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Chirurginnen gesucht

Die Arbeit ist hart - 50 Stunden plus X jede Woche, 24-Stunden-Schichten. Ein Aufstieg ist schwer, die Bezahlung weit weniger gehaltvoll als die Berufsbezeichnung verspricht: Chirurg. Nur noch fünf Prozent der Medizinstudierenden schlagen die OP-Laufbahn ein, Nachwuchsoperateure werden händeringend gesucht - ganz besonders Frauen.

Von Regina Brinkmann | 08.12.2008
    "Wenn man das mal sagt, man möchte in die Chirurgie, kriegt man von vielen zu hören, du bist ne Frau, du bist ganz klein, du bist zierlich, du willst Kinder haben, such' dir was anderes."

    "Wenn man als Chirurg dann etwas Besonderes werden will, dann kommen da auch wirkliche heikle Fälle, wo es dann auf Leben und Tod ankommt und darauf hinausläuft, dass eine falsche Entscheidung fatale Folgen hat und das ist für mich schon was ein bisschen abschreckt."

    Zu riskant, zu frauenfeindlich - um das Ansehen der Chirurgie ist es bei angehenden Medizinern also nicht gut bestellt. Viele machen inzwischen einen Bogen um das Fach. Von 2.500 befragten Studenten konnten sich gerade mal fünf Prozent vorstellen, eine chirurgische Laufbahn einzuschlagen. Diese und andere Zahlen sind für Chirurgen wie Wolfgang Schröder inzwischen besorgniserregend:

    "Es gibt sicherlich genug Medizinstudenten, die mit der Ausbildung anfangen, aber letztendlich verlieren wir - das sind die aktuellen Zahlen der Bundesärztekammer - 40 Prozent der Studenten haben wir weniger, die hinterher wirklich am Krankenbett tätig sind und diesen Verlust von 40 Prozent kann man eben nicht mehr kompensieren."

    Wolfgang Schröder merkt bereits jetzt, dass die Bewerberdecke dünner wird. Vor 10 Jahren flatterten dem leitenden Oberarzt in der Kölner Universitätsklinik noch dutzende Bewerbungen auf den Tisch. Inzwischen sind es im Monat gerade mal vier.
    Medizin-Absolventen dagegen profitieren von der augenblicklichen Arbeitsmarktlage in der Chirurgie:

    "Wenn ich mich für eine Stelle in der Kinderheilkunde beworben hätte, hätte ich lange, lange warten müssen und in der Chirurgie hatte ich zwei Wochen nach Bewerbungen abschicken vier Termine für ein Interview."

    Entschieden hat sich Alice Hölscher schließlich für die Universitätsklinik in Köln. Hier hat sie erst vor wenigen Wochen in der Abteilung von Wolfgang Schröder ihre Facharztausbildung begonnen. Schon jetzt weiß sie, dass sie sich keinen Durchschnittsjob ausgesucht hat. 50 Stunden und mehr wird sie später als Chirurgin im OP und auf Station arbeiten müssen, Zeit für Bürokratie und Forschung ist da noch gar nicht mit eingerechnet. Noch aber überwiegen für Alice Hölscher die Vorteile und die Faszination für die Arbeit im OP.

    "Es ist natürlich sehr actionhaltig, so will ich jetzt mal sagen, also es passiert was, man macht was mit seinen eigenen Händen, man sieht die Therapie sehr, sehr schnell, im Gegensatz zu Internisten. Und den Patienten auch von innen zu sehen: diese Anatomie, die wir im Studium immer wieder lernen, diesen Aufbau des Menschen, was uns auch fasziniert, das auch immer wieder zu sehen und zu erfahren, eben dieses Blut, diese einzelnen Strukturen im Körper. Das ist schon ein sehr faszinierender Faktor."

    Doch nicht nur die Arbeit im OP, auch die Betreuung von Patienten vor und nach den Eingriffen ist Teil ihrer zweijährigen chirurgischen Grundausbildung. Im Anschluss muss sie sich für ein Fachgebiet innerhalb der Chirurgie entscheiden und sich weiterqualifizieren. Sechs Jahre und länger kann es dauern bis Alice Hölscher fertig ausgebildete Chirurgin sein wird. Bis es soweit ist wird sie Schnitt für Schnitt an die unterschiedlichen Herausforderungen ihres Berufs herangeführt.

    "Wenn ich im Operationssaal stehe und die ersten Operationen machen darf, das sind kleine Hautschnitte zum Beispiel, diese Katheder freilegen, die nach Chemotherapien nicht mehr gebraucht werden – dann steht neben mir ein so genannter Oberarzt; das ist ein Facharzt, der diese Facharztausbildung hinter sich hat und eine leitende Funktion hier hat und gibt mir natürlich Angaben, hilft mir dabei verbessert mich und so was dergleichen."

    Auch Wolfgang Schröder steht in der Uniklinik Köln dem Nachwuchs am OP-Tisch zur Seite. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, um die sich manche Ausbilder in den chirurgischen Abteilungen aber nicht gerade reißen:

    "Die Bereitschaft auszubilden ist zu gering - es ist viel einfacher selbst zu operieren als qualifizierter Chirurg, als wenn sie sich die Mühe machen einem jungen Kollegen Schritt für Schritt eine Operation zu erklären, ihn da durch zu führen, das ist viel anstrengender, und diese Bereitschaft am Patienten auszubilden und auch eigene Zeit zu opfern für die Ausbildung ist in unserem System relativ gering ausgeprägt. "

    Allein mit einer besseren Ausbildungskultur ist es aber nicht getan. Das weiß der Kölner Chirurg aus Gesprächen mit vielen Studierenden, die sich zwar für das operative Fach interessieren, die aber Arbeitsbedingungen, geringe Bezahlung und strenge Hierarchien erst mal abschrecken. Diese Vorbehalte versuchen Wolfgang Schröder und andere Mitglieder des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen immer wieder auszuräumen. Unter dem Motto "Nur Mut" berichten sie in Hörsälen landauf landab über die Vor- und Nachteile ihrer Arbeit und wollen vor allem auch den weiblichen Nachwuchs dazu ermutigen, sich in die Chirurgie vor zu wagen. Denn anders als bisher, können die Krankenhäuser und Kliniken künftig nicht mehr auf berufstätige Mütter am OP-Tisch verzichten.

    "Wir müssen aber dazu kommen, dass wir in einem hohen Maße auch Modelle schaffen, die auch die Studentinnen in die Chirurgie locken, sonst haben wir gar keine Chance dem Nachwuchsmangel zu begegnen."