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Chinas Uiguren
Die Parias der Volksrepublik?

Nach der Messerattacke von Kunming mit 33 Toten fühlen sich Chinas muslimische Uiguren noch mehr unter Druck. Die chinesische Führung hingegen will von Kritik an ihrer Minderheitenpolitik nichts wissen. Der Anschlag von Kunming habe mit ethnischen Konflikten nichts zu tun, heißt es in Peking.

Von Ruth Kirchner | 15.03.2014
    Chinesische Uiguren protestieren am 9. Juli 2007
    Chinesische Uiguren protestieren am 9. Juli 2007 (dpa/picture-alliance/epa Diego Azubel)
    Für Chinas Uiguren ist das Leben nach Kunming schwerer denn je. Öfters als sonst müssen sie ihre Ausweise vorzeigen, noch mehr Misstrauen schlägt ihnen von der Mehrheit der Han-Chinesen entgegen. Vor allem in Kunming, dem Schauplatz der blutigen Messerattacke von Anfang März, die nach Ansicht der Behörden auf das Konto von Separatisten aus Xinjiang geht.
    "Sie machen solche abscheulichen Dinge", sagte Yang Jing, Besitzerin einer kleinen Schneiderei in Kunming:
    "Sie sollten alle weggebracht werden. Auch wenn man solche Verdächtigungen eigentlich nicht machen sollte, aber sie sollten alle in ihre Heimat zurückgebracht werden, man sollte ihnen nicht mehr erlauben, nach Kunming zu kommen. Sie sind fürchterlich; ihre Kinder klauen und prügeln sich, die Erwachsenen sind noch viel schlimmer. Sie sind wirklich schrecklich."
    Nur wenige Chinesen äußern ihre Vorurteile derart offen. Aber Uiguren haben trotzdem lernen müssen, damit zu leben. Schon nach einem bis heute nicht völlig aufgeklärten Selbstmordanschlag in Peking im vergangenen Jahr, klagten Uiguren in Peking über massive Diskriminierung.
    "In vielen Städten werden wir sogar in den Hotels abgewiesen“, erzählte dieser uigurische Händler am Trödelmarkt Panjiayuan: „Wir sind doch auch Chinesen. Warum lässt man uns nicht einmal in Hotels einchecken?"
    Uiguren unterscheiden sich ethnisch und kulturell sehr deutlich von den Han-Chinesen. In Urumqi, der Provinzhauptstadt von Xinjiang dominieren – zumindest in der Altstadt - Moscheen und Basare das Straßenbild. Die Uiguren sprechen eine Sprache, die dem Türkischen ähnelt und arabische Schriftzeichen verwendet. Als ihre Heimat bezeichnen sie nicht Xinjiang – zu Deutsch: "Neue Grenze" - sondern "Ost-Turkestan", einen Anfang des 20.Jahrhunderts kurzzeitig unabhängige Republik. 1949 hatte sich die Volksrepublik die rohstoffreiche riesige Wüstenregion einverleibt – doch anschließend nie wirklich befrieden können.
    Denn trotz massiver wirtschaftlicher Investitionen fühlen sich viele Menschen – wie hier auf einem Markt in Urumqi – als Bürger zweiter Klasse. Ihre kulturelle Identität sehen sie in Gefahr, ihre Sprache bedroht. Trotzdem erklären die chinesischen Behörden regelmäßig, zuletzt beim Volkskongress in Peking, dass die Region gut vorankomme.
    "Im letzten Jahr hat die soziale und wirtschaftliche Entwicklung große Fortschritte gemacht", sagte Vize-Gouverneur Huang Wie: "Das Tempo des Wirtschaftswachstums war das schnellste seit 22 Jahren und lag mit über elf Prozent noch über dem landesweiten Wachstum."
    Doch viele Uiguren haben den Eindruck, dass die Früchte des Wachstums an ihnen vorbeigehen, dass ihre Öl-und Gasvorkommen geradezu geplündert werden von den Han-Chinesen. Seit Jahren nehmen die Spannungen zu, immer wieder kommt es zu Gewaltausbrüchen.
    "Viele Probleme sind nicht über Nacht aufgetaucht, sondern haben sich im Verlauf der der Geschichte aufgestaut", sagte Ende vergangenen Jahres der uigurische Wirtschaftswissenschaftler Ilham Tohti.
    Vieles hänge mit rechtlichen Fragen zusammen – mit dem Recht auf Sprache, Religionsfreiheit, mit massiven Menschenrechtsproblemen in Xinjiang, mit der hohen Arbeitslosenrate unter den Uiguren, mit Armut, Ungleichheit, umfassender Diskriminierung.
    Doch Ilham Tohti, der jahrelang an der Pekinger Minderheitenuniversität unterrichtete und als gemäßigter Kritiker der offiziellen Linie galt, ist im Januar verhaftet worden. Er sitzt jetzt in Urumqi in Untersuchungshaft, die Behörden werfen ihm separatistische Aktivitäten vor – ihm droht eine langjährige Haftstrafe. Internationale Kritik an seiner Verhaftung weist das Außenministerium entschieden zurück:
    "Ilham Tohti steht unter dem Verdacht eine Straftat begangen zu haben. Die zuständigen Behörden werden sich des Falls im Rahmen der Gesetze annehmen. Ein Verbrechen entsprechend der Gesetze zu bestrafen, ist das Recht eines jeden souveränen Staates."
    Mit der Verhaftung Tohtis haben die Uiguren jetzt noch weniger Chancen gehört zu werden - was wiederum dem Extremismus Vorschub leisten könnte. Experten warnen seit langem vor einer Radikalisierung gerade jüngerer Uiguren. Es soll Verbindungen geben zu radikal-islamistischen Gruppen in Zentralasien. Die Behörden in Peking zeigen mit dem Finger immer wieder auf ETIM, die "Islamistische Bewegung Ost-Turkestan". Sie wird von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestuft. Doch die USA habe sie von ihrer Liste gestrichen – das es Zweifel gibt, ob es diese Gruppierung wirklich gibt. Trotzdem zog die Regierung in Peking nach der Attacke von Kunming sehr schnell Verbindungslinien zum internationalen Terrorismus:
    "Es gibt Verbindungen zwischen den Terroranschlägen hier und denen vom 11. September (in den USA) und Tschetschenien", sagte der Parteisekretär von Xinjiang, Zhang Chunxian, beim Volkskongress: "Terror-Gewalt ist ein internationales Phänomen, das durch Extremismus verbreitet wird. Wir werden hart dagegen vorgehen, mit Hochdruck wie bei einem Gewitter."
    Von hausgemachten Problemen oder Kritik an der Minderheitenpolitik will die Führung nichts wissen. Der Anschlag von Kunming habe mit ethnischen Konflikten nichts zu tun, heißt es in Peking. Chinas Uiguren fürchten gleichwohl dass das Misstrauen gegen sie weiter steigen wird und dass sie es sein werden, die für die Gewalttat in Kunming und anderswo einen hohen Preis werden zahlen müssen.
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