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Christentum
"Da ist in der Vergangenheit viel schiefgelaufen"

Verfehlungen haben in der Gesellschaft Zweifel an den Kirchen und auch am Christentum verstärkt. Wie das Christentum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sollte auf einer Tagung an der Universität Mainz ergründet werden. Das Christentum habe eine wertvolle Botschaft, die viel stärker gehört werden müsse, erklärten Teilnehmer.

Von Alfried Schmitz | 03.07.2014
    Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst bei einem seiner letzten Gottesdienst in der Diözese Limburg im September 2013
    Skandale wie der um den früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst prägten zuletzt das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit. (dpa / Fredrik von Erichsen)
    "Das Christentum ist in dieser Gesellschaft und überhaupt auf der Welt nicht mehr der Marktführer. Das Christentum wird aber in der Gesellschaft sehr sensibel wahrgenommen", sagt Thomas Hieke. Der katholische Theologe ist an der Uni Mainz Professor für den Fachbereich "Altes Testament". Er hat Verständnis für ein gewisses Maß an Misstrauen, das in der Gesellschaft gegenüber dem Christentum und vor allem gegenüber der Institution Kirche besteht. Die Skandale um den Limburger Bischof van Elst und um die sexuellen Verfehlungen von Priestern haben nicht nur dem Ruf der Kirche geschadet, sondern auch das gesamte Christentum in Misskredit gebracht. Für viele Menschen ist daher die dringlichste Frage.
    "Löst es das selbst auch ein, was es verkündet?! Und da ist in der Vergangenheit und viel schiefgelaufen. Und da täte ein Schuldeingeständnis not. Das Christentum hat eine so wertvolle Botschaft, hat heute noch so viel zu sagen, so viel zu mahnen, zum Frieden, zur Gerechtigkeit, zur gerechten Verteilung der Ressourcen, da müsste das Christentum viel stärker gehört werden. Oftmals steht es sich selber im Weg, da müsste noch viel passieren. Aber da haben wir einen Beitrag zu leisten und den wollen wir auch mit dieser Veranstaltung leisten."
    Soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit gehören zum Fachgebiet von Gerhard Kruip. Der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Mainzer Universität lehrt Christliche Anthropologie und Sozialethik. Für ihn ist vor allem ein Aspekt wichtig.
    "Man kann nicht als Christ, Zeugnis ablegen für einen Gott, der menschenfreundlich ist und der für Gerechtigkeit eintritt, wenn man nicht selber auch in seiner eigenen Praxis für Gerechtigkeit eintritt. Ein Christentum, das sich nicht um gesellschaftliche Fragen kümmern würde, ist jedenfalls nicht eine Religion, wie Jesus Christus sie wollte. Insofern sind solche Themen, wie Gerechtigkeit, Option für die Armen, Linderung von Not, Kernthemen auch christlichen Glaubens, christlicher Glaubenspraxis und natürlich der Theologie."
    Ein grundsätzliches Problem der heutigen Gesellschaft scheint darin zu bestehen, dass der Mensch Opfer einer bedingungslosen Leistungsorientierung geworden ist. Ist das heute bestehende wirtschaftliche Wertesystem noch mit christlichen Moralvorstellungen zu vereinbaren? Papst Franziskus meint Nein. In seiner aktuellen Kapitalismuskritik prangert er unter anderem die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in vielen asiatischen Betrieben an, wo Billigware für die westliche "Geiz-ist-geil"-Mentalität unter Lebensgefahr produziert wird. "Leben wir in einem Wirtschaftssystem, das tötet?". Diese Frage stellte Prof. Kruip in seinem Arbeitskreis beim Mainzer Studientag und bezieht sich damit auf eine Aussage des Papstes.
    "Also zunächst einmal ist das ein wichtiger Aufschrei, der Ungerechtigkeiten markiert, wenn er sagt, diese Wirtschaft tötet. Natürlich reicht es nicht, und das kann man dem Papst vielleicht auch vorwerfen, sozusagen den Kapitalismus zu kritisieren, man müsste schon daran arbeiten, welche konkreten Maßnahmen denn dann tatsächlich zum Ziel führen und die Armut tatsächlich bekämpfen. Allerdings ist das nicht Aufgabe des Papstes, das ist dann eher die Aufgabe der engagierten Christinnen und Christen Vorort."
    Prof. Kruip sieht die Christen schon wegen ihrer Glaubensprinzipien in der Pflicht, sich gegen soziale Missstände aufzulehnen und sich für das Wohl der Gesellschaft zu engagieren. Allerdings räumt er ein: "Man darf allerdings nicht sich der Illusion hingeben, dass dadurch allein die Welt deutlich verändert werden könnte. Es muss auch politisch etwas getan werden und deswegen braucht es beides. Also das Engagement in Bezug auf den eigenen Lebensstil und auch das politische Engagement und zwar heutzutage weltweit. Wir brauchen so etwas wie 'Global Governments' zugunsten eines weltweiten Gemeinwohls. Und da müssen wir durch politischen Widerstand, durch politisches Engagement unsere Politikerinnen und Politiker dazu bringen, das auch zu tun."
    Auch der Moraltheologe Prof. Stephan Goertz beteiligte sich beim diesem besonderen Studientag in Mainz mit den Auswirkungen des Kapitalismus auf unsere Gesellschaft. Sein Themenschwerpunkt beschäftigte sich mit der "Liebe in Zeiten des hegemonialen Kapitalismus".
    "Vor zwei Jahren ist eine ganz spannende Studie einer Soziologin erschienen mit dem Titel 'Warum Liebe wehtut'. Und diese Soziologin geht der Frage nach, was die Marktwirtschaft, der Kapitalismus für Liebesbeziehungen bedeutet, also, wie Liebesbeziehungen überhaupt zustande kommen. Und ihre These ist, dass auch der Bereich Liebe, Intimität, Partnerschaft heute auf einem offenen Markt ausgehandelt wird. Die Gesellschaft verzichtet auf soziale Vorgaben, wer wen heiraten darf. Und auf einem offenen Markt gibt es Gewinner und Verlierer. Und deswegen kann ich schmerzliche Erfahrungen machen, wenn ich merke, dass mein Kapital auf diesem Markt nicht ausreicht, um einen Partner, eine Partnerin zu finden."
    Eine These, die provozieren sollte und die natürlich nicht ohne Kritik hingenommen wurde, wie Stephan Goertz erklärt. "Die Kritik lautet, dass gerade Liebe, gerade die Partnerschaft, ein Rückzugsraum in der modernen Welt geworden ist. Es ist der einzige Raum, wo ich noch als Person in meiner Identität vorkomme, wo ich in der Welt eines anderen, als ganz individuelle Person Bedeutung habe und nicht nur in meiner Funktion als Rollenträger geachtet werde."
    Vor diesem Hintergrund ist das Recht auf uneingeschränkte Liebe und auf gesellschaftlich anerkannte Partnerschaft besonders für Homosexuelle enorm wichtig. Professor Goertz fordert daher dringende Reformen und ein Umdenken in der katholischen Kirche.
    "Ja, da müsste in der Tat die katholische Tradition sich der Moderne positiv zuwenden und die Werte, die eine moderne Gesellschaft entwickelt hat, für sich übernehmen. Und gleichzeitig kann die christliche Tradition sagen, das sind doch im Grunde Ideen, die im Evangelium sehr tief verankert sind. Weil, das ist doch Kern der christlichen Botschaft, die Nächstenliebe, die unbedingte Annahme des Anderen."
    Und auch der Alttestamentler Thomas Hieke sieht für ein weltoffenes und modernes Christentum die größte Chance, sich in der Gesellschaft weiterhin zu behaupten.
    "Das Christentum kann am meisten gewinnen, indem es sich auch ein Stück weit als Alternative und Anti-Gesellschaft präsentiert. Als eine Gemeinschaft, die eine Alternative zu dem hat, worunter Menschen eben heute leiden. Gerade wenn wir auf die biblische Botschaft schauen, das geht schon bei den Propheten los, die Gegenwartsverhältnisse ihrer Zeit kritisierten, Verhältnisse, die bis heute Analogien haben, Ausbeutung der Armen, Ungerechtigkeiten und so weiter, sehen wir dass diese Worte bis heute eine Aktualität haben."
    Ähnlich sieht das auch der Dekan der katholisch theologischen Fakultät an der Universität Mainz, Prof. Gerhard Kruip. Er setzt auf volle Integration des Christentums in die moderne Gesellschaft. Vor Sektierertum kann er nur warnen.
    "Christen sind ganz selbstverständlich auch Mitglieder einer Gesellschaft und haben deswegen auch Verantwortung für diese Gesellschaft. Sie können ihr Christsein gar nicht anders leben, als in Mitverantwortung auch für gesellschaftliche Verhältnisse und gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Insofern kann man schon sagen, dass ein Glaube, der nicht auch politisch wird, nicht im Sinne von parteipolitisch, sondern allgemein gedacht, kein christlicher Glaube sein kann. Der Rückzug auf eine Sonderwelt, der Verzicht auf Weltbezug, die Entweltlichung, sind meines Erachtens in keinster Weise christliche Gedanken."