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Chodorkowski-Freilassung
Beck: Putin spielt "mal guten oder mal bösen Zar"

Die Grünen-Politikern Marieluise Beck sagte im Deutschlandfunk, dass sie "tiefe Freude" über die Freilassung von Michail Chodorkowski empfinde. Sie hatte sich jahrelang dafür engagiert. Einen "politischen Frühling" sieht sie in Russland allerdings nicht.

Marieluise Beck im Gespräch mit Bettina Klein | 23.12.2013
    Michail Chodorkowski während seines Gerichtsprozesses in Moskau am 2. November 2010.
    Michail Chodorkowski während seines Gerichtsprozesses in Moskau am 2. November 2010. (picture alliance / dpa / Sergei Chirikow)
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich Marieluise Beck von Bündnis 90/Die Grünen aus dem Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Frau Beck!
    Marieluise Beck: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Sie haben sich über Jahre sehr für Michail Chodorkowski engagiert, haben den Prozess begleitet, haben ihn in Gefangenschaft besucht. Wie war das für Sie, jetzt ihn am Wochenende in Berlin zu treffen?
    Beck: Das war schon eine tiefe Freude. Ich habe ihn ja nicht in Gefangenschaft besuchen können, sondern ich musste vor den Toren von Segescha wieder umkehren. Und das Erstaunliche war: Einen Menschen, den ich über acht Jahre gefühlsmäßig ganz, ganz eng begleitet habe, mit seinem ganzen Umfeld, mit den hoch betagten Eltern, mit seinem wunderbaren Sohn Pawel, mit dem großartigen Menschenrechtsanwalt Juri Schmidt, der leider diese Freilassung nicht mehr erlebt hat, das hat ein Gefühl der Nähe kreiert, das aber nie mit irgendeinem Gespräch unterfüttert war. Wir haben uns tatsächlich am vergangenen Samstag zum ersten Mal miteinander unterhalten, in den Arm genommen. Und es war schon sehr schön.
    Klein: Waren Sie denn eingeweiht in diese Vermittlungsmission, diese Befreiungsaktion?
    Beck: Nein! Ich kannte diese Vermittlungsaktion mit Genscher nicht. Wir hatten zwar im Laufe der Jahre jeden Stein herumgedreht, bis hin zu Überlegungen von Sarkozy, ich habe mit Oettinger gesprochen, ein Duo Merkel-Sarkozy, alles hatten wir in Betracht gezogen. Aber diese Genscher-Vermittlung kannte ich nicht. Sie war wohl doch wirklich ganz im kleinsten Kreis angelegt. Und das war ja auch gut so.
    Klein: Es gab und gibt jetzt viele Spekulationen über die Motivation von Wladimir Putin für diesen Schritt. Was ist Ihre Erklärung?
    Beck: Ich sage Sotschi. Jeder, der Putin kennt weiß, dass diese Winter-Olympiade für ihn der Traum seines Lebens ist. Er lässt sich das viel kosten beziehungsweise das Volk. Und die Tatsache, dass es begann, Absagen zu geben, und dass der Glanz anfing, zu bröckeln – ich sage nur Greenpeace-Aktivisten in Haft, Pussy Riot in Haft, Belieferung von Assad mit Waffen in Syrien, die Ukraine massiv unter Druck gesetzt. Der Glanz von diesem Fest fing an zu schwinden. Und ich glaube, dass das mit ein Motiv ist. Er möchte wirklich gerne der strahlende Putin auf den Tribünen in Sotschi sein.
    Klein: Wenn man dieser Logik folgt, Frau Beck, dann heißt das ja auch im Umkehrschluss, dass der politische Druck im Augenblick doch nicht ganz so umsonst war und ist. Und dass er vor allen Dingen richtig war. Ich spreche von den Absagen etlicher westlicher Politiker in puncto Eröffnung der Winterspiele.
    Beck: Ja. Es gibt ja immer den Guten und den Bösen wie im wahren Leben. Es muss den Bösen geben, der zum Ärger des Betroffenen Dinge auf der Tagesordnung behält, die ihm nicht gefallen. Und es muss denjenigen geben, der dann in stiller Diplomatie Auswege sucht, der natürlich nicht der schärfste Kritiker sein kann. Insofern glaube ich, dass das Zusammenspiel von Medien, die tatsächlich ja in wunderbarer Weise sich nicht abgewendet haben über zehn Jahre, mit den Schultern gezuckt und gesagt, na, das wird nichts mehr, der wird den Rest seines Lebens im Lager bleiben, und vielen Menschen, die sich engagiert haben. Aber auch Menschen, die noch eine Art Kanal aufmachen konnten, dieses Zusammenspiel war gut.
    Klein: Ich frage das auch deswegen, weil ja genau das hierzulande auch teilweise sehr kritisiert wurde, zum Beispiel die Absage des Bundespräsidenten. Das hat man so ein bisschen als eine private Animosität ausgelegt. Sie kritisieren das aber nicht mit Blick auf das Ergebnis jetzt?
    Beck: Ich kritisiere das nicht. Es ist natürlich etwas anderes, wenn Privatpersonen sich entscheiden, nicht zu gehen, oder ein Bundespräsident. Aber da jeder weiß, dass er ein sehr überzeugter Bürgerrechtler ist und dass er wirklich für die Freiheit steht, auch als seine politische Agenda, fand ich das durchaus nachvollziehbar. Wie gesagt: Es war kurz, nachdem der Ukraine das Recht genommen worden ist, das was sie als Europa bezeichnen und mit Freiheit und Werten verbinden, weiter zu verfolgen. Und wie gesagt: Ich denke, auch das hat ein Stück dazu beigetragen, die Entscheidung der Amerikaner, nicht hochrangig zu besetzen. Da hat es schon was gegeben. Und wir haben immer gesagt, wenn es eine Chance gibt, Michail Borissowitsch freizubekommen, dann vor Sotschi, denn wir wussten ja, dass der dritte Prozess vorbereitet wird. Und nach Sotschi waren alle Versprechungen, das ahnten wir, Schall und Rauch.
    Klein: Wir haben gerade einige Reaktionen aus Moskau hören können, Frau Beck. In den Augen vieler Russen ist Chodorkowski offenbar einer jener Glücksritter, für den man nicht allzu viel Mitgefühl aufbringen sollte, wenn er Opfer der Justiz wird. Wir haben gerade sogar den Vergleich mit Al Capone gehört. Wie sehen Sie das?
    Beck: Ich glaube, dass die 90er-Jahre sehr turbulent waren. Es gab viele rechtsfreie Räume und Michail Chodorkowski hat die genutzt. Das kann man sicherlich sagen. Und dass er nicht mit Samthandschuhen agiert hat, das ist sicherlich auch richtig. Aber für mich war immer entscheidend, dass der große Menschenrechtsanwalt Juri Schmidt, ein großer alter Herr auch der russischen Justiz, immer gesagt hat, der Aktenlage nach ist dieser Mann unschuldig. Und dass der zweite Prozess ganz zweifelsohne ein Skandal war, haben die Vertreter des Rates zum Aufbau der Zivilgesellschaft in Russland gesagt, von Putin eingesetzt, die ein großes 400-seitiges Gutachten unter Führung der Verfassungsrichterin Morschtschakowa gemacht haben. Sie haben gesagt, dieser zweite Prozess ist eine Schande für die russische Justiz. Das, was da jetzt in Russland läuft, ist Propaganda. Und die kann man, wenn man alle Fernsehsender besitzt und die Menschen von morgens bis abends beschallen kann, die kann man dann eben auch so durchführen und damit das Denken der Menschen prägen. Aber es gab viele, die inzwischen wussten, dass Chodorkowski eigentlich ein persönlicher Gefangener Putins war.
    Marieluise Beck

    Geboren am 25. Juni 1952 in Bramsche. Seit 1980 bei den Bündnis 90/Die Grünen aktiv, seit 1983 regelmäßig Mitglied des Bundestages und Sprecherin für Osteuropapolitik ihrer Partei. Von 2002 bis 2005 war sie parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von 1998 bis 2005 Ausländerbeauftragte der Bundesregierung.
    Klein: Frau Beck, ich würde gerne noch auf eine Eilmeldung schauen, die uns vor wenigen Minuten hier erreicht hat, dass nämlich ein weiteres Mitglied der Punkband Pussy Riot freigelassen worden ist: Maria Alyokhina. Was sagt Ihnen das?
    Beck: Ja, ich freue mich auch da sehr. Diese Verhaftung war ein Skandal. Man konnte über diese Aktion in der Kirche durchaus geteilter Meinung sein, das ist Geschmackssache. Aber dafür zwei Mütter für Jahre ins Lager zu stecken, das ist einfach jenseits der Wertegemeinschaft, in der sich die europäischen Länder, zu denen Russland gehört, auch als Mitglied des Europarats, bewegen. Es ist schön, dass sie freigekommen ist, aber wieder sage ich: Diese Verurteilung hätte zuerst gar nicht so sein dürfen. Und das ist nicht ein Rechtsstaat, sondern das ist ein Staat, wo ein Präsident je nachdem, wie es ihm gerade passt, mal den guten oder den bösen Zar spielt.
    Klein: Unter dem Strich, Frau Beck, um abschließend darauf noch zu schauen: Was sagt Ihnen die Entwicklung der vergangenen Tage? Ist Putin gestärkt oder geschwächt?
    Beck: Putin ist genauso stark wie vorher. Die Architektur seiner Macht ist im Augenblick sehr, sehr stark. Sie ist auch sehr gewissenlos. Sie schafft jeden beiseite, der ihm politisch gefährlich zu werden droht. Der Blogger Nawalni ist nicht befreit von dem Damoklesschwert der Haft über ihm. Und das ist das beste Zeichen dafür, dass wir nicht einen politischen Frühling in Russland erwarten können.
    Klein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Grünen-Politikerin Marieluise Beck. Ich bedanke mich für das Interview.
    Beck: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.