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Chinesisch sprechen, demokratisch denken

Heute haben die Taiwanesen ihren Präsidenten gewählt, und es wird wohl der alte sein. Seine zweite Amtszeit wird auch die Weichen dafür stellen, wie groß der Einfluss Chinas in Zukunft sein wird.

Von Klaus Bardenhagen | 14.01.2012
    Direkt zu Füßen des Taipei 101 halten die Touristenbusse. Es sind vor allem Reisegruppen aus der Volksrepublik China, die den 500-Meter-Wolkenkratzer besichtigen wollen. Er ist das Wahrzeichen Taiwans. Auch wenn die Regierung in Peking hartnäckig behauptet, Taiwan sei ein Teil Chinas: Hier hat sie nichts zu melden. Dass es auf der Insel anders zugeht als daheim, merken die Besucher, sobald sie ihren Bus verlassen.

    "Herzlich willkommen in Taiwan", begrüßt Eugene Chang sie per Mikro und Lautsprecher, die er vor den Bauch geschnallt hat. Der Geschäftsmann ist Anhänger von Falun Gong, einer religiösen Bewegung, die in China brutal verfolgt wird. Hier aber meditiert ein Dutzend von Changs Mitstreitern ein paar Meter weiter in aller Öffentlichkeit:

    "Wie Sie sehen, gibt es in Taiwan einige Besonderheiten. Zum Beispiel Demokratie und Glaubensfreiheit."

    Die meisten Chinesen tun so, also würden sie nicht hinhören. In fast jeder Reisegruppe sei ein Aufpasser der Pekinger Regierung dabei, sagt Chang. Für seine improvisierten Ansprachen wäre er in China schon längst verhaftet worden. In Taiwan war er es, der mal die Polizei gerufen hat, als ein Chinese handgreiflich wurde:

    "Aber als die Beamten kamen, war ihm klar, dass er im Unrecht war. In China können die Sicherheitskräfte beliebig Gewalt anwenden. Aber in Taiwan beschützen sie uns."

    Taiwans Freiheit erstreckt sich bis zur Wahlurne. Es ist die einzige echte Demokratie der chinesischsprachigen Welt. Schon zum fünften Mal konnten die Taiwaner heute ihren Präsidenten frei wählen. Und das passt China überhaupt nicht. Je mehr die 23 Millionen Einwohner sich an ihre politischen Freiheiten gewöhnen, desto weniger sind sie bereit, sich als Teil einer großen chinesischen Familie zu fühlen – oder sich gar Peking zu unterwerfen. Viele denken so wie der Designer Wu Hung-che:

    "China behauptet, Taiwan würde zu ihnen gehören. Aber warum wählen wir dann unseren eigenen Präsidenten? Sollen sie doch kommen und uns kontrollieren. Aber so lange das nicht so ist und unser Präsident nicht in China sitzt, warum soll das hier kein unabhängiges Land sein?"

    Das Verhältnis Taiwans zum riesigen Nachbarn war wie jedes Mal eines der wichtigsten Themen im Wahlkampf. Der amtierende Präsident Ma Ying-jeou legt nicht nur Wert auf Taiwans chinesisches Erbe, er hat die Insel auch in der vergangenen Jahren vor allem wirtschaftlich immer enger mit China verflochten. Das geht der Opposition zu weit. Peking könne eines Tages den Geldhahn abdrehen, Taiwans Wirtschaft lahm legen und die Insel so quasi kampflos übernehmen, warnt sie. Oppositionskandidatin Tsai Ing-wen will ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis, aber auch nicht mehr. Ein heikles Thema, das zwischen den politischen Lagern wohl auch weiterhin für erbitterten Streit sorgen wird.

    Immerhin sei der Wahlkampf diesmal weniger ideologisch aufgeheizt gewesen als früher, sagt Wang Yeh-lih, Politikprofessor an Taiwans Nationaluniversität:

    "Ein gemäßigtes Image kommt besser an bei den Wählern in der Mitte des Spektrums. Sie mögen es nicht zu radikal, und beide Seiten wollen sie für sich gewinnen. Die Unentschiedenen waren in diesem Wahlkampf ein ganz entscheidender Faktor."

    Auch wenn mittlerweile Themen wie Arbeitslosigkeit, Immobilienpreise und die Kluft zwischen Arm und Reich eine größere Rolle spielen – Taiwans Wahlkämpfe tendieren noch immer dazu, in Schlammschlachten auszuarten. Mit Vorliebe werfen die großen Parteien sich gegenseitig vor, korrupt zu sein und das Recht zu beugen. Trotzdem funktioniert Taiwans junge Demokratie ganz gut, sagt auch Michael Zickerick, Deutschlands offizieller Vertreter in Taiwan:

    ""Was einen Beobachter am meisten überrascht und erfreut ist festzustellen, dass Chinesen und Demokratie zusammengehen. Dieses Gefühl bekommt man, auch wenn man jetzt die Wahlkampagne verfolgt, wie intensiv hier die Auseinandersetzung ist, manchmal auch ruppig, aber das gehört auch dazu. Wir sehen das aber doch mit Bewunderung auch, was hier inzwischen geschaffen worden ist an demokratischer Kultur."

    Der Rest der Welt könnte sie ruhig öfter so loben, finden die Taiwaner. Weil China seine Muskeln spielen lässt, ist die Insel international ziemlich kalt gestellt. Nur noch wenige, eher unbedeutende Länder haben diplomatische Beziehungen mit Taiwan. Auch Michael Zickerick darf sich nicht offiziell "Botschafter" nennen. Um Peking nicht zu verärgern, verfolgt die Bundesregierung eine Ein-China-Politik, nach der es kein unabhängiges Taiwan geben darf. Ungerecht finden das Taiwaner wie die Angestellte Jen Hsu. Ihre Demokratie wieder hergeben wollen sie jedenfalls nicht:

    "Wir normalen Leute haben das Recht, unseren Präsidenten selbst zu wählen. Das ist sehr wichtig. Chinesen haben diese Rechte nicht."