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Christlicher Judenhass
Schmähung in Stein

Die Wittenberger "Judensau" darf an der Stadtkirche bleiben, haben Richter entschieden. Aber was mit solchen Darstellungen generell geschehen soll, ist mehr als eine juristische Frage. Bei einer Tagung wird deutlich, dass die Kontroverse um antijüdische Plastiken ambivalent und hochkomplex ist.

Von Christoph Richter | 28.05.2019
Die antisemitische Skulptur an der Sankt Marien Kirche in Wittenberg
Die antisemitische Skulptur an der Sankt Marien Kirche in Wittenberg - die Debatte um antijudaistische Schmähbilder im kirchlichen Raum nimmt an Fahrt auf (dpa/picture alliance)
"Ich bin ehrlich ganz unsicher. Ich frag mich schon seit Wochen, die Debatte geht ja schon eine Weile. Ich finde diese Plastik müsste runter", sagt eine Frau am Wittenberger Marktplatz, sie steht in Sichtweite der Stadtkirche St. Marien. An der Südwand der doppeltürmigen gotischen Hallenkirche befindet sich das Motiv der "Judensau", eine antisemitische Schmähplastik. Man sieht, wie Juden an den Zitzen von Schweinen saugen und trinken, ein Rabbiner macht sich unter dem Schweineschwanz zu schaffen.
Beleidigen und abschrecken
Ihr Zweck war es, die jüdische Bevölkerung zu beleidigen. Mehr noch: Die Plastik sollte Juden davon abschrecken, sich in Wittenberg niederzulassen. Doch viele Wittenberger plädieren für den Verbleib. Einfach runterreißen? Das wäre doch Bilderstürmerei, heißt es.
"Soll nicht abgenommen werden. Das tut die Juden nicht beleidigen." - "Das ist Geschichte, war nicht schön, aber ist Geschichte. Es gibt weitaus wichtigere Sachen, um die man sich aufregen sollte."
Schandfleck, Mahnmal oder Denk-Zeichen: Die Experten sind sich unschlüssig, was die demütigenden antisemitischen Skulpturen und Schmähbilder an und in Kirchen letztlich wohl sind.
Die Teilnehmer der dreitägigen Wittenberger Tagung mit dem Titel "In Stein gemeißelt. Zum Umgang mit eingefurchten antisemitischen Bildern" ringen darum, wie man wohl am besten mit den drastischen Plastiken kirchlicher Judenfeindschaft umgehen sollte. Schnell wird deutlich: Eine klare Antwort, eindeutige Lösungen, den goldenen Weg gibt es definitiv nicht.
Teil eines Tourismus-Konzeptes?
Eine Empfehlung lautet:
"Wenn man sich entscheidet, solche antijüdischen oder antisemitischen ... im Stadtraum oder in den Kirchenräumen zu lassen, dann muss es eine offensive Thematisierung dessen geben. Am besten schon auf der Internetseite, bei Stadtführungen, dass es da eine Auseinandersetzung gibt, dass dieser Teil der Geschichte nicht versteckt im Hinterzimmer behandelt wird. Sondern, dass es vielleicht auch ein offensiver Teil des Tourismus-Konzeptes wird. Um zu sagen, wir haben hier dieses Erbe und so gehen wir damit um."
Aber es gebe derart massiv verletzende und kränkende Juden-Darstellungen, wo eine Entfernung bzw. Abnahme mehr als angebracht, ja geradezu notwendig sei, sagt Cordelia Heß. Mediävistin und Professorin am Lehrstuhl für Nordische Geschichte an der Universität Greifswald: "Denn es gibt Darstellungen, wie das Wittenberger Beispiel, die so krass antijüdisch sind. Da könnte man die Forderung klar aufstellen kann, die zu entfernen. Ich finde, dass muss man nicht dran lassen."
Es bestehe die Gefahr - durch die Eindeutigkeit der Bildsprache -, dass antisemitisches Wissen ungefiltert weiter gegeben werde. Und die Wittenberger Plastik sei über die Jahrhunderte hinweg und zwar bis heute für Juden derart anstößig, dass eine Auseinandersetzung bestenfalls im Museum erfolgen könne. Eine Erklär-Tafel im öffentlichen Raum reiche nicht aus, unterstreicht Antisemitismus-Expertin Cordelia Heß.
"Historische Linien vor der Shoa"
"Ich denke aber, dass diese langen historischen Linien und diese Zeit vor dem Nationalsozialismus, vor der Shoa, viel zu wenig eine Rolle spielen. Also diese vielen Jahrhunderte, wo es viel Nachbarschaft, viel Kontakt gab. Aber auch dieser Moment, wo Nachbarschaft in Feindschaft und in Angriffe umschlagen konnte. Und Alltag immer wieder neu verhandelt werden musste. Und ich denke, da könnte noch viel mehr getan werden, um das ins Bewusstsein zu rücken."
Um die Wittenberger Schmäh-Skulptur gab es schon zu DDR-Zeiten eine heftige Kontroverse. "So etwas hängt in unserer Kirche? Weg damit", hieß es schon damals. Letztlich verständigte man sich auf ein künstlerisches Mahnmal und hat eine Bronzeplatte des Bildhauers Wieland Schmiedel in den Boden eingelassen. Eine Bodenplatte, durch die scheinbar Blut quillt, das an den Tod von sechs Millionen Juden während der Shoa erinnern soll.
Ritualisiertes Erinnern?
Doch heute ist auch diese Skulptur umstritten. Es ist die Rede von ritualisiertem Erinnern, von einer Pflichtübung. Weshalb neue Wege gegangen werden müssen. Doch mit einer Radikalkur kann Friedrich Kramer, der designierte Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Direktor der Evangelischen Akademie in Sachsen-Anhalt, wenig anfangen. Er plädiert für eine intensive Debatte über den Antisemitismus innerhalb der Kirche.
Zwar gebe es die historische Erklärung der EKD, die 2015 zum Antijudaismus Luthers ganz eindeutig Stellung bezogen habe. Indem das weitreichende Versagen der Evangelischen Kirche gegenüber dem jüdischen Volk zum Ausdruck gebracht wurde. Doch es brauche innerhalb der Kirche aktuell dringend weitere Schritte.
"Also Abkloppen ist überhaupt keine Option. In Wittenberg könnte ich mir vorstellen, dass man ein Holocaust-Mahnmal baut, wo das Mahnmal und das Judensau-Relief integriert ist. Wo man auch die Namen der Ermordeten integriert, wo sich auch Stadt und Land positionieren. Denn bis jetzt ist es ja eine rein kirchliche Gedenkstätte."
"Judensau" und Kölner Dom
An schätzungsweise etwa 30 Kirchen in Deutschland gibt es solche Schmähbilder der "Judensau", darunter sind auch solche prominenten Kathedralen wie der Kölner Dom. Wobei es hier um die antijüdische Darstellung im Kirchenraum kaum eine öffentliche Debatte gibt.
Uffa Jensen, Antisemitismus-Experte an der TU Berlin, fordert keine generelle Entfernung oder Abnahme der Schmäh-Plastiken. Er plädiert für eine differenzierte Herangehensweise. Doch als er die Darstellung an der Wittenberger Stadtkirche gesehen habe, war er doch einigermaßen erschrocken, erzählt Uffa Jensen. Er hat in Kiel, Jerusalem und New York Jüdische Geschichte und Philosophie studiert. "Sie ist schon sehr explizit. Sie ist wirklich auch ein Schandmal. Und deswegen tendiere ich auch eher zum Entfernen der Figur."
Nur so könne dem Bild die Wirkmächtigkeit, die öffentliche Funktion entzogen werden. Jensen erinnert daran, dass der kirchliche Antijudaismus der Wegbereiter für den heutigen Antisemitismus war. Aber: Eine generelle Empfehlung für den Umgang mit antijudaistischen Schmähplastiken gebe es einfach nicht. "Es muss ein Problembewusstsein vorhanden sein, dann kann man ein Prozess starten."
Am Ende der Wittenberger Tagung wird deutlich: Die Kontroverse um antijüdische Plastiken ist ambivalent und hochkomplex. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass es innerhalb der Kirche immer noch Befürchtungen gibt, dass antijüdische Bilder weiter existieren, dass Gemeindemitglieder auch heute noch anfällig sind für antisemitische Ideen. Weil es vielleicht immer noch zum theologischen Grundbestand gehört, eine kritische Sicht auf das Judentum zu haben.
Denn wenn es diese Perspektiven, diese Gefahren nicht gäbe, dann würde es ja auch keine Diskussionen geben. Was man aber sagen kann: Die Debatte um antijudaistische Schmähbilder im kirchlichen Raum hat jetzt erst richtig an Fahrt aufgenommen. Ein Ende des Streits – soviel ist sicher - ist noch lange nicht abzusehen.