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"Chinas bester Schauspieler"

Chinas Premierminister Wen Jiabao sei kein freundlicher Reformer, sondern ein populistischer Autokrat, schreibt der chinesische Autor Yu Jie in seinem neuen Buch "Wen Jiabao - Chinas bester Schauspieler" - und bekommt dafür nun Repressalien durch die Behörden zu spüren.

Von Eva Mehl | 17.07.2010
    Einschüchtern lässt sich Yu Jie nicht. Erst letzte Woche verhörten ihn fünf Beamte der Staatssicherheit und drohten ihm mit einer Gefängnisstrafe, sollte er es wagen, sein Buch zu veröffentlichen. Das Abschreckungsmanöver hat den 37-Jährigen nicht beeindruckt. Wenige Tage danach sitzt der hagere Brillenträger in einem Pekinger Teehaus, in seinen Händen hält er das fertige Manuskript. In Hong Kong har er einen Verleger gefunden, sein Buch kommt dort im Oktober auf den Markt. Drohungen hin oder her.

    "Wenn sie mich wirklich wegen des Buches verurteilen wollen, dann kann ich nichts machen. Für mich als Schriftsteller ist die Redefreiheit ein unverzichtbarerer Teil meines Lebens. Wenn ich die nicht habe, dann hat mein Leben keine Bedeutung mehr für mich. Also werde ich nicht nachgeben."

    "Wen Jiabao - Chinas bester Schauspieler" heißt das Werk, das in China nicht erscheinen darf. Mit dem Titel spielt Yu auf die öffentlichen Auftritte des chinesischen Premiers an, der immer so freundlich in die Kameras lächele. Keiner, so Yu, schaffe es so gut, seinem Publikum eine heile Welt vorzugaukeln.

    "Der Westen und die meisten Chinesen habe ein positives Bild von Wen Jiabao, das ist eine Illusion. Dieser Illusion widersetze ich mich. In den acht Jahren seiner Amtszeit wurde sehr viel Energie in das öffentliches Image von Wen investiert. Wirkliche politische Reformen gab es dagegen keine."

    Wen Jiabao, den die Chinesen liebevoll "Großvater Wen" nennen, hat es mit seinem populistischen Stil geschafft, zu einem der beliebtesten Führer Chinas zu avancieren. Das Ausland nimmt Wen gar als fortschrittlichen und politischen Reformer wahr. Yu dagegen sieht in Wen Jiabao einen Autokraten. Sein Führungsstil erinnere ihn an die chinesische Kaiserzeit. Wens größtes Talent bestehe in leeren Versprechungen.

    "Nach den Erdbeben in Sichuan 2008 war Wen der erste hochrangige Politiker, der in das Gebiet reiste. Er versprach den Eltern der Kinder, die in den eingestürzten Schulgebäuden umkamen, Untersuchungen zur Qualität der Schulgebäude einzuleiten. Aber bis heute, zwei Jahre danach, ist noch niemand zur Rechenschaft gezogen worden."

    Unter Wen Jiabao habe auch die Unterdrückung der Regimekritiker zugenommen. Der Initiator des Reformpapiers "Charta 08", Liu Xiaobo, ist nur ein Beispiel. Er verbüßt gerade eine elfjährige Haftstrafe. "Veröffentlichst Du Dein Buch, wird es Dir so ergehen wie Liu Xiaobo", drohten ihm die Beamten im Verhört.

    "Die Einschüchterungen fingen mit den Olympischen Spielen an. Da haben mich vier Beamte draußen vor meiner Wohnung bewacht. Wo immer ich hinfuhr, ich musste mit ihnen im Auto mitfahren. Sie hören mein Telefon, lesen meine Emails, schreiben anonyme Briefe an meine Familie und fordern von meinen Freunden, den Kontakt mit mir abzubrechen."

    Yu Jie hofft, dass der chinesische Überwachungsstaat einmal zusammenbrechen wird, wie die DDR. Dann könnte es auch in China eine Gauck-Behörde geben, das habe er auch den Beamten im Verhör gesagt.

    "Einer der Polizeibeamten verriet mir dann, dass er schon seit zehn Jahren auf mich abgestellt sei. Und dass keiner mehr Information über mich habe als er. Ich habe ihm geantwortet, wenn ich alt bin, dann gibt es in China vielleicht auch eine Gauck Behörde und ich kann dann mit den vor Dir gesammelten Informationen meine Autobiographie schrei-ben."

    Doch der Weg zur Gauck Behörde in China ist noch weit. Yu Jie, der 2006 von der Bundeskanzlerin Angela Merkel und von George W. Bush empfangen wurde, vermisst heute den Einsatz westlicher Staatsober-häupter für die Einhaltung der Menschenrechte in China. In den letzten Jahren stünden nur noch wirtschaftliche Interessen an.

    "Ich wünsche mir, dass die deutsche Bundeskanzlerin auf Ihrer jetzigen Reise Hu Jintao und Wen Jiabao mit den Namen der inhaftierten Dissidenten konfrontieren. Das würde die Regimekritiker zwar nicht aus der Haft befreien, aber mit dieser Geste könnten sie die Zeit im Gefängnis besser ertragen."

    Yu Jie lässt sich von der Veröffentlichung seines Buches über Wen Jia-bao nicht abbringen. Er hofft, dass die Welt auf diese Weise mehr über "Chinas besten Schauspieler - Wen Jiabao" erfahren kann.