Freitag, 19. April 2024

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Christian Rach über Kochen als Kultur
"Bei gutem Essen vergesse ich den Alltag"

Ein gutes Essen sei wie eine kleine Flucht in eine Erholungswelt voll Genuss, sagte der Fernsehkoch Christian Rach im Dlf. In Deutschland habe aber leider "Essen to go" einen unglaublichen Stellenwert. Das kulturelle Verständnis von Essen sei leider noch sehr jungfräulich.

Christian Rach im Gespräch mit Anja Reinhardt | 27.08.2018
    Der Fernsehkoch Christian Rach zu Gast in der Sendung Koelner Treff im WDR Fernsehen, am 08.04.2016 in Köln.
    Der Fernsehkoch Christian Rach (imago stock&people)
    Anja Reinhardt: Der Mensch ist das einzige Tier, das gekochte oder anderweitig verarbeitete Nahrung aufnimmt - so ein Harvard Professor, der herausfand, dass der Mensch schon vor 1,9 Millionen Jahren das Kochen erfand. Kochen gehört sicher zu den ältesten Kulturtechniken überhaupt und eine verfeinerte Küche war immer auch ein Zeichen von Hochkultur. Die französische Küche wurde sogar zum Weltkulturerbe erklärt. Der deutschen Küche eilt ein nicht ganz so fantastischer Ruf voraus, dafür liebt man hier die Ausstattung des Kochbereichs und gibt dafür sehr viel Geld aus. Aber trotz Hightech-Küchen und Utensilien erinnern wir uns trotzdem immer häufiger an alte Rezepte und traditionelle Techniken. In unserer Gesprächsreihe Erinnern und Vergessen habe ich mit dem Sternekoch Christian Rach darüber gesprochen, was in der Kulturgeschichte des Kochens überwiegt – das Erinnern oder das Vergessen.
    Christian Rach: Ich glaube, das Erinnern überwiegt, wenn man sieht, dass so viele alte Dinge auch heute in der Küche, erst recht in der Profiküche wieder wertgeschätzt werden. Dann glaube ich, das Erinnern überwiegt, wobei ich eigentlich feststellen muss, dass im Zuge der Gleichberechtigung, die ja kein Mensch irgendwie zurückdrehen möchte oder sonstiges, das heißt Männlein und Weiblein gehen gleichberechtigt zur Arbeit und die Erziehung der Kinder haben wir alle an den Staat delegiert, im Zuge dieser Aktionen, die jetzt über vier, fünf Jahrzehnte stattgefunden haben, wurde es leider versäumt, diese alten Techniken, das was früher von den Großeltern zu der Mutter, von der Mutter zu den Söhnen, zu den Töchtern weitergegeben wurde, zu konservieren und dann ebenfalls in die staatliche Obhut zu geben, sprich, dass es in der Schule ein Fach gibt, wie mache ich zum Beispiel Sauerkraut, oder wie mache ich einen Kartoffelklos, von ganz alten Dingen ganz abgesehen.
    Regionale Küche bewahrt regionale Begebenheiten
    Reinhardt: Das heißt ja, dass Kochen etwas ist, das ganz lange über kollektive Erinnerung funktionierte. Es gab die meiste Zeit keine Rezeptbücher, wie wir sie heute kennen. Welche Vorteile hat denn dieses kollektive Erinnern, das ja nie so ganz feststeht?
    Rach: Ja, das ist natürlich ein ganz schöner Ausdruck, das kollektive Erinnern. Und deswegen: Das Erinnern fand immer in kleinen Regionen statt. Das heißt, diese sogenannte regionale Küche ist eigentlich nichts anderes als regionales Erinnern an soziogeographischen Begebenheiten. Dort, wo es kalt ist, wächst was anderes, man sitzt viel mehr drinnen als draußen; wo es warm ist, hat man wiederum andere Genüsse und andere soziale Begebenheiten, auch in der Kommunikation. Das war natürlich dann alles Ausdruck auch von dem, was angeboten und serviert wurde, und das wurde innerhalb von Regionen wirklich weitergegeben.
    Es ist aber nicht ganz richtig, dass man keine Kochbücher hatte. Meines Wissens nach ist das älteste Kochbuch ein indisches, oder aus dem Orient kommend, 3500 Jahre alt, und es ging nur um vegetarisches Essen.
    "Essen to go hat unglaublichen Stellenwert"
    Reinhardt: Jetzt gehört ja zur Kulturgeschichte des Kochens und Essens auch das Soziale, die Gemeinschaft und das, was man vielleicht etwas altmodisch als Tischsitten bezeichnet. Und ohne jetzt kulturpessimistisch zu sein, scheint das aber doch alles etwas in Vergessenheit geraten zu sein, auch weil der Arbeit so viel Bedeutung zugemessen wird. Was bedeutet denn dieses Vergessen für das Essen als Kultur?
    Rach: Wir sind ja in Deutschland sehr lange überhaupt nicht in der Lage gewesen, oder es hatte keine Wichtigkeit, dass das Essen ein Kulturbegriff ist, sondern Essen war die reine Nahrungsaufnahme. Das unterschied uns ja wirklich zu den Mittelmeerländern. Ich will jetzt gar nicht in die große weite Welt hinausschweifen. Das heißt, dieses kulturelle Verständnis von Essen und Trinken in Deutschland, das ist eigentlich noch ein sehr jungfräuliches Verständnis, dass wir erkannt haben, dass es viel mehr ist, als uns nur gesund oder vernünftig zu ernähren.
    Und jetzt, haben Sie völlig richtig gesagt, sind wir wieder an dem Zeitpunkt angelangt, dass alles andere wichtiger ist als das gemeinschaftliche Essen. Im gemeinschaftlichen Essen, da wurden früher immer die Nachrichten ausgetauscht, die Dinge ausgetauscht. Da wurde erzogen, da wurden die Geschäfte gemacht, da wurden Abhängigkeiten generiert und so weiter und so fort. Der Bauer, der mit Kind und Kegel den Hof versorgt hat – der Kegel bedeutet nur, auch die unehelichen Kinder, die er hatte, die hatte er mit zu versorgen. Das heißt, Essen und Trinken war natürlich auch eine Machtausübung, aber auch Kommunikation. Heute hat natürlich die moderne Kommunikationswelt leider diesen Moment des Zusammenkommens am Tisch oft wieder abgelöst. Das heißt, wir kommen wieder dahin, dass Essen to go unglaublichen Stellenwert hat, dass Fertigessen unglaublichen Stellenwert hat, und das kulturelle Ereignis von Genuss, das geht leider wieder verloren. Da haben Sie völlig recht.
    Genuss wichtig für Wohlgefühl
    Reinhardt: Ich nehme an, Sie legen sehr viel Wert auf auch die soziale Komponente, auf das Kochen als etwas, was Kultur ist. Was vergessen Sie denn bei einem guten Essen?
    Rach: Was ich bei einem guten Essen vergesse? – Ich vergesse den Alltag. Ein gutes Essen ist wie eine kleine Flucht, eine Erholungsflucht in eine Welt, die einem den Genuss beschert. Und wir wissen ja, dass Genuss zum Wohlfühlen, zum körperlichen und geistigen Wohlfühlen absolut wichtig ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.