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Christen und die AfD
Keine "Pauschalverurteilung der gesamten AfD"

Die AfD sorgt derzeit mit Aussagen zum Islam für Aufruhr. Streng christlich-konservative Positionen machen die Partei aber vor allem für die Wähler attraktiv, denen die CDU zu modern geworden ist. Der evangelische Theologe und Ethiker Peter Dabrock warnt davor, diese Wähler pauschal in die rechtsextreme* Ecke zu stellen.

Von Rainer Brandes | 20.04.2016
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    Der evangelische Theologe Peter Dabrock warnt davor, AfD-Wähler pauschal zu verurteilen (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    78 Seiten lang ist der Entwurf des AfD-Bundesvorstands für ein Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland. Auf diesen 78 Seiten kommen die Wörter "christlich", "Christ" oder "Christentum" genau sechsmal vor. Das ist nicht besonders viel für eine Partei, deren Vertreter in der Öffentlichkeit nicht müde werden, einen Verlust christlicher Werte zu beklagen. Will die AfD-Führung also vermeiden, als dezidiert christliche Partei aufzutreten? Sozialwissenschaftler Alexander Häusler forscht an der Hochschule Düsseldorf unter anderem zur AfD:
    "Sie will es zumindest vermeiden, als christlich-fundamentalistische Partei zu erscheinen. Im Unterschied zum ersten Entwurf sind ja mehrere Dinge entschärft worden, unter anderem eben auch die Frage, die zum Beispiel die Religionen angeht, als auch die Frage, was zum Beispiel die Wiedereinführung des Schuldprinzips im Scheidungsrecht angeht. Auch das war im anfänglichen Entwurf - auch unter maßgeblicher Beteiligung des christlich-fundamentalistischen Flügels der AfD - dort mit reingeschrieben worden. Inwieweit diese Positionen jetzt noch weiter bei dem Programmparteitag ausgetragen werden und zu Konflikten führen, das bleibt noch abzuwarten."
    Für den evangelischen Theologen und Ethiker Peter Dabrock von der Universität Erlangen-Nürnberg ist es noch keine ausgemachte Sache, wohin sich die AfD bewegen wird. Er fordert einen intensiven Dialog mit Menschen, die sich aus religiösen Überzeugungen in der AfD engagieren:
    "Ich würde allerdings mir auch immer wünschen, dass ein von beiden Seiten konstruktives, aufeinander hörendes Gespräch geführt wird, was nicht einfach von Vorverurteilungen lebt."
    Christlich-konservativ oder christlich-fundamentalistisch?
    Peter Dabrock sieht in der AfD ein Sammelbecken ganz unterschiedlicher Strömungen. Zumindest in Teilen Deutschlands könne man die AfD allerdings durchaus als eine christlich-konservative Partei betrachten:
    "Nach meiner Wahrnehmung kann man vor allen Dingen im Westen der AfD – ich denke jetzt hier vor allen Dingen an Rheinland-Pfalz, aber vor allen Dingen auch an Baden-Württemberg – erkennen, dass in der Tat die christlich-konservativen Kreise doch einen erheblichen Einfluss auf das Selbstverständnis der AfD-Programmatik haben. Ich bezweifle, dass das im Osten unserer Republik genauso der Fall sein wird."
    Die Programmkommission hat also den Text entschärft, um einen Kompromiss zwischen dezidiert christlich-konservativ orientierten Mitgliedern und atheistisch eingestellten Mitgliedern zu erzielen.
    Dennoch macht die AfD in ihrem Programmentwurf unmissverständlich klar, was ihr Idealbild ist:
    "Die Alternative für Deutschland bekennt sich zur traditionellen Familie als Leitbild. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. In der Familie sorgen Mutter und Vater in dauerhafter gemeinsamer Verantwortung für ihre Kinder. Diese natürliche Gemeinschaft bildet das Fundament unserer Gesellschaft. […] Wir wenden uns entschieden gegen Versuche von Organisationen, Medien und Politik, Einelternfamilien als normalen, fortschrittlichen oder gar erstrebenswerten Lebensentwurf zu propagieren."
    Die Ehe als Verbindung von Mann und Frau, die Familie aus Vater, Mutter und Kindern als natürliche Lebensform: Das sind Motive, denen sowohl der christlich-fundamentalistische als auch der völkisch-nationalistische Flügel der AfD zustimmen kann, so Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler:
    "Dort gibt es inhaltliche Schnittmengen, was die Ablehnung von Feminismus angeht, die Ablehnung von Abtreibung, die Forderung nach Rückkehr zu einer sogenannten "natürlichen Gesellschaft", die sogenannte "unnatürliche" Entwicklungen wie etwa den Feminismus, wie die Frühaufklärung im Sexualbereich bei Kindern und Jugendlichen oder andere Entwicklungen eben versucht rückgängig zu machen. Und hier finden sich auch deutliche Schnittmengen mit ideologischen Mustern der sogenannten "Neuen Rechten"".
    Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch spricht an einem Mikrofon.
    Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. (dpa/picture alliance/Julian Stratenschulte)
    Der Kampf gegen alles, was traditionelle Geschlechterrollen in Frage stellt, ist ein Kernanliegen christlich-fundamentalistischer Kreise. Mit der Europa-Abgeordneten Beatrix von Storch hat der protestantische Fundamentalismus eine prominente Fürsprecherin in der AfD. Am jetzt vorliegenden Programmentwurf hat sie mitgeschrieben. Ihre Handschrift ist zum Teil deutlich erkennbar. Beatrix von Storch betreibt zusammen mit ihrem Mann Sven von Storch die "Initiative Familien-Schutz". Formulierungen aus Papieren dieser Initiative finden sich fast wortgleich im Programmentwurf der AfD. Im Kapitel über das Schulsystem heißt es:
    "Die AfD bekennt sich zu christlicher Tradition, Humanismus und Aufklärung als tragende Säulen deutscher und europäischer Kultur und zum christlich-humanistischen Wertekanon. […] Das traditionelle Familienbild darf […] nicht zerstört werden. Unsere Kinder dürfen in der Schule nicht zum Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit werden."
    Solche Positionen machen die AfD attraktiv für konservativ eingestellte Wähler. Der Theologe Peter Dabrock:
    "Die Aspekte, sich auf ein sogenanntes traditionelles Ehe-, Familien-, Geschlechtermodell zu stützen und zu stürzen, können auf der einen Seite tatsächlich auch religiös begründet und motiviert werden, wie gleichzeitig das aber auch auf nicht-religiöse Weise passieren kann. Ich würde aber sagen, dass tatsächlich der Rückbezug auf Religion für manche hier einen heuristischen und einen katalytischen Effekt hat."
    Der Modernisierungskurs der CDU und die Folgen
    Sprich: Diese Wähler wünschen sich eine geordnete Welt, in der die Religion allgemeinverbindliche Werte bereitstellt, die nicht ständig neu verhandelt werden müssen. Peter Dabrock warnt ausdrücklich davor, Menschen, die sich aus diesen Gründen in der AfD engagieren, pauschal in die rechtsextreme* Ecke zu stellen. Ein traditionelles Familienbild, die Ablehnung der Homo-Ehe, klar definierte Geschlechterrollen: bis vor wenigen Jahren waren das schließlich selbstverständliche Positionen innerhalb der Unionsparteien. Durch den Modernisierungskurs der CDU fühle sich ein erheblicher Teil des christlich-konservativen Milieus politisch heimatlos, so Peter Dabrock:
    "Ich glaube, wir sind derzeit – ich sage ausdrücklich derzeit – nicht an dem Punkt, an dem man eine Pauschalverurteilung der gesamten AfD vornehmen darf. Ich glaube tatsächlich, es gibt in einer Gesellschaft – und ich halte das auch für legitim – eine Pluralität an Auffassungen. Und zu dieser Pluralität zählt dann eben auch, dass es in der Tat Menschen gibt, die ein – sagen wir mal – konservatives, traditionelles Bild von Familie, von Ehe, von Geschlecht vertreten."
    Noch ist nicht abzusehen, ob innerhalb des christlichen Lagers der AfD die Fundamentalisten oder die gemäßigt Konservativen den Ton angeben. Das christliche Lager innerhalb der Partei ist in der "Bundesvereinigung Christen in der AfD" organisiert. Deren Grundsatzerklärung ist in mehreren Punkten eher moderat formuliert. Das Abtreibungsrecht zu verschärfen: das fordert sie zum Beispiel nicht direkt. Auch ist bisher nicht absehbar, wie weit sich die AfD vom Islam abgrenzen möchte. Vergangenen Sonntag ließ Beatrix von Storch aufhorchen, als sie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte, der Islam sei an sich eine politische Ideologie und nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Trotz heftiger Kritik am Islam-Kurs der Partei hält die AfD-Spitze an ihrer Position fest. Einige AfD-Regionalverbände fordern sogar, den Bau und Betrieb von Moscheen zu verbieten. Das geht weit über das hinaus, was im aktuell vorliegenden Programmentwurf des Parteivorstandes steht. Dort heißt es noch, man unterstütze Bemühungen, den Islam an unsere Rechtsordnung anzupassen. Gerade im christlichen Lager innerhalb der AfD könnte extreme Islamkritik auf Widerstand stoßen. Die Furcht ist: Wenn die Religionsfreiheit eingeschränkt wird, könnte das irgendwann auch Christen treffen.
    *Anmerkung der Redaktion:
    In der ursprünglichen Fassung dieses Beitrags stand hier "rechte Ecke". Das war missverständlich formuliert. Gemeint ist die "rechtsextreme Ecke".