Wir haben ein Interesse, würde ich sagen, an einem schrittweise vorangehenden Wandel, an einer Öffnung und Liberalisierung, die schrittweise verläuft. Wir können kein Interesse daran haben, dass es abrupt zu einer Destabilisierung oder zu einem Kollaps dieser politischen Ordnung kommt. Ich glaube, das wären furchtbare Schockwellen, die durch die Weltwirtschaft und durch die Weltpolitik laufen würden, zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
    Meurer: In Berlin diskutieren heute führende deutsche Sinologen über das politische System Chinas und wie es weitergeht. Veranstaltet wird die Diskussion vom Mercator-Institut für china-Studien "Merics". Sebastian Heilmann ist ihr Direktor. Danke, Herr Heilmann. Auf Wiederhören!
    Heilmann: Danke Ihnen sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.