Freitag, 19. April 2024

Archiv

Christfluencer
Menschenfischer auf YouTube

Der Name ist Programm: Global Video Church. Evangelisch-freikirchliche Kreise nutzen das Netz, um ihre Botschaften zu verbreiten. Andernorts haben sie Aber-Millionen Nutzer. In Deutschland geht es erst langsam los. Ein Aussteiger erzählt und spricht mit Insidern.

Von Victor Redman | 14.06.2019
Auf einem Laptop ist in Berlin das Internet-Videoportal YouTube zusehen, aufgenommen am 20.07.2012.
Für viele Influencer ist YouTube eine erfolgsversprechende Plattform, auf der sie junge Menschen erreichen können (picture alliance / Britta Pedersen)
Nach dem Abitur war ich ein paar Jahre lang Teil einer evangelikalen Freikirche in Berlin. Das ist inzwischen auch schon wieder zehn Jahre her. Heute nenne ich es eine Jugendsünde. Außer ein paar Fotos und einer Handvoll Namen in der Facebook-Liste ist von dieser Zeit nichts geblieben.
Anders die jungen Erwachsenen, die sich gerade auf YouTube und Instagram als "Christfluencer" versuchen. Mit aufwändig produzierten Fotos und Videos wollen sie das Evangelium im Netz verbreiten – und natürlich neue Anhänger für ihre Kirchen gewinnen. Dabei werden sie von vielen Außenstehenden skeptisch beobachtet. Aber was geht wirklich vor in der Welt der Christfluencer?
Schnell finde ich zwischen christlicher Lebenshilfe und Tipps zum Bibellesen auch ein Video, in dem zwei YouTuber vor den Gefahren der Pornographie warnen. Soweit, so erwartbar. Dass viele Christen - und nicht nur sie - ein Problem mit Pornos haben, ist erstmal nicht weiter verwunderlich. Die hier lassen sich allerdings zu Aussagen hinreißen wie der, dass Porno-Konsumenten Gefahr liefen, künftig die eigenen Kinder zu missbrauchen.
Kirche fürs Wohnzimmer
Die meisten deutschsprachigen Christfluencer gehören zur GIVICI, der Global Video Church. Darum habe ich mit Inga Haase gesprochen. Sie hat die GIVICI vor rund drei Jahren gegründet, um junge Menschen da abzuholen, wo sie sind – in diesem im Fall: auf YouTube. Klassische Sonntags-Gottesdienste veranstaltet die Online-Kirche nicht. Gepredigt wird per Video. Wer sich der GIVICI verbunden fühlt, kann sich aber auch ein Starterkit bestellen, um im eigenen Wohnzimmer eine Art Hauskirche zu gründen.
"Unsere Theologie hält sich an das ganz normale, klassische Glaubensbekenntnis auf Grundlage der Bibel. Also, nichts Extremes wollen wir, sondern ganz schlicht an der Bibel dran bleiben und lebenspraktisch. Das ist uns sehr wichtig. Wir haben ein ganzes Team, wie man ja auf YouTube sieht, sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Jugendlichen. Jetzt haben wir auch einen englischen Kanal. Und die Predigten werden vorher auch immer geprüft. Uns ist sehr, sehr wichtig, dass die Predigten wirklich nicht irgendwie schief und schräg sind."
"Übers Ziel hinausgeschossen"
So, wie Inga Haase es erzählt, klingt das alles ganz nachvollziehbar, moderat, sogar sinnvoll. Und ich als Ex-Freikirchler möchte sie fair behandeln - und nicht runtermachen wie ein Aussteiger. Dennoch muss ich sie fragen, was sie davon hält, wenn GIVICI-YouTuber eine Brücke schlagen zwischen Porno-Konsum und Kindesmissbrauch.
"Das sind jetzt junge Leute und natürlich: Dass die jetzt hier und da übers Ziel rausgeschossen haben, das ist auch richtig. Da sind so die kleinen Pfefferkörner aus dem Video rausgepickt worden. Im Großen und Ganzen ist einfach das Ziel – das kommt in dem Video auch rüber – die Leute, die jungen Leute zu warnen vor Pornokonsum. Und dadurch, dass das eigentlich sonst kaum jemand sagt – also, öffentlich wird das eigentlich kaum gemacht –, uns aber daran liegt, wirklich jungen Menschen zu helfen, auch mit ihren Problemen fertig zu werden, haben wir das mal thematisiert."
Offen bleibt, wie solch ein Video überhaupt online gehen konnte. Die GIVIC hat das Video inzwischen auch vom Netz genommen.
Inga Haase betont, dass bei der GIVICI jeder willkommen ist. Und doch wird Inga Haase immer wieder angesprochen auf das Verhältnis der Online-Video-Kirche etwa zu Homosexualität.
"Da wird man immer wieder draufgepiekt. Man muss ja rausfinden, dass wir doch irgendwie doof sind und weltfremd. Und trotzdem müssen wir sagen, wenn wir gefragt werden, was die biblische Grundlage dafür ist: Dass Gott Mann und Frau geschaffen hat, und das Homosexualität in der Bibel, wenn es erwähnt wird, als etwas Unnatürliches erwähnt wird, beziehungsweise als etwas, was nicht in Gottes natürlichem Plan ist. Wir lieben jeden Menschen so wie er ist, aber wir halten uns an Werten tatsächlich einfach mal an die Bibel."
"Man erreicht die jungen Menschen in den sozialen Medien"
Warum drängen die christlichen Influencer eigentlich gerade jetzt ins Netz? Darüber habe ich mit Bjoern Krass gesprochen. Er unterrichtet Medienmanagement und Creative Industry Management an der Hochschule der populären Künste in Berlin. Mit medialen Trends kennt er sich aus. Und er meint: Ich stelle die falsche Frage.
"Ich glaube, die Frage ist gar nicht: Warum jetzt? Die Frage ist: Warum nicht schon viel eher? Wenn wir uns zum Beispiel mal den amerikanischen, den englischsprachigen Markt anschauen – da lockst du mit solchen Videos keinen Hund hinterm Ofen vor. Da hat nämlich schon seit Jahren jede Kirche 'nen Video-Podcast und jeder Pastor gefühlt 'ne halbe Million Follower auf Instagram. Wir sind in Deutschland einfach immer ein bisschen hinten dran, was das Digitale angeht. Und die christliche Szene hechelt selbst da erfahrungsgemäß nochmal 'ne ganze Ecke hinterher. Aber inzwischen haben wir eben auch 2019, und wenn ich Menschen, vor allem junge Menschen, erreichen will, dann komm' ich am Internet nicht mehr vorbei. Junge Menschen sind eine unglaublich wichtige und begehrte Zielgruppe – und diese Zielgruppe erreichst du heute am effektivsten über die sozialen Medien. Da treiben sie sich rum, da suchen sie sich ihre Unterhaltung und, ja, auch Lebenshilfe. Insofern überrascht mich das überhaupt nicht, dass auch die christliche Szene in Deutschland jetzt YouTube und Instagram für sich entdeckt."
Christliche Werte, oder das, was viele Freikirchler dafür halten, werden bunt verpackt und aufwändig in Szene gesetzt, um sie einer jungen Generation schmackhaft zu machen. Natürlich funktionieren nicht alle Freikirchen so – aber das Prinzip ist hinlänglich bekannt. 2019 wird die schöne Fassade nun offenbar auch im Internet gebaut. Bjoern Krass sieht da allerdings keinen besonderen Grund zur Besorgnis.
"Ich glaube nicht, dass von diesen christlichen Influencern, wenn wir sie so nennen wollen, eine ernsthafte Gefahr für junge Leute ausgeht. Was die da betreiben, ist in Teilen ganz sicher fragwürdig. Vor allem ist es aber absolutes Nischenprogramm. Das sehen wir auch an den Abonnentenzahlen ganz deutlich. 3000 Leute auf einem Kanal, 2000 auf dem anderen – da guckt keiner zu, der nicht ohnehin schon in die Richtung tendiert. Für alle anderen ist das, was da stattfindet, entweder komplett uninteressant oder sogar abschreckend."
Auch die Anhänger und Macher der "globalen Video Kirche" können sich weiterentwickeln. Nur eines ist jetzt schon sicher: Anders als ich werden sie es einmal schwer haben, ihre Christfluencer-Zeit als Jugendsünde abzuschreiben – denn das Internet vergisst nicht.